Neue Doppelstockzüge für die Bahn:Mehr Platz in der ersten Etage

Mit zweistöckigen Waggons will die Bahn vor allem zu Hauptverkehrszeiten den Passagierkomfort erhöhen. Von 2011 an sollen 3000 Exemplare in Deutschland eingesetzt werden.

Klaus C. Koch

Schieben, Drücken, im Zweifelsfalle auch Treten - lange Jahre durfte derjenige nicht zimperlich sein, der zum Beispiel in Japan zur Hauptverkehrszeit einen Platz in überfüllten U-Bahnen oder Regionalzügen ergattern wollte. Eine Taktik, die in hiesigen Breiten schon immer Anlass zum Kopfschütteln war - und auch im Land des Lächelns langsam aus der Mode kommt. Denn mit einer ganzen Armada von Doppelstockwagen versuchen die Bahnbetreiber, das Problem überfüllter Großraumabteile in den Griff zu bekommen. Dass die Deutsche Bahn unlängst 800 Doppelstockwagen, kurz Dosto genannt, bei Bombardier orderte, passt ins Bild. Der Auftrag, der einen Umfang von rund 1,5 Milliarden Euro hat, ist der größte Einzelauftrag, den die Bahn jemals erteilt hat.

Deutsche Bahn Doppelstockzüge

Gute Aussichten: Die neuen Doppelstockzüge der Bahn werden erstmals mit einem motorisierten Steuerwagen ausgerüstet, um eine seperate Lok zu sparen.

(Foto: Foto: oh)

Insgesamt sollen von 2011 an rund 3000 Dostos auf deutschen Gleisen unterwegs sein. Einer der entscheidenden Vorteile ist, dass Doppelstockzüge bei gleicher Kapazität kürzer als konventionelle Züge sein können und so viele der Bahnsteige nicht verlängert werden müssen. Denn gerade in Citylagen sind die Platzverhältnisse an vielen Haltepunkten und Bahnhöfen so beengt, dass ein Ausbau kaum möglich ist. Die einzige Chance also, Fahrgastzahlen zu steigern, besteht darin, bei gleicher Länge der Züge jeden Zentimeter in der Vertikalen zu nutzen - auch wenn die Kopffreiheit durch die jeweils flachere Bauform des Unter- und Oberdecks im Waggon deutlich sinkt.

So ganz neu ist die Sache mit der ersten Etage nicht. Schon vor 140 Jahren, als Dampflokomotiven noch Standard waren, gab es landauf, landab Reisezugwagen mit Oberdeck; die Freude an der frischen Luft war lediglich durch Dampf und Ruß aus dem Schornstein der Lok getrübt. Auf Straßenbahnen, alsbald elektrisch betrieben und mit Obergeschoss ausgestattet, fanden sich die Fahrgäste trotz Schutzgitter bedrohlich nahe der Oberleitung wieder. Und in London wurde der Personenverkehr mit Doppelstockbussen aufpoliert, die schnell zum Markenzeichen der Stadt wurden.

Über viele Jahrzehnte sahen die Schienen-Dostos allerdings alles andere als elegant aus. Eher wie Wellblech-Garagen mit Guckloch, mal eckig und plump wie ein Umzugskarton. Trotzdem gab es auch schon in den dreißiger Jahren Doppelstock-Schnellzüge, die zwischen Hamburg, Lübeck und Travemünde verkehrten und von Dampfloks mit Stromlinienverkleidung gezogen wurden. Schob die Lokomotive den Zug, konnte sie damals bereits vom anderen Ende des Zuges aus fernbedient werden.

Jedes Kilo weniger senkt den Energieverbrauch

Bei Bombardier in Görlitz wurden seit 1993 neue Wagen für den Doppelstockbetrieb entwickelt, moderne Drehgestelle, Mehrzweck- und Behindertenbereiche entworfen. Mit Hilfe einer neuen Frontpartie wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 160 km/h gesteigert; Fahrradabteile, Komfortsitze und Fahrgast-Informationssysteme mit Digitalanzeige kamen hinzu. Während die Außenabmessungen durch die Gleisabstände klar definiert sind und kaum ausgeweitet werden können, wird vor allem um jeden Zentimeter Beinfreiheit, um beinahe jeden Millimeter an den Sitzen und bei der Gangbreite gerungen. "Jedes Kilogramm, das wir sparen können, senkt zudem den Energieverbrauch", beschreibt Bombardier-Chefkonstrukteur Harald Schulze das Ziel. Leichtbauweise ist also Trumpf, um auf Wagengewichte zu kommen, die bei nur noch 50 Tonnen liegen.

Im Zusammenhang mit den 800 Waggons, die 2011 an die deutsche Bahn ausgeliefert werden sollen, haben die Ingenieure erstmals in der Doppelstockklasse motorisierte Steuerwagen realisiert - separate Lokomotiven, die bislang noch eingesetzt werden müssen, um die Wagenkompositionen zu ziehen, werden dann nicht mehr gebraucht. Und weil auch selbst die Dostos zu Hauptverkehrszeiten oder nach Spielen der Fußball-Bundesliga schnell überfüllt sein könnten, wird auf die höchstzulässige Achslast geachtet; rein theoretisch würde sie mehr als 300 Fahrgäste pro Waggon tragen. Eine automatische Fahrgastzählung dient der Kontrolle, ein lastabhängiges Bremssystem, das zudem mit einer Energierückspeisung gekoppelt ist, stellt die Bremskraft auf das jeweils aktuelle Zuggewicht ein.

Projekte für den Fernverkehr, an denen auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt ist, streben Neuentwicklungen an, mit denen Geschwindigkeiten zwischen 300 und 400 km/h möglich sein sollen. Den Doppeldeckern gehört offensichtlich die Zukunft.

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