Mögliche Fahrverbote:Mach's gut, Diesel

Abgase

Der Siegeszug der Diesel-Technologie könnte jetzt vorbei sein - wegen der Abgase. (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Lange galt er als lahm, schmutzig, unsexy, dann war der Diesel plötzlich hip. Nun, nach dem Fahrverbots-Urteil, scheint er tot zu sein. Besser, wenn ihm nicht noch ein Comeback gelingt.

Von Marc Beise

War's das dann? 125 Jahre deutsche Ingenieurskunst, in die Tonne getreten? Vorgeblich von fünf Richtern im holzgetäfelten Großen Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, die den Weg frei gemacht haben für Fahrverbote. Aber eigentlich geht es um eine Industrie, die mit dem Hintern einreißt, was sie vorher mühsam mit den Händen aufgebaut hat. Der Blick zurück beginnt mit einem Unternehmen, dessen Name heute den Fluggast in München auf seinem Weg durch das Terminal 2 begleitet: Linde. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass der Traditionskonzern Linde AG trotz großer Werbebanner ausgerechnet jetzt, da der Diesel in seiner bisher größten Krise ist, an Amerikaner verscherbelt wird. Ausverkauf in Deutschland, hier wie da.

Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, standen die Zeichen auf Zukunft. Der Professor der Technischen Universität München, Carl von Linde, hatte die "Gesellschaft für Lindes Eismaschinen" gegründet, und sein Schüler und zeitweiliger Pariser Niederlassungsleiter, der Ingenieur Rudolf Diesel, forschte in der Freizeit nach der idealen Wärmekraftmaschine, einer Alternative zum herkömmlichen Motor.

Bisher wurden diese merkwürdigen neuen Fortbewegungsgeräte mit leichtem Benzin betankt und das Gemisch dann mit Zündkerzen in Betrieb gesetzt. Diesel, tatkräftig in seinen Dreißigern, wollte schwereres Heizöl in den Brennraum drücken, das sich dort selbst entzünden sollte. Der Vorteil: ein 30 Prozent höherer Wirkungsgrad, weil weniger Energie verpuffte, da jubelt das Herz des Ingenieurs. Am 23. Februar 1893 wurde das Patent DRP 67 207 "Arbeitsverfahren und Ausführungsart für Verbrennungskraftmaschinen" erteilt.

Technisch anspruchsvoll, praktisch nicht zu machen, so lautete die verbreitete Meinung. Dennoch Geldgeber gefunden zu haben, darunter Friedrich Krupp, war Diesels nicht eben kleinster Verdienst. Ingenieure der Maschinenfabrik Augsburg (heute MAN) tüftelten so lange am Motor, bis der tatsächlich lief. Als Geburtstag des Diesel gilt der 17. Februar 1897, Tag der offiziellen Abnahme. Ein Monstrum war das damals, 4,5 Tonnen schwer, 20 PS stark. Beweis überlegener deutscher Technik, ausgezeichnet mit dem "Grand Prix" der Weltausstellung Paris im Jahr 1900.

Die Innovation

Beim Verbrennungsmotor, dem Herzstück des heraufdämmernden Autozeitalters, waren die Deutschen nun also Spitze, und sie blieben es für lange Zeit. Der schwerfällige Diesel allerdings kam da erst mal nicht mit, er war doch eher für stehende Maschinen interessant, für Schiffe und Lokomotiven, seit 1923 auch für Lastwagen. Währenddessen verbauten sie in den Autos den Benzinmotor, benannt nach Nikolaus Otto. Rudolf Diesel selbst war gesundheitlich und wirtschaftlich angeschlagen, im September 1913 stürzte er aus bis heute ungeklärten Umständen von der nächtlichen Fähre von Belgien nach Dover ins Meer, da war er gerade 55 Jahre alt.

Im Jahr 1937 lieferte Daimler den ersten Personenwagen mit Dieselantrieb aus, den Mercedes 260 D, Ur-Vater aller Diesel-PKW; er benötigte nur die Hälfte des Kraftstoffs eines herkömmlichen Autos. Berühmt wurde der 180 D, der ab 1954 produziert wurde. Eine Kanone war das nun nicht gerade: 40 PS, 110 km/h Spitze, und eine Beschleunigung von 0 bis 100 in 39 Sekunden. Aber sparsam im Verbrauch war er, eine Investition für Bauern, Taxifahrer und Pfennigfuchser.

Der Siegeszug

Für Autofahrer allerdings, die etwas auf sich hielten, war das Ganze eine Qual. Berüchtigt die "Rudolf-Diesel-Gedächtnisminute", bis das Gemisch im Motor endlich heiß genug war, um zu zünden. Aus dem Auspuff kam eine schwarze Wolke, und dann nagelte der Diesel nervig vor sich hin. Ziemlich unsexy. Aber dann kam, 1973, die erste Ölkrise, und da war vieles gefragt, nur keine Erotik. Und der Diesel lieferte - behäbig, aber eben verbrauchsarm, gefördert vom Staat durch einen niedrigeren Steuersatz an der Zapfsäule. 1976 kam der erste Golf Diesel, damit war der Massenmarkt geöffnet.

Die Techniker taten ein übriges, und siehe da, plötzlich wurde der Diesel auch sportlich. Mit Turboaufladung hatte das Ding "im unteren und mittleren Drehzahlbereich", wie Verkäufer stolz meldeten, "richtig Power". Die Aufwärmphase lag nun deutlich unter einer Sekunde, das Nageln wurde immer leiser, und auch der Ruß verflüchtigte sich. Und Renzo Rossi vertrieb Jeans unter dem Namen Diesel.

Heute verkaufen BMW und Audi zwei Drittel Diesel - und das ist kein Zufall: Denn die beiden Premiummarken profitierten von dem neuen Trend zum Geländewagen, neudeutsch "SUV". Um diese Brocken spritzig zu halten, war der Diesel gerade recht, und auch, damit die Hersteller die Klimavorgaben einhalten konnten. Denn der Diesel stößt, wie man weiß, weniger Kohlendioxid aus als ein Benziner, dafür Stickoxide, aber das war lange eher ein Nischenthema. 2006, so lange ist das noch nicht her, wurden in Europa mehr als die Hälfte aller Neuwagen mit Dieselmotoren ausgestattet. Und der Taxler fuhr den Mercedes 230 BlueTec, 136 PS, 210 km/h Spitze, von 0 auf 100 in 10,2 Sekunden.

Debakel in Amerika

Die deutschen Autobauer waren besoffen von diesem Erfolg. Toyota, auch eine Weltmacht, ließ die Finger vom Diesel, setzte auf Hybrid und Elektromotoren. Ach was, dachten die Jungs in Wolfsburg, Ingolstadt, München, der Diesel ist das Maß aller Dinge. Deutsche Wertarbeit, nicht aufzuhalten. Vier Prozent Marktanteil in den USA, weil es Amerikaner es einfach nicht schick fanden, das Diesel im Lkw-Bereich aufnehmen zu müssen? Da muss doch mehr gehen!

Auch dass den Amerikanern die Luftreinhaltung schon länger ein großes Thema war, seit 1963 gab es den "Clean Air Act", dass der Diesel als krebserregend galt, schreckte die Deutschen nicht wirklich, sie rüsteten ihre Motoren nach und gingen mit dem "Clean Diesel" in die Werbung. Beim Wettlauf um die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte verloren Autobauer die Orientierung. Aus legalen Abgasmessungen wurden halblegale Tricksereien und am Ende, bei einigen, illegale Manipulationen. So nahm das Unheil seinen Lauf - bis alles aufflog 2015.

Das Ende, ein Anfang?

Die Manipulationen in den USA sind nur eine Facette des Unheils, das auch in Deutschland aufzog. Denn lange schon fragten sich manche Beobachter, wie es denn sein könne, dass die Motoren immer sauberer wurden und die Luft an den Brennpunkten der Städte nicht wirklich besser. Die Erklärung kam erst nach und nach ans Licht: dass nämlich die Werte auf den Prüfständen nicht die Werte auf der Straße waren. "Sauber" wie versprochen ist der Diesel nur unter Idealbedingungen, nicht wenn es kalt und widrig ist. Die Einzelheiten der Abgasmessungen sind furchtbar schwierig, es herrscht ein Durcheinander, bei dem kaum noch jemand durchblickt. Nur eines ist klar: Man glaubt den Autobauern nichts mehr, der Ruf ist sauber ruiniert.

Deshalb muss es auch nicht wundern, wenn die Bundesregierung, wie nun der Spiegel meldet, Fahrverbote auch noch für die Schadstoffklasse 6 befürchtet, die doch bisher als unbedenklich galt. Messwerte des Kraftfahr-Bundesamtes zeigten ein ähnlich schlechtes Bild wie bei den älteren Modellen der Euro-5-Klasse, heißt es. Und auch nicht wundern darf dann, dass nun, nach anfänglichem Zögern, die Deutschen sich im Autohaus vom Diesel abwenden, die Absatzzahlen sind im Januar um 18 Prozent und im Februar um 19 Prozent eingebrochen.

Kann natürlich sein, dass der Diesel sich davon erholt. Dass man ihn wegen der schweren Wagen braucht. Dass kostenlose Nachrüstungen, Rabatte und schicke Werbung helfen. Wollen aber kann man das eigentlich nicht. Denn die Zukunft gehört alternativen Antrieben und neuen Mobilitätskonzepten. Der Diesel war gestern, jetzt kommt die Zukunft.

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