Neue Modelle der Kompaktklasse:Kleiner wird feiner

BMW-Designskizze

Entscheidend beim Autokauf ist das Design - auch in der Kompaktklasse.

(Foto: BMW Group)
  • Audi, BMW und Mercedes feiern mit ihren kompakten Baureihen große Erfolge.
  • Hauptverantwortlich dafür ist nicht deren Technik, sondern ihr Aussehen außen und innen.
  • A3, Einser oder die Modelle auf A-Klasse-Basis profitieren dabei enorm vom Techniktransfer aus der Mittel- und Oberklasse.

Von Joachim Becker

Die Kompaktklasse boomt weltweit. Hier wird das Rennen der Premiumhersteller entschieden - mit neuen Modellen, neuen Motoren und neuen Infotainmentsystemen.

Genf steht auf Glamour. Mit nüchterner Technik ist am Lac Leman kein Blumentopf zu gewinnen. Das weiß niemand besser als Porsche-Chef Matthias Müller: "Traumwagen haben immer Konjunktur", hallt er durch die Messehalle.

Sein Credo gilt nicht nur für die (PS-)Reichen und Schönen des Automobilsalons 2015. Auch die Bürgerkönige in der Kompaktklasse umgeben sich mit einem Hauch von Hollywood: "Unsere Kunden kaufen das Sex-Appeal, das wir den Autos durch weich geformte Schultern geben", sagt einer, der in unmittelbarer Nähe zur Traumfabrik gelebt hat: Gorden Wagener war Leiter des Mercedes-Design-Studios in Kalifornien, bevor er zum Chef-Kreativen der Marke mit dem Stern aufstieg. Als erste Amtshandlung beförderte er gerade noch kurz vor Produktionsbeginn die Mercedes A-Klasse vom Biedermann zum Lifestyle-Sportler - und gab dem Wandel der Marke damit ein Gesicht. "Wir wollten weg von der Langeweile und stylish werden, und es fliegt so gut, wie es kaum einer gedacht hätte", strahlt Jörg Prigl, Leiter der Produktgruppe Mercedes Compact Cars.

"Die Kunden wollen Lifestyle"

Verführe deine Kunden. Das gilt nicht nur für die Supersportler, Luxuslimousinen und Designstudien in Genf, sondern für alle Modelle auf der Frühjahrsmesse. Neue Crossover-Modelle wie Hyundai Tucson, Renault Kadjar und Honda HR-V buhlen im Abenteuer-Look um die Sympathie der Käufer. Die relativ schweren und durstigen SUV widerlegen all jene Marktstudien, die im Kompaktsegment nur rationale Kaufgründe am Werke sehen: Der Preis stehe an erster Stelle, gefolgt von niedrigem Kraftstoffverbrauch und hoher Sicherheit. Marketing-Profis wissen längst, das ein wachsender Teil der Kundschaft in aller Welt anders tickt.

"Technik ist kein ausreichendes Unterscheidungskriterium mehr, die Kunden wollen Lifestyle", sagt Gordon Wagener. Effizienz und Sicherheit setzen sie mittlerweile als Selbstverständlichkeit voraus, deshalb geben gutes Aussehen, ein hochwertiges, individualisierbares Interieur sowie moderne Infotainmentsysteme letztendlich den Ausschlag.

Audi allroad shooting brake

Kleine Crossover-Modelle sind derzeit der Renner. Audi dürfte bald ein Modell anbieten, das der Studie Allroad Shooting Brake optisch sehr nahe kommt.

(Foto: Abdruck fuer Pressezwecke honora)

Die Tage, als Kompakte lediglich Passagiere statt eines Lebensgefühls transportierten, sind vorbei. Erinnern wir uns: Noch Anfang der Neunzigerjahre war der VW Golf ein kantiges, vier Meter kurzes Kommissbrot, das erst nach Ankreuzen der halben Sonderausstattungsliste auf das Basisniveau heutiger Kleinwagen kam. Stereoradio, Klimaanlage, elektrische Fensterheber oder grundlegende Sicherheitssysteme wie ABS und Airbags gehörten damals zu den teuren Extras. Von Navigationssystem, Fahrerassistenten oder Online-Entertainment ganz zu schweigen.

Ein Hauch Luxus- in der Kompaktklasse

Ein Vierteljahrhundert später hat sich die Welt weitergedreht. Entscheidend ist heute das Entwicklungstempo, mit dem die Hersteller neueste Elektronik-Gimmicks in ihre Autos übernehmen können. Dabei zählt nicht allein die Bildschirmgröße im und neben dem Cockpit, sondern die Ästhetik, Darstellungsqualität und Funktionalität neuer Inhalte.

Audi, BMW und Mercedes profitieren davon, dass sie die Anzeige- und Bediensysteme aus der Oberklasse zeitnah in ihre Kompaktmodelle übernehmen können. "Mit der nächsten A-Klasse werden wir ab 2018 ein Ausrufezeichen hinter das User-Interface der Zukunft setzen", kündigt Jörg Prigl an. BMW will die Gestenbedienung aus dem kommenden BMW Siebener von 2018 an in der nächsten Generation des BMW Einsers bringen. Auch Audi-Chefdesigner Marc Lichte verspricht, dass sich die nächste A3-Generation noch intuitiver bedienen lässt: "Wir werden alle Knöpfe zur Klimaregelung durch ein Touchpad auf der Mittelkonsole ersetzen, das haptisches Feedback gibt und den Blick des Fahrers dadurch weniger von der Straße ablenkt."

