Neuausrichtung bei Volkswagen:VWs Elektro-Strategie hat Schönheitsfehler

Volkswagen Showcar I.D. I.D. ? die Revolution. Der erste Volkswagen auf der völlig neuen Elektrofahrzeug-Plattform. Der erste Volkswagen, der für das automatisierte Fahren vorbereitet ist.

Die Elektroauto-Studie I.D., deren Serienversion 2020 auf den Markt kommen soll.

(Foto: Volkswagen AG)
  • VW steckt noch im Sumpf des Abgasskandals fest und muss gleichzeitig seine Zukunft in der Elektromobilität planen.
  • Dennoch will der Konzern bis 2025 Marktführer bei den Elektroautos werden und zu diesem Zeitpunkt eine Million Batteriefahrzeuge jährlich verkaufen.
  • Doch dabei hat Volkswagen mit vielen internen Problemen zu kämpfen.

Analyse von Joachim Becker

Kurz nachdem er bei VW anheuerte, brach der perfekte Sturm los. Herbert Diess präsentiert sich nun als Retter in der Not: "Mit Transform 2025+ haben wir den größten Veränderungsprozess in der Geschichte unserer Marke angestoßen." Die Operation Zukunft hat jedoch einen Schönheitsfehler: Ein Großteil der Mannschaft wird erst einmal mit Altlasten beschäftigt sein - nicht nur wegen des Dieselskandals: "Unsere Fixkosten sind stark gestiegen, gleichzeitig sind wir bei der Produktivität nicht auf Augenhöhe mit den Volumenwettbewerbern. Es fehlt seit Jahren ein Erfolgskonzept für die USA. In Economy-Märkten wie Brasilien oder Indien verlieren wir gegenüber den Wettbewerbern an Boden. Teilweise haben wir auch Marktentwicklungen verschlafen, allen voran den SUV-Boom. Die Organisation ist insgesamt noch sehr hierarchisch und bürokratisch. Und letztlich ist unsere Rendite viel zu gering, um die notwendigen Zukunftsinvestitionen leisten zu können."

Auf dem Wolfsburger Supertanker ist es Brauch, dass jeder neue Kapitän vor dem Untergang warnt. So war es 2007 bei Martin Winterkorn, als er den Wachstumsplan "Mach 18" präsentierte. Nach dem Abgas-Skandal klingt die Strategierede von Diess allerdings noch etwas düsterer: "Nicht nur Volkswagen muss sich auf einen schnellen, harten Umbruch einstellen. Dieser wird alle Autohersteller treffen. Volkswagen startet allerdings aus einer besonders schwierigen Situation in diesen Umbruch", orakelte der Ex-BMW-Manager in der vergangenen Woche.

Der befürchtete Käuferstreik ist ausgeblieben

Der VW-Markenvorstand will mit eisernem Besen durchkehren: "Bei Nachfolgern und Neufahrzeugen werden wir die Zahl der Varianten um 30 bis 60 Prozent reduzieren." Nach dem Kehraus sollen doppelt so viele SUV-Modelle erst einmal Geld verdienen.

Zum Glück für die Wolfsburger ist der befürchtete Käuferstreik ausgeblieben. Nach den ersten drei Quartalen dieses Jahres ist VW wieder der weltweit absatzstärkste Autohersteller - knapp gefolgt von Toyota und General Motors. Das Wohlwollen der Kunden hat sich die Marke einiges kosten lassen. Statt Rabattaktionen braucht VW jedoch bessere Margen. Zum Beispiel durch die digitale Plattform "We" (englisch: wir). "Bis 2025 wollen wir rund 80 Millionen Nutzer für diese Plattform gewinnen", so Diess, "im Jahr 2025 wollen wir mit Diensten rund um das vernetzte Auto rund 1 Milliarde Euro Umsatz pro Jahr machen."

Der Traum vom schnellen Geld in der Internet-Ökonomie treibt fast alle Hersteller um: Geringe Gestehungs- und Vertriebskosten sollen digitale Dienste einfacher in hohe Gewinne verwandeln. Anders sieht das Geschäft mit den Stromern aus: Elektro-Antriebe haben den Autobauern bisher nur Verluste eingebracht. Mit einer Ausnahme: "Der erste Toyota Prius war eine Investition, dann haben wir die Stückzahlen langsam hochgefahren und ab der zweiten Generation gutes Geld verdient - heute sicher so viel wie mit einem Dieselmodell", berichtet Gerald Killmann, Entwicklungschef von Toyota Motors Europe. Entscheidender Erfolgsfaktor war und ist die hohe Fertigungstiefe: Toyota baut seine Batterien komplett selbst. Zusammen mit Minderheitspartner Panasonic produzieren die Japaner 200 Millionen Zellen pro Jahr in einer eigenen Batteriefabrik.

Erst jetzt traut sich Toyota an reine Elektroautos heran

Die Zellfertigung ist die Gretchenfrage der Elektromobilität: Mit etwa 20 Prozent machen die Akkus einen großen Teil der Wertschöpfung aus - mehr als Verbrennungsmotor und Getriebe in konventionellen Autos. Wer wirklich an eine Zukunft der Stromer glaubt, muss daher bei der Zellchemie vorne mitspielen. Die deutschen Autofirmen haben Milliarden in Motorenwerke investiert, deshalb halten sie sich bei Zellfabriken zurück. Wer die neue Kerntechnologie nicht beherrscht, riskiert jedoch zehn oder 20 Prozent Rückstand bei Reichweite und Kosten. Tesla plant bereits weitere Gigafabriken für Batteriezellen: Mit einer 30 Prozent höheren Energiedichte sollen die Akkus zum Start des Volumenmodells 3 in zwei Jahren entsprechend billiger werden.

