Neue Assistenzsysteme:Steuer-Mann

Wer lässt sich schon gern ins Lenkrad greifen? In der Fahrschule, ja. Aber vom Auto selbst? In Grenzsituationen könnte dem Fahrer künftig die Kontrolle über sein Fahrzeug genommen werden.

Stefan Grundhoff

Mit Tempo 50 durch die enge Pylonengasse - so wie im täglichen Straßenverkehr. Ein Fußgänger tritt plötzlich hinter einer hellen Wand hervor - und noch bevor der Fahrer überhaupt reagieren kann, weicht die silberne S-Klasse flink nach links aus, umkurvt den erschrockenen Blondschopf und bremst hinter ihm sicher ab. Zum Glück ist der "Fußgänger" diesmal nur eine Puppe aus dem Dummy-Regal - und selbst die ist dieses Mal unbeschadet davongekommen. Das Horrorszenario selbst aber ist Autofahrern wohlbekannt und an ein Ausweichen ist im Zweifel kaum zu denken. Doch die Autos von morgen sind schlauer als ihr Fahrer - und schneller.

Neue Assistenzsysteme: Testfall Ausweichmanöver: Das kann das Auto in Zukunft selbst.

Testfall Ausweichmanöver: Das kann das Auto in Zukunft selbst.

(Foto: Foto: Daimler AG)

Wo selbst der aufmerksamste Autofahrer keine Chance mehr zum Ausweichen hat, übernimmt eine Bordelektronik, die schneller reagiert als jeder noch so geschulte Pilot. Noch ist die Technik nur in einem Versuchsträger von Mercedes-Benz verbaut. Und die Entwickler machen keinen Hehl daraus, dass bis zur Serienreife noch ein paar Jahre vergehen werden.

Doch sie kommt. Die nötigen Sensoren und Kameras sind in vielen Autos bereits heute eingebaut. Damit geht es nur noch um Rechenleistung und den Ausschluss etwaiger Fehlfunktionen. So präsentiert sich auch das Versuchsauto im Innenraum ungewöhnlich unspektakulär. "Wir haben im Bereich des Innenspiegels zwei statt gewöhnliche einer Kamera montiert", sagt Entwickler Armin Joops, der die Manöver auf dem Beifahrersitz verfolgt. "Dadurch wird das System genauer, weil es dreidimensional sehen kann - wie das menschliche Auge." Die beiden Kameras links und rechts vom Innenspiegel tasten die Umgebung dutzende Male pro Sekunde ab. Der Sehbereich reicht bis 30 Meter vor das Fahrzeug sowie jeweils vier Meter nach links und rechts.

Bereits heute sind verwandte Systeme zu kaufen. Die Nachtsichtassistenten von BMW oder Mercedes können in tiefster Dunkelheit und ohne Spur von Licht Personen vor dem Auto erkennen - und auf einem Display kennzeichnen. Das von Mercedes jetzt vorgestellte Assistenzsystem zum Fußgängerschutz ist eine logische Folge - diesmal jedoch auch bei Tag.

Kameras alleine reichen nicht

Doch mit den Kameras allein ist es nicht getan. Die intelligente Bordelektronik kann die Bewegungsrichtung von Personen und Bewegungen aufschlüsseln. Zudem muss das Fahrzeug mit einer elektrischen Servolenkung ausgestattet sein. Nur dann kann die Recheneinheit im Gefahrenfall selbstständig ein eigenes Lenkmanöver einleiten.

Eine elektrische Lenkung selbst ist dabei auch nichts Neues. So sind viele Kleinwagen bereits mit dieser Technik unterwegs, auch Volumenmodelle aus dem VW-Konzern. So kann man sich zum Beispiel am Lenkrad eines VW Passat CC davon überzeugen, dass bereits bei heutigen Autos in die Lenkung eingegriffen wird: Ist der Spurhalteassistent auf Autobahn oder Landstraße eingeschaltet, lenkt der Passat sanft zurück, sobald der Wagen aus der Spur driftet. Das letzte Lenkmoment muss bei diesem Assistenzsystem jedoch noch der Fahrer selbst veranlassen.

Das ist beim Notfallausweichen nicht mehr nötig. Die Kameras erkennen den Fußgänger, checken die Umgebung, den Gegenverkehr und weichen, wenn möglich, nach links aus.

Damit der Fußgänger auch als solcher erkannt wird, mussten die Entwicklungscomputer viele Stunden auf die Schulbank. Tausende von Kilometern legten Testfahrer in Prototypen auf den Straßen zurück. Hinterher wurden die Aufzeichnungen am Computer bearbeitet. "Wir haben dem Rechner beigebracht, was ein Fußgänger ist, und was nicht", erinnert sich Markus Enzweiler, zuständig für den Bereich Fußgängererkennung, an die letzten fünf Jahre. "Insgesamt haben wir mehr als eine Million Rechenbeispiele gesammelt."

Die "Null-Fehlerquote" muss sein

Lag die Fehlerquote anfangs noch bei über 20 Prozent, so ist nun auf unter fünf Prozent gesunken. Bevor die neue Sicherheitsausstattung in Serie geht, muss man aber bei einer "Null-Fehlerquote" angekommen sein. "Damit der Fußgänger nicht verletzt wird, reichen 80 Zentimeter aus", sagt Projektleiter Hans-Georg Metzler. "Aber es kann durchaus sein, dass sich dieser Abstand im Laufe der Entwicklung noch verändert."

Es muss auch nicht dabei bleiben, dass das Fahrzeug unvermeidlich nach links ausweicht. Berechnet der Computer alle 40 Millisekunden, dass eine Vollbremsung den gleichen Erfolg bringt, bleibt die S-Klasse in ihrer Spur und bremst maximal ab. Ausgewichen werden soll nur dann, wenn nichts anders mehr hilft, die Gegenrichtung frei und genügend Platz vorhanden ist.

Langfristig ist auch ein Notfallausscheren nach rechts auf Grünstreifen, Wiese oder Bürgersteig angedacht. "Doch diesen Bereich eindeutig als nutzbare Verkehrsfläche zu erkennen ist überaus schwierig. Das sehe ich erst einmal nicht", sagt Metzler weiter. "Die Freiraumanalyse ist hier besonders schwer."

Doch auch ein Kreuzungsassistent scheint mit dieser Entwicklung nur eine Frage der Zeit. Wieso sollte nur bei der Gefahr eines Zusammenstoßes mit einem Fußgänger gebremst oder ausgewichen werden und bei einem kreuzenden Fahrzeug nicht?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: