Mythos Auto:Der falsche Schlüssel

Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind. Doch die Kfz-Industrie steht mit dem Rücken zur Wand. Die Liste der Versäumnisse ist lang - nicht zuletzt wegen der Sturheit der Manager und der sie unterstützenden Politik. Doch die eigentliche Schlüsselfrage ist eine gänzlich andere.

Wolfgang Roth

Es gibt einen Schlüssel, der den Weg zur privatesten, zur intimsten Welt eröffnet, den zur eigenen Wohnung. Der andere Schlüssel erschließt das Zwischenreich zur Welt der anderen, eine mobile, rundum mit Fenstern versehene Zelle, die dem Einsitzenden ein Gefühl der Geborgenheit und der Distanz gibt, selbst dann noch, wenn er mit Tausenden im Stau steckt.

Mythos Auto Der falsche Schlüssel Opel dpa

Mit dem Autoschlüssel begann für die Deutschen das Wirtschaftswunder.

(Foto: Foto: dpa)

Mit dem Autoschlüssel begann für die Deutschen das Wirtschaftswunder, deshalb singen die Alten noch immer das Hohe Lied auf ein buckliges, unbequemes Gefährt mit 30 Pferdestärken. Als Käfer auf Käfer vom Band rollte, war die bayerische Bevölkerung noch ganz gut in der Landwirtschaft beschäftigt. Die "Schlüsselbranchen" der Nation waren damals die Textilverarbeitung und die Bergbau-Industrie.

Man weiß, was aus ihnen geworden ist, auch aus den Hüttenbetrieben, die ein Strukturwandel nach dem anderen, wenn schon nicht hinweggefegt, dann jedenfalls in einen verlustreichen globalen Wettbewerb geworfen hat. Seitdem gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch eine Schlüsselindustrie - Gutes aus deutschen Landen, für das Marken wie BMW und Mercedes, Porsche und Audi, Volkswagen, Opel und Ford stehen.

Wenn das stimmen würde, wäre es schlecht bestellt um Deutschland. Erstens, weil es in einer praktisch alle Zweige des verarbeitenden Gewerbes erfassenden Weltfinanzkrise vieler neuer Schlüssel bedarf. Zweitens, weil sich die deutschen Hersteller wie sonst nur noch die amerikanische Konkurrenz just auf jene teuren Modelle spezialisierten, die in Krisenzeiten schwer zu verkaufen sind.

Gut, dass es die Schlüsselindustrie gar nicht gibt. Im Maschinenbau waren zuletzt nicht weniger Arbeiter beschäftigt, es handelt sich um eine hochspezialisierte, stark exportorientierte Sparte. Zuletzt - das war vor der Krise, die natürlich auch diese Branche erfasst hat. Aber sie kann hoffen, sich nach einer Durststrecke wieder aufzurappeln, weil sie im Gegensatz zum Kfz-Gewerbe nicht von einer in vieler Hinsicht begrenzten Form der Mobilität abhängig ist.

Maschinen aller Art stehen am Anfang einer Fertigungskette für Autos und Windräder, für Fahrräder und Solarmodule, Baukräne und Flaschenabfüll-Anlagen. Sie stehen noch für vieles mehr, aber bei weitem nicht so im Fokus der Politik, weil sich die Fertigung auf viele mittelständische Unternehmen verteilt.

Mit Blindheit geschlagen

Eine derart breite Palette täte der deutschen Kraftfahrzeug-Industrie gut, dann könnte sie mit mehr Hoffnung in die Zukunft blicken. Autos braucht die Welt noch lange, sie sind für viele Zwecke unersetzlich. Das gilt sowohl für die nur mit Straßen erschlossenen Gebiete der Erde, als auch für die ländlichen Gebiete dicht besiedelter Industriestaaten.

Die Zeit, in der auf ein so flexibel einsetzbares Mittel der Mobilität verzichtet werden kann, ist heute nicht absehbar. Mit Blindheit müsste aber geschlagen sein, wer sich in der Phase immer knapperer Ölreserven dem Strukturwandel der Branche verschließt, während die Ballungsgebiete sogar in den Schwellenländern schon am Individualverkehr zu ersticken drohen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer die Leidtragenden der Entwicklungen sind.

