Nach der Übernahme durch VW:Porsche wird zum Über-Audi

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Sieben neue Baureihen sollen bis 2017 aus Zuffenhausen kommen. Dabei wird der Sportwagenbauer konsequent ins Baukastensystem des VW-Konzerns integriert. Gerade mit Audi dürfte Porsche in Zukunft technisch enger zusammenrücken.

Georg Kacher

Porsche ist aktuell der ertragsstärkste Automobilhersteller der Welt, das ist Werk vieler Köpfe. Wendelin Wiedeking leitete den Turnaround ein, als er das Gleichteilekonzept für Boxster und 911 mit dem Rotstift in die Tat umsetzte und wenig später den Geländewagen Cayenne nachschob. Nachfolger Michael Macht zimmerte mit seinem schlanken Produktionskonzept das Gerüst für profitables Wachstum. Entwicklungschef Wolfgang Dürheimer setzte Maßstäbe in Bezug auf Fahrdynamik und Effizienz. Ferdinand Piëch wachte - mal aus der Distanz und dann wieder aus unmittelbarer Nähe - über die Unternehmensstrategie, über das Produktportfolio, über die Volkswagen-Connection und über den verfreundeten Porsche-Clan. Seit dem misslungenen David-gegen-Goliath-Aufstand regieren in Zuffenhausen bewährte Netzwerker des neuen Mehrheitsaktionärs. Der durchaus auch als Visionär begabte Vorstandsvorsitzende Matthias Müller ist im Konzern verdrahtet wie kaum ein Zweiter, der neue Entwicklungschef Wolfgang Hatz absolviert in Weissach die Reifeprüfung vom Motorenspezialisten zum Gesamtfahrzeug-Profi, der für Vertrieb und Marketing zuständige Bernhard Maier schafft Absatzrekorde in Folge.

Die aktuelle Modellpalette entstand noch unter Wolfgang Dürheimer. Der inzwischen über Bentley/Bugatti zu Audi umgeleitete Vordenker hat Boxster und 911 ein eigenständigeres Profil gegeben, den Cayenne aufgehübscht, den Cayman-Nachfolger (Debüt im November) auf den Weg gebracht, dem eher unförmigen Panamera tadellose Fahreigenschaften anerzogen und mit dem 918 Spyder Hybrid ein erstes grünes Ausrufezeichen gesetzt, das 2013 auf den Markt kommen wird. Unter Matthias Müller soll dieses Erbe nun konsolidiert und ausgebaut werden. Den ersten Schritt macht man mit dem kleinen Cayenne, der Macan heißt und ab dem nächsten Jahr bei Porsche in Leipzig produziert wird. Der SUV ist ein neu eingekleideter Audi Q5, der mit mehr Leistung und mehr Prestige gegen X3, GLK und Evoque antreten soll. Kleiner Einsatz, große Wirkung. So entstehen Synergieeffekte, aus denen schon bald ein Macan Coupé entstehen könnte.

Porsche und Audi - eine Beziehung zwischen produktiver Nähe und offener Rivalität. Die Nähe entsteht aus der Notwendigkeit zur Kooperation. Porsche hätte zwar für die großen Geländewagen (Audi Q7, VW Touareg, Cayenne, Bentley Falcon, Lamborghini Urus) ein SUV-Derivat des hauseigenen modularen Standardantrieb-Baukastens MSB parat gehabt, doch nach kurzer Diskussion einigte man sich auf die Hochboden-Architektur des von Audi verantworteten modularen Längsbaukastens MLBevo. Im Gegenzug darf Porsche für alle Sportwagen, die im Konzernverbund entstehen, das Konzept entwickeln.

Das Zauberwort heißt MBB

Ausnahmen bestätigen die Regel: Der Nachfolger des Audi R8 und die weitgehend baugleiche Neuauflage des Lamborghini Gallardo sind ein Sonderfall, der schon vor dem Zusammenschluss definiert wurde. Die Zuständigkeit dieses modularen Sportwagen-Systems MSS liegt in Ingolstadt, doch bereits im nächsten Zyklus dürften die beiden Mittelmotor-Boliden aus Bayern nach Baden-Württemberg übersiedeln.

MMB heißt der modulare Porsche Mittelmotor-Baukasten, in den eines Tages auch der Heckmotor-Elfer integriert wird. Theoretisch funktioniert MMB vom kleinen VW Roadster bis zum mächtigen Lamborghini Aventador mit V12-Triebwerk, doch ohne ein Aufsplitten in zwei oder drei Gewichtsklassen ist eine derart breit gefächerte Modularität kaum darstellbar. Außerdem stellt sich hier erneut die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, die Marken Porsche, Lamborghini, Bentley und Bugatti in einer eigenständigen Luxuswagen-Gruppe unter Stuttgarter Führung zusammenzufassen.

Das MMB-Thema wird vermutlich erstmals 2016 ein greifbares Ergebnis zeitigen. Die Rede ist vom Porsche 960 Coupé, einem Supersportwagen, der in einem Atemzug mit dem 959 und dem Carrera GT genannt werden darf und nicht nur den Ferrari 458 Italia im Visier hat, sondern auch den für 2013 erwarteten Enzo-Nachfolger. Porsche besinnt sich hier auf seine traditionellen Stärken: Leichtbau bis ins kleinste Detail, Top-Aerodynamik, überlegene Fahreigenschaften, maximale Effizienz, absolute Alltagstauglichkeit. Dabei bleibt man dem Sechszylinder-Boxer treu - allerdings in einer komplett neu entwickelten, verschärften Ausprägung. Der Sechser wiegt weniger, braucht weniger und ist kleiner. Außerdem hilft die Boxer-Bauweise, den Schwerpunkt deutlich abzusenken. Ein neues Brennverfahren, eine fortschrittliche Aufladetechnik sowie eine radikal innovative Ansaug- und Abgasanlage sollen Leistung, Verbrauch und Fahrbarkeit optimieren. Mit etwa 600 PS aus 3,8 Liter Hubraum dürfte das Mittelmotor-Leichtgewicht bestens gerüstet sein für die Ferrari-Frage.

