Neue Interieur-Studien:Autos werden zum mobilen Zuhause

BMW HoloActive Touch

Interieur der Zukunft: BMW zeigt auf der CES 2017 ein Touchpad mit Gestensteuerung.

(Foto: BMW Group)

Wie im Raumschiff Enterprise: Bald haben Autos holografische Laser-Anzeigen - und Sitze messen den Herzschlag des Fahrers.

Von Joachim Becker

Hier spielt die Musik. Mitten in der Wüste Nevadas. Auf der Consumer Electronics Show (CES) wollen sich Anfang Januar 2017 mehr Autohersteller denn je als digitale Trendsetter profilieren. Das Problem ist nur: Bisher setzt kaum ein Neuwagen die vollmundigen Ankündigungen um. Dabei sind neue Mensch-Maschine-Schnittstellen keine reine Frage des Interieur-Stils mehr. Zunehmend geht es auch um neue Geschäftsmodelle: Immer mehr Experten erwarten, dass sich mit der Konnektivität im Auto künftig mehr Geld verdienen lässt als mit dem Verkauf des Wagens selbst.

Digitale Assistenten sind das "nächste große Ding" - nicht nur in der Autowelt. Doch von intelligenten Innenräumen ist in der Serie wenig zu spüren. Kein Wunder, dass der Schweizer Mobilitätsvordenker Frank M. Rinderknecht von einer "doch recht weitläufigen automobilen Ödnis" spricht. Als Gegenentwurf wird er den 50 000 CES-Besuchern eine "Oase für Inspiration" vorstellen: Zwei Passagiere haben in dem 3,60 Meter kurzen Rinspeed Oasis reichlich Platz. Zum modernen, weiß gestylten Wohnzimmer-Ambiente gehören bodentiefe Fenster auf den Seiten. Möglich wird so ein architektonisches Konzept erst in Zeiten des voll vernetzten Fahrens: Wenn die Passagiere keinen Seiten-Crash mehr fürchten müssen.

Mit Kleingarten unter der Frontscheibe

Freiraum, Ruhe und Privatsphäre sind die ultimativen Luxusgüter in überfüllten Mega-Citys. Statt einer Fünfmeterlimousine kann auch ein kleines Parkplatzwunder diese Ansprüche erfüllen - wenn es perfekt vernetzt und originell gestaltet wird. Als Oase in urbanen Steinwüsten soll der schrullige Kleingarten unter der gestreckten Frontscheibe beruhigend wirken. Das meditative "Mobile Urban Gardening" will Rinderknecht als Gegenentwurf zum martialischen Auftritt der meisten SUVs verstanden wissen. Die massigen Allradkraxler reduzieren den Glasanteil tendenziell auf das Sehschlitz-Format von Spähwagen; entsprechend höhlenartig und dunkel wirkt ihr Innenraum.

Für moderne Sharing-Mobile ist dagegen Weiß die Trendfarbe. Auch der Oasis strahlt in steriler Sauberkeit - selbst wenn sein heller Innenraum alles andere als pflegeleicht sein dürfte. Ähnlich große Fensterflächen, frei stehende Lounge-Sessel und ein markanter Zentralbildschirm prägen bereits das Interieur des Tesla Model X. Die kalifornische Marke will ihrem Stil treu bleiben: Erste Innenraumfotos des künftigen Model 3 zeigen, dass sich alle Anzeigen und Bedienelemente auf den frei stehenden Touchscreen konzentrieren. Geprägt von horizontalen Linien verzichtet das Design scheinbar auf die traditionelle Cockpit-Hutze mit Anzeigen direkt vor den Augen des Fahrers.

Glas- und Stahlästhetik der Unterhaltungselektronik

Auch die Rinspeed-Studie verwöhnt ihre Passagiere mit drehbaren First-Class-Polstern und digitaler Unterhaltung im Cinemascope-Format. Neben Bildschirmen in Fahrzeugbreite lässt sich die Windschutzscheibe für alle Formen der elektronisch erweiterten Realität (Virtual und Augmented Reality) nutzen. Dank holografischer Laser-Projektionen ist die Anzeigefläche um ein Vielfaches größer als bei heutigen Head-up-Displays. Gegen klaustrophobische Anfälle hilft auch der Surround-Sound aus 24 Lautsprechern. Wenn die Sessel im autonomen Fahrmodus in ihre Ruheposition gleiten, bewegt sich der individuelle Klangraum zielgenau mit. Wie gesagt: Hier spielt die Musik.

Dämmeriges Mäusekino auf pixeligen Kleinbildschirmen war gestern. Stattdessen gibt die Glas- und Stahlästhetik der modernen Unterhaltungselektronik den Takt vor. Im knopflosen Auto als dem ultimativen mobilen Endgerät dürfen die Touchdisplays gerne auch etwas größer sein. Jetzt geht BMW einen Schritt weiter. Auf der CES 2017 zeigen die Münchner einen virtuellen Touchscreen, dessen Anzeigen frei im Raum schweben. Bedient wird die Augengaukelei durch Fingergesten inklusive haptisch wahrnehmbarer Rückmeldung. "BMW Holo Active Touch" soll die Vorzüge des Head-up-Displays, der Gestensteuerung und der direkten Bedienung eines Touchscreens verbinden: Willkommen im Raumschiff Enterprise.