Nur Toyota hat zwei Jahrzehnte Erfahrung damit, einen alternativen Antrieb in den Volumensegmenten zu verankern. Seit 1992 arbeiten die Japaner am Hybrid und seit 1996 entwickeln sie Brennstoffzellenfahrzeuge - die nichts anderes sind als E-Mobile mit Wasserstofftank und Energiewandler. Trotz der Expertise zögerten sie lange, ein reines Elektrofahrzeug auf den Markt zu bringen. Aus gutem Grund: Erst nach intensiver Forschung traut sich Toyota zu, Lithium-Ionen-Akkus über zehn Jahre und mehrere Hunderttausend Kilometer sicher zu betreiben. Die neue Abteilung für die Entwicklung rein Batterie-elektrischer Vehikel (BEV) wird Konzernchef Akio Toyoda persönlich leiten. Der Toyota-Präsident hat Prius-Chefingenieur Koji Toyoshima zum Leiter des Ingenieursteams der neuen BEV-Abteilung berufen. Wie bei VW ist die E-Mobilität also auch bei den Japanern Chefsache.

Andere Hersteller sind VW bereits voraus

VW betritt mitnichten komplettes Neuland, wie Diess behauptet: "Wir gehören zu den Ersten, die sich konsequent auf die Zukunft der Automobilindustrie ausrichten. Kein anderer Hersteller geht so mutig und offensiv an diese Herausforderung heran." Opel ist schon weiter und bringt mit dem Ampera-e nächstes Frühjahr ein kompaktes Batteriemodell mit 500 Kilometer Normreichweite auf den Markt. Auch das Renault-Nissan-Konsortium hat seit 2009 etliche Milliarden Euro in die Elektromobilität investiert. Die Franzosen planen aktuell einen Billig-Stromer für die asiatischen Märkte - während VW dort noch nicht einmal mit einem konventionellen Budget-Car vertreten ist.

Die Wolfsburger Fehleinschätzungen haben Tradition. "Wir wollen der umweltfreundlichste Autohersteller der Welt werden!", hatte Martin Winterkorn schon 2008 mit Blick auf Toyota gesagt. Damals hatten die Japaner bereits 1,5 Millionen Hybride verkauft, nicht zuletzt im umweltbewussten Kalifornien. Der Betrugsdiesel EA 189, der im gleichen Jahr auf den US-Markt kam, sollte die sparsamere Alternative zum Hybrid sein. Mit den bekannten Folgen.

Der Technologietransfer mit Audi funktioniert nicht

"Bis 2025 wollen wir als erster eine Million Elektroautos pro Jahr verkaufen", kündigt Diess nun an. Das Problem ist nur: Niemand im Konzern hat dafür die nötige Erfahrung. Das zeigt das Beispiel Phaeton. Vor einem Jahr ließ Diess die laufende Entwicklung des VW-Flaggschiffs stoppen. Die konservative Luxuslimousine, die nie auf Augenhöhe mit den Premiummarken spielte, sollte durch einen "Leitstern für das Profil der Marke in der nächsten Dekade" ersetzt werden. Doch der beabsichtigte Technologietransfer vom Audi E-tron funktionierte nicht. Aus einem Elektro-SUV mit über 500 Kilogramm schweren und hohen Batterien lässt sich keine sportlich-elegante Limousine zimmern. Audis 2,5-Tonner ist ein einsamer und entsprechend teurer Technologieleuchtturm im Konzern. Und von einem großen VW als Tesla-Gegner ist keine Rede mehr.

Die Wolfsburger mussten komplett von vorne beginnen. Ihr Modularer Elektro-Baukasten (MEB) konzentriert sich auf die Frontquerplattform, die 80 Prozent des Konzernvolumens ausmacht. "Wir werden zwei Wellen der Elektrifizierung haben. In der ersten Phase bis 2025 geht es um die Kernmodelle", so der Markenchef. Parallel zum Golf soll der ähnlich große I.D. rein elektrisch unterwegs sein. Auch dem Tiguan und der Passat-Limousine werden Steckervarianten mit eigenständigem Design zur Seite gestellt.

Vorteil der Stromer: Ohne Verbrennungsmotor bieten sie das Platzangebot der nächst höheren Klasse. Die Batterie zwischen den Achsen wird allerdings die Sitze um vier Zentimeter in die Höhe schieben. Statt einem Golf wird ein serientauglicher I.D. eher dem Hochdachauto Golf Plus ähneln.

Toyota fährt mehrgleisig

Schon warnt VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, man dürfe nicht zu sehr auf die E-Mobilität setzen. Die Gefahr ist gering, der BMW-i-geschädigte Diess geht trotz aller Jubelparolen mit Bedacht vor. Genauso wie Toyota. Mit viel Beharrlichkeit wurden die Japaner mit neun Millionen Hybridfahrzeugen zum Weltmarktführer bei alternativen Antrieben. "Wir haben immer gesagt, dass E-Mobilität anders sein muss. Sie eignet sich ideal für den Stadtverkehr und braucht deshalb andere Fahrzeugkonzepte. Auf der Langstrecke sehen wir weiterhin die Brennstoffzelle vorn", erklärt Dirk Breuer, Toyota-Pressesprecher für Technik in Deutschland.

Der Absatz des Brennstoffzellenfahrzeugs Mirai stagniert aber genauso wie der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Deshalb folgen auch die Japaner dem batterie-elektrischen Mainstream in China. Mit der geringen Erfahrung von hunderttausend (Teilzeit-)Stromern muss VW erst noch zeigen, wie Elektroautos für die breite Masse erschwinglich werden. Viel Zeit bleibt nicht: Ohne die Stromer drohen enorme Strafzahlungen wegen zu hoher CO₂-Werte (mehr dazu in diesem Bericht).

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