Nachschau: Bulli-Jubiläum:Traum ist in der kleinsten Hütte

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Mit einer Riesen-Fete feierte die Gemeinde der Bulli-Fans am letzten Wochenende den 60. Geburtstag ihres Lieblings-Volkswagens.

Tanja Rest

"Well I'm gonna find a home on wheels/ See how it feels, goin' mobile/ Keep me moving" (The Who)

"Letzten Endes ist man ja selbst ein beschissener Spießer geworden", sagt Walter. Und weil sich diese verzweifelte Äußerung nicht automatisch erschließt, bloß weil ein Mann in gebügelten Freizeitklamotten einem verbeulten T2-Modell gegenübersteht, zieht er zur Erläuterung ein Foto aus der Tasche. Am unteren Bildrand hat jemand Ort und Datum notiert: Goa, 1969. Das Bild selbst zeigt einen blauweißen VW-Bus mit rosa Sternchen und Peace-Zeichen auf der Schnauze. "Das ist Janis", sagt Walter.

Janis sieht aus, als sei ihr die Reise nach Goa nicht sonderlich bekommen, jedenfalls macht sie einen irgendwie angegriffenen Eindruck. Was man von den drei langhaarigen Jungspunden neben ihr nicht behaupten kann: Sie sind jeder mit einem Batiktuch bekleidet und grinsen so doof-froh in die Kamera, dass eigentlich nur die Liebe oder besonders gutes Dope im Spiel sein kann. "Der in der Mitte, mit Joint, das bin ich."

Wenn die Sehnsucht kommt

Allmählich versteht man, dass Walter einen weiten Weg zurückgelegt hat, weiter als den von Recklinghausen nach Indien. "Die Janis haben wir in Bombay verschrottet, da könnt' ich heut noch heulen." Heute ist Walter kurzhaarig, drogenfrei und Entwickler bei einem Küchengeräte-Hersteller; zur Arbeit fährt er in einem Audi A4. Darüber hat er noch nie groß nachgedacht. Aber jetzt, Auge in Auge mit dem Janis-Doppelgänger, da kommt er sich wie ein Verräter vor.

Es hätte sich einer die Mühe machen sollen, beim internationalen VW-Bus-Treffen in Hannover einfach nur die Gesichter der Menschen zu fotografieren. Der Ausdruck darin ist immer der gleiche: eine Mischung aus Freude, Belustigung, Nostalgie und - nein, nicht Gier. Sondern Sehnsucht. Die Vorstellung, dass tief in einem selbst doch ein Aussteiger vorhanden sein könnte. Dass ein Leben ohne Family-Van mit Parksensor, Abstandsregler und Janosch-Sonnenschutz möglich wäre...

Es ist die Sehnsucht nach Reduktion, die sich auf eine einfache Formel bringen lässt: 25 PS, 100 Stundenkilometer Spitze, Rückbank ausklappbar. Oder, wie der Besitzer eines rostigen T1-Modells auf der Heckscheibe notiert hat: "Home is where you park it."

Hannover, Messegelände. 5000 Bullis stehen Stoßstange an Stoßstange. Und wenn man sie einmal ganz leidenschaftslos betrachtet, ohne nostalgisches Sentiment und kindliche Niedlichkeitsseligkeit, dann fällt vor allem eines auf: dass sich dieser Bulli bei seiner Fahrt durch die deutsche Nachkriegsgeschichte um Ideologien nie groß geschert hat.

Die Neuen leistet man sich, die Alten liebt man

Da ist der brave Arbeits-Bulli, wahlweise mit Feuerwehrleiter, Polizeisirene oder Ladefläche für Schweinehälften ausgestattet. Oder der etwas bekifft aussehende Flower-Power-Bulli mit Prilblumen auf der Karosserie, Peace-Anhänger am Rückspiegel und Surfbrett auf dem Dachgepäckträger. Es gibt den sechs Meter langen Stretch-Bulli mit Fernseher und Minibar an Bord; den kriegerischen Bulli in Tarngrün, der in der Schweizer Armee gedient hat; den freundlichen Familien-Bulli, der laut Schriftzug auf den Namen "Clementine" hört. Und den Business-Bulli, den gibt es seit kurzem auch - mit Ledergarnitur, Konferenztisch, Edelholzfurnieren und Multimediakonsole kostet er 119.000 Euro aufwärts.

Alle diese Bullis gehen auf einen Apriltag im Jahr 1947 zurück. An diesem Tag besuchte der niederländische Volkswagen-Importeur Ben Pon das Wolfsburger Werksgelände, wo er ein Gefährt erblickte, das VW-Mitarbeiter gebaut hatten, um Schwerplatten zu befördern.