Der falsche Schlüssel

Selige Zeiten

Wendelin Wiedeking Porsche AP

Porsche-Chef und VW-Aufsichtsrat Wendelin Wiedeking

(Foto: Foto: AP)

Ungebrochen verkünden Manager wie der Porsche-Chef und VW-Aufsichtsrat Wendelin Wiedeking ihr Mantra von der deutschen Schlüsselindustrie Automobilbau. Es ist der schöne Traum von der Exklusivität einer Branche, die nach dem langen Tal der Finanzkrise wieder neue Höhen erklimmt. In Wahrheit sind es aber nicht die "Umwelt-Ideologen", die eine Rückkehr in selige Zeiten verhindern, sondern die vielen, sehr praktisch veranlagten und mit ihrem Geld rechnenden Kunden im eigenen Land und in aller Welt.

Der falsche Schlüssel

Selige Zeiten waren es, die komfortable Nischenexistenz in einem gehobenen Segment, das der Staat wesentlich durch die steuerliche Begünstigung von Dienstwagen ermöglichte. Nationale Politik unterstützt die Realitätsverweigerung der Branche mit Sonderkonditionen aller Art - bis hin zu dem in aller Welt bestaunten Faktum, dass ein Tempolimit auf Autobahnen in Deutschland des Teufels ist.

Leidtragende dieser Sturheit sind jetzt die Arbeiter der großen Werke und die von ihnen wirtschaftlich so abhängigen Regionen. Die Liste der Versäumnisse ist leider lang. Deutsche Autobauer verweigerten sich dem Katalysator, als dieser in Amerika schon Pflicht war. Ihre erfolgreiche Lobbyarbeit verzögerte in Brüssel die geregelte Verschrottung der Altautos und die Festsetzung strengerer Normen für den Ausstoß von Kohlendioxid. Der Feinstaub aus dem Auspuff der Dieselautos wurde für sie erst ein Thema, als die Europäische Union der Gesundheitsgefährdung zu Leibe rückte.

In all der Zeit vollbrachten die Ingenieure bewundernswerte Leistungen, um den Komfort und die Technik von Hochleistungsautomobilen zu steigern. Daniel Goeudevert, der etwas andere Automanager, brachte die Sache gegenüber einem Journalisten der Zeit so auf den Punkt: "Dieser seltsame Ehrgeiz, mit dem neuen Modell noch mal fünf Stundenkilometer schneller um die Kurve zu kommen als mit dem alten, obwohl das mit dem auch schon mit Tempo 190 ging."

Japanische Hersteller entwickelten unterdessen viel Ehrgeiz, um bei der ADAC-Pannenstatistik gut abzuschneiden und den Service ihrer Werkstätten zu verbessern. Zugegeben, das wirkt etwas hausbacken, könnte aber durchaus populärer werden, wenn die Leute sparen müssen.

Die eigentliche Schlüsselfrage: Wie kann Mobilität organisiert werden?

Wie Mobilität für eine wachsende Erdbevölkerung auf begrenztem Raum und in einer mit Treibhausgasen gesättigten Atmosphäre organisiert werden kann, ist die eigentliche Schlüsselfrage. Die Antwort ist schwierig, wenn nicht unmöglich. Realität ist jetzt schon an vielen Orten die durch Automobilität verursachte Immobilität. Wer ausschließlich auf große Zukunftsentwürfe wie das Wasserstoffauto wartet, perpetuiert den Stillstand.

Zehn Jahre nach der großen Umweltkonferenz von Rio fand im Jahr 2002 die Nachfolgekonferenz in Johannesburg statt, im Nobelquartier Sandton, wo BMW auf einem Podest so ein Wunderwerk präsentierte, eine tolle Karosse, die alle naslang von einer Putzfrau gewienert wurde. Die Autobahn vom Zentrum her war jeden Tag völlig überfüllt von den aus dem ganzen Land eingesammelten Shuttle-Bussen und den altersschwachen Taxis, in denen die Einheimischen wie Sardinen aneinanderklebten. Abhilfe brächte da kein noch so umweltfreundliches Auto, sondern nur ein belastbares Nahverkehrssystem.

Das gilt im Übrigen nicht nur in Johannesburg, sondern auch in Deutschland, es sei denn, jemand glaubt im Ernst, man könne sich immer neue Autobahnspuren leisten, die wieder neuen Verkehr anziehen. In den Städten ist am Ende sowieso kein Auskommen mehr, es sei denn, man reißt die Häuser ab.

Dann allerdings würde die Wohnung, jene privateste, intimste Welt für noch mehr Menschen zum Luxusgut. "Besser, ich spare ein wenig an meiner Zwischenwelt", werden sich da die meisten sagen und darauf einstellen, dass der Schlüssel zum Wohlergehen nicht nur im Verkaufssalon der Auto-Industrie liegt.

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