Motorradführerschein mit 50:Krise in ihrer schönsten Form

Liebevoller Spott, überholende Kleinwagen, der Traum von der Alpenüberquerung: Erlebnisse eines Motorrad-Novizen.

Peter Fahrenholz

Wer weiß, ob nicht alles ganz anders gekommen wäre, wenn ich einen anderen Weg zur Arbeit hätte. Wenn ich nicht jeden Tag an dem Harley-Davidson-Shop vorbeifahren würde. Irgendwann bin ich mal stehen geblieben und habe mich umgesehen. Beachtet hat mich niemand, als ich zwischen all den schweren Maschinen herumgelaufen bin. Mechaniker standen um irgendwelche Motorräder herum, zusammen mit deren Besitzern. Den Witz, warum sich Harley-Fahrer nie grüßen, wenn sie sich auf der Straße begegnen, kannte ich da noch nicht: Weil sie sich ohnehin abends immer in der Werkstatt treffen. In mir kam die Idee auf, selber den Motorradführerschein zu machen.

Motorradführerschein mit 50: Fest im Sattel: Peter Fahrenholz unterwegs mit seiner Kawasaki VN 900 Classic, ohne die er sich das Leben nicht mehr vorstellen kann.

Fest im Sattel: Peter Fahrenholz unterwegs mit seiner Kawasaki VN 900 Classic, ohne die er sich das Leben nicht mehr vorstellen kann.

(Foto: Foto: Gudrun Muschalla)

Früher hat mich Motorradfahren nie interessiert. Selbst bei größter Hitze mit Helm und in schwerer Kleidung durch die Gegend zu fahren, schien mir ein Hobby zu sein, für das ein rätselhafter Enthusiasmus vonnöten ist. So wie beim Angeln etwa, wo man stundenlang dasitzt, ohne dass etwas passiert, was aber angeblich sehr entspannend sein soll. Irgendwann habe ich mir dann eine Vespa gekauft, für die Stadt, und schon da begann dieses Weltbild zu bröckeln. Obwohl ein Motorradfahrer da nur verächtlich gelächelt hätte. Denn eine Vespa ist ein Roller, und das zählt nicht. Als ich mich später im Internet nach Erfahrungen mit den Motorradmodellen erkundige, die mir gefallen, und dabei erwähne, dass ich bisher nur Roller gefahren sei, schreibt mir einer zurück: "Ich würde mit Riesenrespekt an die Sache rangehen. Das ist nicht nur eine andere Liga, das ist noch nicht mal die gleiche Sportart." Motorradfahrer grüßen sich, wenn sie sich begegnen. Immer kurz die linke Hand vom Lenker. Rollerfahrer werden nicht gegrüßt.

Wer jenseits der 50 die Erwägung vorträgt, den Motorradführerschein machen zu wollen, muss sich auf eine gehörige Portion Häme gefasst machen. "Hast jetzt die Midlife-Crisis?", fragt eine Freundin in geselliger Runde und erntet kollektives Gelächter. Motorradfahren hat einen hohen Polarisierungs-Faktor - vor allem bei Frauen. Ein Freund von mir, Biker und als Mittzwanziger in einem Alter, in dem das Kennenlernen von Frauen einen großen Teil der Freizeitgestaltung einnimmt, hat eine Art 50-Prozent-Erfahrung gemacht: 50 Prozent lehnen das Motorradfahren rundum ab (was die Chancen des Fahrers naturgemäß schmälert), die andere Hälfte würde am liebsten sofort mitfahren. Weil das Leben ungerecht ist, lernt er meist Frauen aus der falschen Hälfte kennen. Salsatanzen wäre da wohl klüger.

Auch mein häuslicher Friede ist durch die neue Idee Gefährdungen ausgesetzt; die Stimmung kühlt meist ab, wenn die Rede auf das Thema kommt. Ich beschließe also, das Projekt mit Diskretion voranzutreiben. Die ersten Ausrüstungsgegenstände werden unauffällig in den Schrank gehängt; erst mit dem neuen Helm lässt sich das nicht mehr machen, der Kauf wird mit missbilligendem Schweigen quittiert. Ich melde mich bei einer Fahrschule in der Nähe der Arbeit an, um am Abend noch rechtzeitig zu den Theoriestunden zu kommen und buche für die letzte Urlaubswoche jeden Tag Fahrstunden. Dies verbinde ich zu Hause mit dem Hinweis, dass das keineswegs bedeute, dass ich mir auch tatsächlich ein Motorrad kaufen wolle. Man könne sich so etwas ja auch erstmal ausleihen, aber dazu brauche man nun mal den Führerschein. Ich ahne, dass diese Waffenstillstandslinie nicht lange halten wird.