Was Pon in sein Notizbuch krakelte, sah wie der Versuch eines Achtjährigen aus: eine länglich-rundliche Gestalt auf Rädern... Drei Jahre später rollte, auf der Basis des Käfers, der leibhaftige T1 vom Band. Er war nicht minder rundlich, hatte eine zweiteilige Windschutzscheibe und vorwitzige Scheinwerferaugen und wurde vom hingerissenen Volk folgerichtig und unverzüglich "Bulli" getauft.

Ben Pon hätte sicher nicht gedacht, wie viel Liebe seinem kleinen Transporter in den folgenden Jahrzehnten entgegenschlagen sollte. Der Bulli wurde das Wirtschaftswunder-Vehikel, dann das erste Reisemobil der Deutschen, später der Dienstwagen der Hippies und schließlich die Limousine der Freizeitgesellschaft.

Der T5 California kommt für 50.000 Euro heute mit elektronischem Aufstelldach, Klimaanlage und 130 PS daher und ist fast schon ein Statussymbol. Das Publikum beim Bulli-Treffen teilt die Modelle aus beinahe 60 Jahren dann auch gnadenlos in zwei Gruppen: Den Neuen leistet man sich. Den Alten liebt man.

In einem solchen antiken Bulli - "66er Baujahr, Dormobil-Dach, findest du in der Ausführung noch fünf Mal weltweit" - sitzt an diesem Tag Claus Missing aus Düsseldorf und genießt sichtlich die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit: Zwölf Leute schauen zu, wie er auf der quer hinterm Fahrersitz montierten Küchenzeile - "Modell SO44, Luxusausstattung, hat damals 2500 Mark Aufpreis gekostet" - Kaffee kocht.

Ein Schnäppchen für 26.000 Euro

Missing, 36, hat sich vor zwanzig Jahren das Käfer-Virus eingefangen und ist dann auf den VW-Bus umgestiegen. Wie jeder Bulli-Besitzer ist er überzeugt, dass unter der Blechhülle - "ungeschweißt, Erstlack, Seeblau und Cumulusweiß" - das Herz einer starken Persönlichkeit pocht. "Dieser Bus wollte zu uns", sagt er jedenfalls.

Eine Viertelstunde lang stand der T1 vergangenes Jahr im Internet, da hatte ein Interessent aus England schon das Flugticket gekauft. Missing war schneller: "Um acht Uhr morgens stand ich bei dem Anbieter im Nebel auf der Matte." 26.000 Euro hat er für die cumulusweißblaue Schönheit gezahlt, "da muss man sagen: Schnäppchen".

Man kann es aber auch machen wie Harald Reimann, Ingenieur in Rente: Er hat für seinen 23-fenstrigen T1 - "schreiben Sie Samba-Bus, Baujahr 55, das ist wichtig" - vor 14 Jahren 5000 Mark gezahlt und 1500 Arbeitsstunden draufgelegt. "Jeder Mensch mit Verstand hätte das Ding weggeschmissen", sagt er. "Für mich war's eine Herzenssache."

Und da ist er wieder, der Mythos vom rollenden Lebensraum. In einem ebensolchen Samba-Bus nämlich ist Reimann 1967 von Berlin nach Nepal gefahren und Jahre später die Panamericana, in zwei langen Etappen von Feuerland bis rauf nach Alaska.

Das Geheimnis des Bulli: "Es gab keinen Besseren"

Er hat seinen Bulli eigenhändig über die höchsten Andenpässe geschoben, weil der 34-PS-Motor pro tausend Höhenmeter zehn Prozent an Leistung verlor. Er hat ihn in Panama verschifft und in Buenaventura erwartet, "am Hafen dachten alle, der ist Deutscher, da kommt jetzt ein Mercedes mit Chauffeur - und nach zwei Wochen hab ich die verbeulte Mühle ausgeladen!"

Er hat sich die Ersatzteile mit dem Greyhound-Bus aus Kanada kommen lassen, weil ihm in Alaska der Motor auseinandergeflogen war. Und wieder später, nach einer Tour durch Nordafrika, hätte er den Bulli auf Sizilien um ein Haar stehen lassen müssen, weil die Fähre nach Italien nur Autos bis zwei Meter Höhe laden konnte. "Da hat der Kapitän zwei Ladebäume aufgebaut, ein Netz runtergelassen und ihn an Bord gehievt."

Harald Reimann erzählt von seinem Bulli wie von einem alten Kumpel, der ihn zwar manchmal Nerven gekostet, aber niemals im Stich gelassen hat. Weshalb er die Frage, was denn nun eigentlich das Geheimnis dieses VW-Transporters ist, relativ umstandslos beantwortet. "Es gab keinen Besseren."

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