Motorsport-Fotografie:Linsen-Gedicht

Ein dreibändiges Mammutwerk zeigt 60 Jahre Motorsport aus der Perspektive von drei meisterhaften Fotografen.

Jörg Reichle

Die Überlegung ist so alt, wie es müßig ist, sie anzustellen: Können Fotos das wahre Wesen des Motorsports überhaupt wiedergeben, diese rasende Zuspitzung aller Bewegung, diese Hundertstel-Sekunden-Welt aus tobendem Lärm, grellen Farben und irrwitzigem Tempo - zumal in einer Zeit, in der Formel-1-Rennen rund um den Globus Milliarden Menschen vor die Fernsehgeräte holen?

formel 2, Motorbuch Verlag

Ein Formel 2-Auto fährt 1966 durch den Regen

(Foto: Foto: Motorbuch Verlag)

Dass das geht, und wie, beweist ein dreibändiges Mammutwerk, das der Motorbuch Verlag dieser Tage auf den Markt gebracht hat.

"Highlights der Motorsport-Fotografie" heißt der Titel etwas banal, und es verbirgt sich dahinter das Fotoarchiv von drei Lichtbildnern, die ihre Karrieren weitgehend der Arbeit für die Zeitschrift auto, motor und sport verdanken: Julius Weitmann, Hans-Peter Seufert und Wolfgang Wilhelm.

Der erste Band ist der 1980 verstorbenen Fotografen-Legende Weitmann gewidmet, einem Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie, dessen Hinterlassenschaft jahrzehntelang in Dutzenden Pappkartons im Keller des Stuttgarter Verlags dahingedämmert war - unerfasst, ungeordnet, verstaubt.

Kamera im Mülleimer gefunden

Weitmann, Jahrgang 1908, erlebte noch die Ära der Mercedes-Silberpfeile in den fünfziger Jahren und die Formel 1 bis weit in die Sechziger. Seine Laufbahn begann ungewöhnlich, wie viele in der frühen Nachkriegszeit.

Anfang der fünfziger Jahre, so will es die Legende, fand er im Mülleimer eines Stuttgarter Fotohändlers eine Speed-Graphic-Mittelformatkamera und brachte von seinen ersten Grand-Prix-Besuchen 1954 in der Schweiz und in Italien derart spektakuläre Fotos mit, dass ihm bald ein Ruf sondersgleichen vorauseilte.

Legendär war auch seine Abneigung gegen die später aufkommenden Teleobjektive, die in seinen Augen sämtliche Motive wie eine Ziehharmonika zusammenpressten. Die brauchte er nicht. Weitmann stand oft genug mit den Schuhspitzen auf dem Asphalt, wenn die Vollgastiere wie Fangio, Trips oder Clark im Vierrad-Drift angeflogen kamen.

Dramatische Augenblicke

Der Fotograf blieb unerschrocken, ungerührt und immer mit dem Gespür für den richtigen, das heißt hier: den dramatischsten Augenblick. Unvergessen sein Foto von dem auf der Bahn knienden Hans Herrmann, der auf der Berliner Avus seinem sich überschlagenden BRM nachschaut.

Am selben Ort erwischte er auch den Porsche des Sportwagenfahrers Richard von Frankenberg, der in diesem Moment über die Oberkante der Steilkurve flog und dabei seinen Piloten hinterrücks aus dem Auto warf.

Die körperliche Nähe zum rasenden Objekt durfte auch Hans-Peter Seufert in den siebziger Jahren noch genießen. Motorsport, man sieht es Seuferts Schwarz-Weiß-Fotos an, das waren für ihn vor allem die Menschen am Lenkrad. Anfassbare Typen, noch nicht verborgen hinter Integralhelmen und verspiegelten Visieren wie Ritter auf fremden Sternen.

Fahrer wie Clark, Hill, Rindt, Stewart und Siffert, das war eine Generation, die Spaß hatte und dazwischen Rennen fuhr. Legendär ist so manches Trinkgelage, das bis in den frühen Morgen ging, danach setzten sich die Kerle in ihre Autos und fuhren dem Teufel ein Ohrläppchen ab. Überlebt haben ihren Sport damals nur wenige von ihnen.

Linsen-Gedicht

Der Schwabe Seufert war auch ein Freund der großen Tourenwagen-Schlachten: Alfa gegen BMW gegen Ford gegen Jaguar. Wunderbare Zeit der Rad-an-Rad-Duelle und wilden Drifts.

Weitmann, Motorbuch

Der auf der Avus kniende Hans Herrmann schaut seinem sich überschlagenden BRM nach

(Foto: Foto: Motorbuch Verlag)

Klinische Reinheit der Moderne

Wolfgang Wilhelm dagegen, ein Vertreter der aktuellen Color-Generation zeigt uns eine andere Welt des Motorsports. Klinische Reinheit, professionelle Kühle, eine Form des Big Business mit anderen Mitteln. Seine Helden tief in den Cockpits heißen Schumacher und Senna, Prost, Lauda oder Alonso und die Fotografen sind längst hinter großflächige Auslaufzonen verbannt.

Es regiert das Weitmann einst verhasste Tele und den Autos sieht man ihr wahnwitziges Tempo erst an, wenn sie, wie in den achtziger Jahren, Funken sprühen oder gleich irgendwo einschlagen. In dieser Welt den Motorsport überhaupt noch sinnlich erfahrbar zu machen, ist für den Fotografen eher schwieriger geworden. Gute Zeiten für Könner also.

Motorsport Highlights; Motorbuch Verlag; drei Bände im Schuber; 780 Seiten; 1058 Abbildungen; 180 Euro.

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