Wenn das Auto nur mit den Augen bedient wird

Platz für solche Technikspielereien ist in der kleinsten Hütte. Gerade, weil die Passagiere auf ihren Sitzen festgeschnallt sind. Die neuartigen Mensch-Maschine-Schnittstellen lassen sich so leichter auf eine Augenhöhe justieren. Auf der CES 2016 hatte der Zulieferer Delphi die passende Gestensteuerung dazu vorgestellt: Im Armaturenbrett versteckte Infrarotkameras verfolgen die Augenbewegungen. Aus der Blickrichtung schließt die computergesteuerte Kamera, was das Infotainment-System als Nächstes machen soll. Die berührungslose Bedienung durch Augenbewegungen, Stimme und Gesten funktioniert selbst dann, wenn die Autos nicht privat, sondern als Robotaxis öffentlich genutzt werden. Die Individualisierung findet folglich nicht mehr über feste Einbauten, sondern über Cloud-basierte Datenprofile statt. Schon beim Einsteigen verwandelt sich der Wagen ganz nach den Präferenzen des nächsten Nutzers.

Auch im Zeitalter des fortgeschrittenen Autoteilens soll so ein Stück Privatsphäre mitten auf der Straße erhalten bleiben. Darin besteht künftig ein wesentlicher Unterschied zu Bussen und (U-)Bahnen, in denen telefonierende Menschen die Umsitzenden mit Details aus ihrem Berufs- und Privatleben unterhalten. "Autos werden zu einem mobilen Zuhause, im besten Sinne des Wortes. Regelrechte Schutzräume, in denen die Menschen ihren Wünschen und Bedürfnissen nachgehen können", verkündet Daimler-Boss Dieter Zetsche.

Das Auto der Zukunft misst die Vitalwerte seiner Fahrgäste

Derart digital aufgerüstete Autos wollen mehr sein als ein technisch-kühler Leitstand. Sie sind auch die Basis für maßgeschneiderte Dienste. Und was könnte persönlicher sein als die eigene Gesundheit? Auch das Popometer ist schließlich ein "Human-Machine-Interface", also eine Schnittstelle zum Informationsaustausch. Folgerichtig entwickeln sich die Autositze weiter in Richtung "Active Wellness". Nicht nur mit den bekannten Massagefunktionen, sondern mit geballter Intelligenz zur Erkennung und Bekämpfung von Stress oder Müdigkeit. Der Zulieferer Faurecia wurde für so ein Sitzsystem gerade mit dem German Design Award 2017 ausgezeichnet. "Mit der Verschmelzung von biometrischen Daten und vorausschauender Analyse wollen wir im vernetzten Fahrzeug für optimalen Komfort und bestmögliche Sicherheit sorgen", sagt Faurecia-Geschäftsführer Gregor Knauer.

Schutzraum? Privatsphäre? Der mitdenkende Autositz ist erst der Anfang einer digitalen Revolution. Das Auto der Zukunft kann sämtliche Vitalwerte der Fahrgäste erfassen. Im klinisch-weißen Sprechzimmer auf Rädern werden nicht nur Herzschlag oder Atemfrequenz gemessen. Auch Fingerabdruck, Irisform, Lidschlag, ja selbst die Gehirnströme können erfasst werden. Aus diesen Daten lässt sich der Gesundheitszustand ablesen. Die Bestandsaufnahme des aktuellen Befindens ist auf jeden Fall exakter als mit den mittelmäßig erfolgreichen Fitness-Armbändern.

Und bei Bedarf kann der Hausarzt per Bildschirm zugeschaltet werden. Schon sieht die Unternehmensberatung Frost & Sullivan die Biometrie-Durchdringung als neuen Trend in der Autoindustrie: "Einer von drei neuen Personenkraftwagen wird mit solchen technologischen Innovationen ausgestattet sein", prognostiziert Joe Praveen Vijayakumar. Der Berater sieht Geschäftsmodelle wie "Gesundheit als Service" voraus und erwartet für 2025 bereits 35 Millionen biometrische Fahrzeuge.

Der Motor startet erst, wenn ein Fingerprint-Sensor grünes Licht gibt

Gesundheit und Wellness gewinnen in einer alternden Gesellschaft an Bedeutung. Ebenso klar ist auch, dass ein derart hochgerüstetes Auto seinen Fahrer nach dem Genuss von zwei Flaschen Bier nicht mehr ans Steuer lässt. Die Biometrie legt ein enges Datennetz über die Passagiere. Das fängt bei den individualisierten Zugangssystemen an, die Continental auf der CES zeigen wird: Künftig soll sich der Motor erst starten lassen, wenn ein Fingerprint-Sensor grünes Licht gibt. Das verbessert nicht nur den Diebstahlschutz, sondern idealerweise auch den Komfort. Mit Hilfe der Biometrie werden die Sitz- und Spiegelposition, Musik, Temperatur oder Navigation automatisch für den jeweiligen Fahrer personalisiert.

Schöne neue Autowelt? Sicher ist, dass Gesundheitsdaten der Schweigepflicht unterliegen. Die persönlichen Profile dürfen kein Handelsgut für Werbeportale werden: "Bedenken der Kunden in Hinblick auf die Sicherheit werden die Zulieferer dazu zwingen, in Cybersicherheitsmaßnahmen zu investieren", ist Vijayakumar überzeugt. Der Unterschied zwischen datensicheren und unsicheren Fahrzeugen könnte künftig kaufentscheidend sein.

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