"Der Fahrlehrer, ein Ausbund an Geduld"

Früher war der Motorradführerschein kein großes Problem - vor allem, wenn man ihn zusammen mit dem Autoführerschein gemacht hat. Ein paar Runden auf dem Motorrad, ein paar technische Erklärungen - fertig. Heute müssen in der Prüfung eine Reihe von Pflichtaufgaben vorgefahren werden: Slalomübungen, Brems- und Ausweichmanöver, Stop-and-Go-Fahren mit abwechselnd abgesetzten Füßen. Außerdem sind insgesamt zehn Theoriestunden Pflicht. Die sechs anderen Motorradaspiranten sind genau wie ich Spätberufene, die Hälfte davon weiblich. So ungewöhnlich scheint mein Spleen also gar nicht zu sein.

Willy, mein Fahrlehrer, ist ein Ausbund an Geduld. Er ist seit 1977 Fahrlehrer und hat mit Schülern vermutlich, wie Franz Josef Strauß immer gesagt hat, alles schon erlebt und das Gegenteil davon. Auch meine erste Fahrstunde ist eher kein Erfolg, denn Motorradfahren ist viel komplexer als Autofahren. Hände und Füße sind unablässig im Einsatz, Kuppeln, Schalten, Gasgeben. Vorderrad- und Hinterradbremse müssen unabhängig voneinander betätigt werden, die eine mit der rechten Hand, die andere mit dem rechten Fuß. Die Augen müssen die Strecke weit voraus im Blick behalten, die Beschleunigung ist enorm. Und bei ganz langsamer Fahrt muss man das Gleichgewicht halten, um nicht umzukippen. "Ganz ruhig, macht nichts", kommt Willys Stimme aus dem Knopf im Ohr, wenn ich mal wieder den Motor abwürge, weil ich den Kupplungshebel loslasse, obwohl die grüne Kontrollleuchte für den Leerlauf nicht aufleuchtet. Die Sitzposition ist unbequem, mir tut der Rücken weh - und ich frage mich, ob das Ganze nicht doch eine Schnapsidee ist.

Der Durchbruch kommt bei der Überlandfahrt, die jeder absolvieren muss. Die Sonne scheint, wir fahren über kleine Straßen, die ich mit dem Auto nie gefahren wäre und sind irgendwann am Irschenberg. Es ist herrlich, ich weiß schlagartig: Es war keine Schnapsidee und das Ausleihen eines Motorrades wird nicht reichen. Ich verkaufe meine Vespa, der Käufer fährt damit noch am selben Abend in kurzen Hosen und T-Shirt heim. Er wohnt in Ingolstadt und die Fahrt, erzählt er mir am nächsten Tag, sei "scho a bissl schattig" gewesen.

Ich suche längst im Internet nach dem Bike meiner Wahl - ein Cruiser soll es sein, viel Chrom, bequeme Sitzposition, harleymäßig, aber nicht so teuer. Die Wahl fällt auf eine Kawasaki mit 900 Kubik. Vor 30 Jahren wäre man damit Hubraum-König gewesen, heute ist es das Einsteiger-Modell im Cruiser-Segment. Als ob man sich einen Mittelklasse-Toyota kaufen würde, nur viel schöner. Nach sieben Wochen mache ich die Prüfung; alles läuft glatt, nur meine Angstfigur, den Slalom in Schrittgeschwindigkeit, muss ich wiederholen.

"Das mit der Midlife-Crisis sehe ich gelassen"

Eine Woche später, Mitte August, hole ich meine Maschine in der Nähe von Stuttgart ab. Es ist der heißeste Tag des Jahres und ich habe mit Ausnahme einer kurzen Proberunde noch nie ein so schweres Motorrad gefahren. Für die Jungfernfahrt habe ich mir eine komplizierte Route aus kleinen und kleinsten Nebenstrecken ausgetüftelt, weil ich möglichst wenigen anderen begegnen will. Jedes Mal, wenn ein Auto hinter mir auftaucht, werde ich nervös, selbst Kleinwagen überholen mich. Und von der Seite werden mir Blicke zugeworfen, die fragen: "Warum sitzt du eigentlich auf so einem schweren Motorrad, wenn du dich nicht traust, schneller damit zu fahren?"

Nachdem ich mich dreimal verfahren habe, bin ich nach fünf Stunden endlich in München. Ich fühle mich wie nach einem Marathonlauf, aber das Virus hat mich befallen. Seither fahre ich, wann immer es geht. Das Wetter muss natürlich mitspielen, ich bin ein Schönwetterfahrer - wie auf der Skipiste. Und mit jedem Mal wird es flüssiger. Fast 2000 Kilometer habe ich zurückgelegt, Kleinwagen überholen mich längst nicht mehr. Und nächstes Jahr wird es die erste Fahrt über die Alpen geben. Ich ernte dafür jetzt den Wenn-es-dich-glücklich-macht-dann-mach-es-Blick. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Auch das mit der Midlife-Crisis sehe ich gelassen. Selbst wenn dem so wäre, wäre es eine Krise in ihrer schönsten Form.

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