Ursprünglich sollte der MMB-Ersteinsatz jenem preisgünstigen VW-Roadster auf die Sprünge helfen, der aus dem BlueSport-Konzept entstanden war. Doch immer wieder scheiterte das Projekt an den Kosten, den zu geringen Stückzahlen und dem kaum verhohlenen Desinteresse von Audi, wo man sich an dem Projekt nicht beteiligen will. Porsche könnte den Mittelmotor-Sportwagen zwar auch im Alleingang stemmen, doch inzwischen genießt der Zweisitzer nur mehr dritte Priorität. Der Grund: Die Mannschaft unter Wolfgang Hatz arbeitet schon jetzt an der Kapazitätsgrenze, der kompakte Roadster zahlt in die Marke weniger ein als andere mögliche Neuzugänge, die Marge steht in vergleichsweise ungünstiger Relation zum Aufwand, Produktion und Vertrieb wären mit einem zeitnahen Startschuss wohl überfordert. Der Porsche 551, der als Coupé und als Roadster geplant war und für den speziell ein kleiner 1,6-Liter-Turbo-Boxermotor entwickelt werden sollte, ist zwar nicht mausetot, aber er liegt auf Eis. Mit dem Beginn der Auftauphase rechnen selbst Optimisten kaum vor 2017.

Im Frühjahr 2013 startet der vor allem an Bug und Heck modifizierte Panamera. Außerdem wird es - in erster Linie für den Export - eine Luxusausführung mit verlängertem Radstand geben. Schon auf dem Pariser Salon im September will Porsche mit dem Panamera-Shooting-Brake-Konzept die Akzeptanz einer weiteren Variante testen. Vermutlich steht bereits auf der IAA 2015 der völlig neue Panamera II, der viel gefälliger, geringfügig kompakter und deutlich leichter ausfallen soll. Von diesem Modell dürfen wir uns neben dem Shooting Brake auch ein viersitziges Cabrio und möglicherweise sogar ein großes Coupé vorstellen - der 928 lässt schön grüßen. Den technischen Unterbau hat Porsche in Rekordzeit entwickelt. Auch hier handelt es sich wieder um einen Baukasten, der trotz Allrad-Option auf das Kürzel MSB (Modularer Standard-Antrieb) hört. Die neue Front-Mittelmotor-Architektur glänzt mit idealer Achslastverteilung, intelligentem Leichtbau-Materialmix, hoher Steifigkeit und sparsameren Motoren.

MSB dient nicht nur als Genspender für den Panamera II, sondern auch als neue Heimat für die Bentley-Modelle Continental (GT, GTC, Flying Spur) und Mulsanne sowie für den von Startschwierigkeiten geplagten Bugatti Galibier. Darüber hinaus denkt Porsche über ein kleineres Frontmotor-Fahrzeug auf MSB-Basis mit dem Codenamen Pajun (Panamera Junior) nach, das Mitte 2017 in Serie gehen könnte. Der Pajun hat ungefähr E-Klasse-Format, ist schwerpunktmäßig mit V6-Motoren bestückt und wäre am Ende in verschiedenen Ausprägungen verfügbar. Den Anfang macht dem Vernehmen nach ein viertüriges Coupé, dem ein Shooting Brake und ein noch nicht näher definierter Zweitürer folgen sollen. Für die MSB-Familie, für den Cayenne sowie für die Spitzenprodukte von Audi, Bentley, Lamborghini und VW bereitet Porsche derzeit den sogenannten modularen V-Motorenbaukasten vor. Das dem Downsizing verpflichtete Triebwerkskonzept macht zwar einen vorläufigen Bogen um Exoten wie den Lambo V12 und den W12 des A8, aber es definiert die neuen, bis zu 500 PS starken aufgeladenen V6-Benziner sowie die davon abgeleiteten Biturbo-Achtzylinder mit bis zu 600 PS.

Obwohl die MSB-Matrix im Prinzip auch für die Audi-Modelle A6/A7A8 und für den VW Phaeton geeignet wäre, werden solche Gedanken im sonst so synergiefreudigen VW-Konzern nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Offenbar soll die Position von Audi als bislang profitabelste Marke nicht dadurch geschwächt werden, dass man sie ins gleiche konzeptionelle Korsett schnürt wie Porsche und Bentley. Ohnehin sind die technischen Grundpositionen nur schwer miteinander vereinbar, denn während Audi vom Frontantrieb zum Quattro kam, ist der Porsche-Allradantrieb eine Evolution des Hinterradantriebs. Bei der nächsten Generation des A8 (2016) sind die Würfel für einen Audi-Alleingang gefallen, doch langfristig darf man von einer Annäherung zwischen beiden Marken ausgehen, denn gerade in der Oberklasse kann sich wegen der kleinen Stückzahlen und dem hohen Aufwand kein Unternehmen auf Dauer Parallelentwicklungen leisten.

Wie es gehen könnte, lässt die dritte Auflage des Cayenne erahnen, die 2017 vorgestellt werden soll. Hier bietet Audi als federführender Entwickler erstmals zwei Radstände an. Dazu kommen unterschiedliche Karossen - Porsche plant beispielsweise ein Cayenne Coupé und ein noch sportlicheres Grundmodell mit besonders kurzem vorderem Überhang. Keine Frage: Fast alles ist möglich im gespannten Dreieck zwischen Wolfsburg, Stuttgart und Ingolstadt.

© SZ vom 14.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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