"Es kommt nicht auf den Antrieb an"

Mercedes Vision G-Code

Mercedes zeigte mit der Studie Vision G-Code, wie ein künftiges Kompakt-SUV aussehen könnte.

(Foto: Daimler AG)

Gegenüber solchen elektronischen Spielereien treten die klassischen Technik-Aushängeschilder wie der Hinterradantrieb in den Hintergrund. "Nur wenige Kunden fragen in dieser Klasse nach Heckantrieb, weil wir für hohe Leistungen den Allradantrieb haben", erklärt Jörg Prigl. Auch BMW wird künftig zweigleisig fahren: "Es kommt nicht auf den Antrieb an, sondern auf den besten Fit von Bedürfnissen und Technik. Die Frontantriebsarchitektur bietet einfach mehr Raum auf der gleichen Grundfläche", gesteht Peter Henrich, Leiter des Produktmanagements Frontantriebs-BMW. Einerseits sei der Erfolg des hinterradgetriebenen Zweier-Coupés insbesondere in den USA "überwältigend". Andererseits werde man von dem neuen frontgetriebenen Active Tourer und dem jetzt präsentierten Siebensitzer Gran Tourer übers Jahr ungefähr 100 000 Stück verkaufen.

Goldene Zeiten erlebt auch Mercedes mit seiner neuen Frontantriebsarchitektur. Während die frühere A- und B-Klasse mit ihrem Hochdach und Sandwichboden nicht über ein jährliches Volumen von 200 000 hinaus kam, verkaufte sich die neue Familie inklusive CLA und GLA im vergangenen Jahr mehr als doppelt so gut. "Wir fahren in den Werken Rastatt, Kecskemét und beim Auftragsfertig Valmet an der Kapazitätsgrenze, mehr als rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb geht nicht", so Jörg Prigl.

Die Kompaktklasse ist für Mercedes ein voller Erfolg

Dank der hohen Nachfrage muss Mercedes zum Beispiel in Deutschland weniger Rabatte geben als die Wettbewerber. Außerdem ordern 80 Prozent der Kunden Doppelkupplungsgetriebe. Fahrerassistenzsysteme und Leder-Interieurs treiben den Transaktionspreis weiter in luftige Höhen. Von Frühsommer dieses Jahres an werden die Stuttgarter den GLA auch im neuen Werk in Peking bauen, das die Kapazität auf 600 000 Einheiten pro Jahr erhöht. "Für die nächste Generation halten wir noch zwei weitere Ausbaustufen vor. Damit machen wir uns fit für die Zukunft."

Mercedes wechselt auf die Überholspur: Mit einer Million verkaufter Kompaktfahrzeuge soll die Marke mit dem Stern 2020 Audi und BMW hinter sich lassen. Deshalb beschlossen die Manager nicht nur neue Fertigungskapazitäten, sondern auch eine Erweiterung des Modellportfolios: "Wir werden nach 2018 kein weiteres Nischenmodell wie ein Cabrio bringen, sondern etwas ganz Neues. Da müssen wir aus der Perspektive von China und den USA denken - von den Wachstumsmärkten eben", betont Prigl.

Deutlich mehr Platz im nächsten BMW Einser

BMW bereitet seinerseits eine Einser-Limousine mit Frontantrieb vor, die schon als Erlkönig ihre Runden dreht. Dank der Bodengruppe des 4,56 Meter langen Gran Tourer werden die Fondpassagiere mehr Beinfreiheit genießen als im zehn Zentimeter längeren BMW Dreier. Zudem soll der Viertürer mit Stufenheck deutlich günstiger werden als der heckgetriebene Dynamiker. Wie die Wettbewerber auch, profitiert der frontgetriebene Einser von den hohen Stückzahlen der Zulieferer im Kompaktsegment.

Masse mit Klasse - das ist auch ein entscheidendes Argument für neue Sparmotoren in der Kompaktklasse. Weil die teuren Plug-in-Hybridmodelle in den größeren Baureihen nur langsam anlaufen werden, setzen die Konzernplaner bei Audi, BMW und Mercedes auf kleine Kostverächter. Relativ günstige 48-Volt-Bordnetze sollen die Kompakten flächendeckend zu Micro-Hybriden machen. Außerdem wollen die Stuttgarter dem europäischen Emissionsziel von 95 g/km mit Dreizylindern und einer neuen Technologie für Benzinmotoren näherkommen.

Zum Marktstart 2018 soll die nächste Mercedes A-Klasse erstmals mit einem bis zu 250 kW starken Vierzylinder auflaufen, der erstmals über einen variablem Hubraum verfügt. Ein Versteller an der Kurbelwelle kann das Verdichtungsverhältnis in Sekundenbruchteilen variieren und den Luftüberschuss wie beim Diesel auf bis zu 1:15 anheben. Dadurch läuft die Verbrennung extrem mager - Mercedes-Forschungschef Herbert Kohler spricht von einem zehnprozentigen Einsparpotenzial. Da ist es wieder, das Genf-Credo: Verführe deinen Kunden - wenn es sein muss auch zum Spritsparen.

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