Nazca M12 / Alfa Romeo Scighera:Da war sogar der Sheriff sprachlos

Italdesign baut regelmäßig Studien, um Design-Kompetenz zu zeigen - aber sie sind unverkäuflich

(SZ vom 24.12.1998) Wer sich ein Herz für Autodesign, außergewöhnliche Formen und ungewöhnliche Technik bewahrt hat, kommt nicht um die Designstudien herum, die auf den großen Automobilausstellungen die Aufmerksamkeit erringen. Es sind von Hand gefertigte Einzelstücke, die als Paradiesvögel einer nur selten in die Realität mutierenden Fahrzeuggattung für Aufsehen sorgen. Diese Studien sollen in die Zukunft weisen, für Diskussionen sorgen und den Ruhm ihrer Gestalter mehren. Und sie sollen natürlich auch - und das ist ihr legitimes Recht - Werbung für ihre Schöpfer machen. Unter dem Gesichtspunkt der Mobilität gesehen, spielen sie jedoch letztlich eine eher merkwürdige Rolle, denn sie sind so gut wie nie mobil, sprich: fahrbar.

Eine rühmliche Ausnahme spielen da die Prototypen und Designstudien des Hauses Italdesign. Das in Moncalieri bei Turin beheimatete Unternehmen ist eines der erfolgreichsten Designstudios, das im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte einige der wichtigsten Fahrzeuge in Form brachte - beispielsweise die erste VW Golf-Generation oder den Alfasud. Hinter dem Unternehmen steht Giorgetto Giugiaro, einer der wirklich großen Automobil-Designer, der mit Modellen wie der Alfa Giulietta, dem Maserati Ghibli, dem Fiat Ritmo oder dem Lamborghini Miura - um nur eine kleine Auswahl zu geben - Automobilgeschichte schrieb.

Träume, die man fahren kann

Ihm zur Seite steht seit einigen Jahren sein Sohn Fabrizio, der es als Sohn dieses Über-Vaters zwar nicht immer einfach hat : "Wahrscheinlich ist er mit mir noch kritischer als mit sich selbst", sagt Fabrizio, der aber dennoch langsam dabei ist, seine eigene Linie zu finden.

Zu diesem Abnabelungsprozeß haben zweifellos ein paar Studien beigetragen, die auf den Ausstellungen für Furore sorgten - darunter der Nazca M12 und der Alfa Romeo Scighera. Während der Nazca M12, der im März 1991 auf dem Genfer Autosalon Premiere feierte, trotz seiner avantgardistischen Form über eine eher konventionelle Technik verfügt, geriet der erstmals 1997 zu sehende Alfa Romeo Scighera mehr zu einem verkappten Rennwagen, dessen Karosserie aus einer Mixtur aus Aluminium und Karbon besteht - und in dessen Heck ein 3,0-Liter-Sechszylinder schlummert, dem mit der Hilfe von zwei Turboladern 400 PS (294 kW) entlockt werden können.

Damit unterscheidet sich der betont sportlich ausgelegte Scighera schon grundsätzlich von dem Nazca M12, der zwar ebenso über all die klassischen Sportwagenproportionen verfügt, und mit einer Breite von 1,99 Metern und einer Höhe von 110 Zentimetern unglaublich flach auf der Straße kauert.

Im August diesen Jahres ergab sich nun in Kalifornien - nach einem vielumjubelten Auftritt bei dem Concours d'Elégance in Pebble Beach - die reizvolle Chance, die beiden Prototypen einmal selbst im kalifornischen Hinterland zu fahren. Und dabei entpuppte sich der Nazca M12 - wenn man ihn denn einmal geentert hat - als klassischer Gran Turismo, der über erstaunlich viel Innenraum und Schulterfreiheit verfügt. So gilt es denn auch zuerst, sich an die niedrige Sitzposition zu gewöhnen, aus der man zu normalen Fahrzeugen hinaufzublicken hat.

Allerdings ist dem Nazca-Fahrer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit sicher - selbst hartgesottenen Sheriffs bleibt nichts außer einem eher hilflosen Lächeln, wenn sie den beiden silberfarbenen Flundern erstmals begegnen. Mit einer Tageszulassung auch versicherungstechnisch abgesichert, sind Scighera und Nazca völlig legitim unterwegs - und so bleibt der deutliche Hinweis, daß sich auch derartige Gefährte an die amerikanischen Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten haben, der einzige Beitrag der ansonsten verstummten Ordnungshüter.

Ein Hinweis, der nicht weiter nötig gewesen wäre, denn wer möchte schon als der Fahrer in die Auto-Geschichte eingehen, der einen handgefertigten, millionenteuren Prototyp zu Schrott gefahren hat?

Da im Nazcar M12 ein serienmäßiger BMW-Zwölfzylinder mit 5,0 Liter Hubraum montiert ist, dessen 300 PS (221 kW) über ein Seriengetriebe an die Hinterräder weitergereicht werden, ist das Fahren selbst ein Kinderspiel - wenn man sich einmal an die Sitzposition und die (unübersichtlichen) Proportionen gewöhnt hat. Daß der Wagen mehr als 300 km/h erreicht, scheint bei den Rahmendaten (Leergewicht: 1100 Kilogramm) recht wahrscheinlich - und man glaubt gerne, daß Italdesign etliche Anfragen reicher Autosammler hatte, die sich nur allzu gerne ein solches Juwel in die klimatisierte Garage gestellt hätten.

Jedoch: "Wir bauen diese Studien, um für uns Werbung zu machen - und wir haben auch gar nicht die Kapazitäten, um Kleinserien fertigen zu können", mußte Fabrizio Giugiaro immer wieder Kaufgebote ablehnen.

Ein Rennwagen in Haute Couture

Der Wunsch, einen Alfa Romeo Scighera zu besitzen, erfordert da schon eine deutlich sportlichere Grundeinstellung. Denn dieses Gefährt besitzt nicht nur einen auf Höchstleistung getrimmten Sechszylinder, dessen 400 PS sich - dank der beiden Turbolader - in Windeseile einfinden, sondern auch ein Rennwagenchassis und ein sequentielles Getriebe, das großzügig auf eine Kupplung und einen herkömmlichen Schalthebel verzichtet. Hier wird an einem Schalthebel gedrückt oder gezogen (je nachdem, ob man hinauf- oder hinunterschalten möchte), und schon finden zwei neue Zahnräder deutlich hörbar zueinander.

Zusammen mit dem vollverglasten Dach ergibt sich so rasch eine hitzige Atmosphäre, in der die reine Freude am Fahren rasch über jegliches Hoffen auf Komfort oder Bequemlichkeit siegt - keine Frage: Der Scighera ist ein für die Straße domestizierter Rennwagen, dessen Haute-Couture-Kleid nur allzu leicht darüber hinwegtäuscht, daß er eigentlich beleidigt ist, wenn er von normalen Menschen wie Sie und ich gefahren wird. Er ist laut und hart, beschleunigt in 3,8 Sekunden von Null auf 100 km/h - und erst weit jenseits der 300 km/h heben sich Vortrieb und Luft- und Rollwiderstände endlich auf.

Im Klartext: Der Scighera ruft nach einem Mika Hakkinen als Fahrer - oder, als Italiener, nach einem Giancarlo Fisichella. Darunter fährt er eigentlich nicht los - oder er knirscht vernehmlich mit seinen Zahnrädern.

Von Jürgen Lewandowski

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