Müdigkeit im Straßenverkehr:Wenn im Auto der Wecker klingelt

Ins Lenkrad gegriffen

Auch Mercedes-Benz verbaut auf Wunsch einen Müdigkeitsassistenten.

(Foto: Mercedes)

Ehe der Fahrer einschläft, ermahnt ihn ein Piepston. Doch eine Pause legt er deshalb nicht ein. Warnassistenten gegen Müdigkeit funktionieren in der Praxis nicht so, wie sie sollten. Psychologin Katja Karrer-Gauß hat die Systeme untersucht - und verrät, warum sie vor allem Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz hat.

Von Regina Brand und Sascha Gorhau

Sie ließ LKW-Fahrer in eine Fahrsimulator steigen und erforschte so die Wirkung von Warnsystemen, die vor Müdigkeit am Steuer schützen sollen. Katja Karrer-Gauß ist Psychologin an der Technischen Universität Berlin und erforscht dort unter anderem Fahrassistenzsysteme. Im Interview mit Süddeutsche.de spricht sie über die Probleme der Technologie.

SZ.de: In vielen Autos und Lkw sind bereits Systeme verbaut, die den Fahrer vor Übermüdung warnen. Wie funktionieren die?

Katja Karrer-Gauß: Meist wird das Lenkverhalten des Fahrers analysiert. Zusätzlich gibt es auch Kameras, die die Position des Autos ermitteln und damit Daten über das genaue Fahrverhalten liefern. Andere Methoden haben sich bisher nicht durchgesetzt. Die Bewegung des Augenlids mit Hilfe von Infrarotlicht aufzuzeichnen, galt lange Zeit als sehr vielversprechend. Entwickler hatten auch darüber nachgedacht, die Hautaktivität per Armbanduhr oder die Neigung des Kopfes mittels eines kleinen Gerätes am Ohr zu messen. Das waren natürlich fragwürdige Methoden.

Woran hakt es bei den gängigen Warnsystemen?

Die Systeme schaffen es bisher nicht, die tatsächliche Müdigkeit zu messen. Das kann nur der Mensch selbst. Außerdem reagieren verschiedene Personen sehr unterschiedlich auf Situationen im Verkehr, das macht eine standardisierte Messung schwierig. Klar können die Systeme durch verschiedene Messmethoden den Zustand des Fahrers nachbilden. Allerdings liegen die Algorithmen, auf deren Grundlage die Müdigkeit berechnet wird, nie vollkommen richtig. Auch die Sensorik ist oftmals störanfällig.

Die Situation wird oft paradox: Wenn zum Beispiel ein System ein akustisches Signal sendet, um den Fahrer aufzuwecken, erfüllt es nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck. Es aktiviert vielmehr und motiviert zur Weiterfahrt anstatt zum Zwischenstopp. Es täuscht damit über den dringenden Schlafbedarf hinweg.

Worin sehen Sie das Hauptproblem?

Die Systeme verwirren den Fahrer, indem sie ihm antrainieren, das eigene Müdigkeitsgefühl zu ignorieren. Er soll dem System mehr Vertrauen als sich selbst und nur dann eine Pause machen, wenn das System ihm das sagt. Wer lässt sich so was schon gerne von einem Computersystem anordnen? Die Gründe für die Übermüdung am Steuer liegen dabei meist ganz woanders: nämlich bei den straffen Terminplanungen. Die meisten Lkw-Fahrer beklagen, dass Erholungspausen oft zu kurz kommen.

Soziale Kontrolle im vernetzten Lkw

Befürchten Sie eine Bevormundung des Menschen durch solche Systeme?

Der Fahrer muss immer die volle Verantwortung behalten. Er sollte nie die gesamte Kontrolle über seinen körperlichen Zustand an ein technisches System abgeben. Solche Systeme können ihn lediglich unterstützen, sich selbst richtig einzuschätzen. Außerdem müssten Hersteller für Fehlentscheidungen haften, wenn die volle Verantwortung eines Tages bei ihren Assistenzsystem liegen würde. Das geht rein rechtlich gar nicht.

Wie könnten die Warnsysteme verbessert werden?

Es muss dem müden Fahrer eindringlich klar gemacht werden, dass er sich in einer äußerst gefährlichen Situation befindet. Eine blinkende Kaffeetasse ist zu harmlos.

Autos werden sich in Zukunft immer mehr vernetzen. Könnte das weiterhelfen?

Darüber kann ich nur spekulieren. In einer meiner Untersuchungen hatte ein LKW-Fahrer dazu eine gute Idee: Er war davon überzeugt, dass soziale Kontrolle helfen könnte, übermüdete Fahrer zum Anhalten zu bewegen. Der Beifahrer oder andere Autofahrer sehen beispielsweise die Information, dass der Fahrer zu müde zum Fahren ist. Sozialer Druck könnte ihn dann dazu bringen eine Pause einzulegen.

Wenn das Fahrverhalten so genau protokolliert wird: Ergeben sich daraus auch Probleme beim Datenschutz?

Ich habe große Bedenken in Sachen Datenschutz. Besonders persönliche Daten von Lke-Fahrern spielen dabei eine große Rolle. Es darf nicht so weit kommen, dass Arbeitgeber das "Müdigkeitsprofil" ihrer Fahrer bekommen. Auch der mögliche Zugriff auf die Daten der Systeme bei Polizeikontrollen würde datenschutzrechtliche Grenzen deutlich überschreiten.

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