Motorentechnik:Der Diesel hat seine besten Tage noch vor sich

Diesel-Zapfsäule

Viele glauben, dass Diesel-Zapfsäulen wie diese in Norderstedt bald überflüssig sind. Die Industrie hält dagegen.

(Foto: dpa)

Steht der Dieselmotor nach dem Fahrverbots-Urteil wirklich vor dem Aus? Die Industrie glaubt das Gegenteil - und liefert sich einen Ideenwettbewerb um saubere Abgase.

Von Joachim Becker

Dieselabgase machen krank. Das bekannteste Opfer könnte der Dieselmotor selbst sein. "Beim ersten Fahrverbot ist der Selbstzünder tot", heißt es landauf, landab in den Kommentaren. Das Vertrauen in den sauberen Ölbrenner hat einen Tiefpunkt erreicht. Und der Automobilverband VDA zeigt zu spät Reue: "Wir werden alles tun - auch aus Fehlern lernend -, um die Situation bei Luftschadstoffen zu verbessern", versprach Matthias Wissmann beim VDA-Jahrestreffen Ende Februar. Von einer umfassenden Nachrüstung der von Fahrverboten bedrohten Euro-5-Diesel war aber kein Wort zu hören.

Eigentlich hätte in Berlin das 125-jährige Diesel-Jubiläum auf dem Programm stehen müssen: Am 23. Februar 1893 wurde das Patent für eine "rationelle Wärmekraftmaschine" erteilt. Statt den Wegbereiter des Erfolgsmotors zu feiern, wurde der Diesel auf dem Technikkongress totgeschwiegen. Einzig der scheidende Verbandspräsident gab Durchhalteparolen aus; die restlichen Vorträge drehten sich um Vernetzung, Elektromobilität und autonomes Fahren. Viele der 800 Teilnehmer blickten ohnehin per Smartphone nach Leipzig: Als das Bundesverwaltungsgericht den Weg für Fahrverbote frei machte, wurde die sprachlose Veranstaltung endgültig zur Farce.

Jetzt häufen sich die Nachrufe auf den Diesel. Doch die absehbaren Fahrverbote bedeuten ja keine Denkverbote für die Entwickler. In 125 Jahren hat der Selbstzünder viele Hochs und Tiefs erlebt. Schon bei seiner Erfindung lief es nicht wirklich rund. Aus der geplanten Entwicklungszeit von sechs Monaten wurden vier Jahre mit zahlreichen Rückschlägen. "Wenn es endlich gelungen sein wird, werde ich erlöst sein wie von langjähriger Gefangenschaft", schrieb Rudolf Diesel. Beim Versuch, seinen Selbstzünder mit Benzin zu füttern, flog dem 34-jährigen Erfinder die tonnenschwere Maschine um die Ohren. Bis der innovative Motor mit Lampenöl auf Touren kam, dauerte es noch ein Weilchen.

Trotz aller Schwierigkeiten wurde aus dem lahmen und lauten Treckermotor ein souveräner Spritknauserer selbst für Topmodelle. Viel Leistung bei geringem Verbrauch - das verdankt der Diesel seinem Wirkungsgrad von mittlerweile etwa 40 Prozent. Damit ist er knapp ein Drittel besser als die meisten Benziner. Auch beim besten Verbrenner geht aber immer noch mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie als Abwärme verloren. Der Elektromotor ist mit seinem Wirkungsgrad von 90 Prozent klar überlegen. Dafür ist die Energiedichte von Dieselkraftstoff etwa 25-mal so groß wie die einer Batterie. Und eine massentaugliche Schnellladeinfrastruktur ist erst in Ansätzen vorhanden.

Technologiewettbewerb der Antriebsformen

Wer den Diesel heute in Bausch und Bogen verdammt, glaubt, dass der Batterieantrieb alle Probleme lösen kann. Die Mehrheit der Kunden ist davon ebenso wenig überzeugt wie die meisten Marktforscher. Sie gehen davon aus, dass bis 2040 eine Vielfalt von Antriebsformen im Technologiewettbewerb nebeneinander stehen wird. Auch der totgesagte Diesel hat seine besten Tage noch vor sich. Denn der Aufwand, um ihn so sauber wie die besten Benziner zu machen, ist relativ gering. Jedenfalls im Vergleich zu den enorm hohen Investitionen, die für den Aufbau komplett neuer Energieketten notwendig sind - zum Beispiel für eine nachhaltige Wasserstoffinfrastruktur oder für postfossile Energiespeicher auf Netzebene.

Unbestritten ist, dass die Erben von Rudolf Diesel viel zu oft an der Abgasnachbehandlung gespart haben. Dass die gesetzlichen Auflagen bisher meist nur in einem engen Last- und Temperaturfenster erfüllt werden, ist aber kein genuin technisches Problem - eher eine Frage der laxen behördlichen Aufsicht.

Ideenwettbewerb um saubere Abgase

Den sauberen Diesel gibt es ausgerechnet dort, wo der Abgasskandal seinen Ursprung hatte: VW hat im Modelljahr 2007 erstmals Betrugs-Software eingesetzt, gerade weil die Emissionsanforderungen in den USA viel höher sind als in Europa. Auch künftig ist Kalifornien mit seiner neuen LEV-3-Gesetzgebung (LEV = Low Emission Vehicles) weltweit führend. Entwicklungsdienstleister und Zulieferer haben dafür detaillierte Konzepte erarbeitet. Ihr Fazit: Die Stickoxid-Emissionen lassen sich über die Schadstoffnorm Euro 6d hinaus noch einmal um mehr als die Hälfte reduzieren, ohne den Kraftstoffverbrauch zu verschlechtern.

Im Ideenwettbewerb sind eine Vielzahl von innovativen Lösungen entstanden. BMW beispielsweise wird bis auf die Dreizylinder alle Selbstzünder noch in diesem Jahr mit einer zweistufigen Aufladung ausrüsten. Im variablen Zusammenspiel von einem kleinen und einem großen Turbolader lassen sich die Verbrennung und die Abgasrückführung wesentlich schneller steuern.

Mercedes hat den Vierzylinder aufgerichtet, um Platz für eine zweistufige motornahe Abgasnachbehandlung zu schaffen. Außerdem setzen die Stuttgarter bei ihrem neuen Reihensechszylinder (genau wie Audi beim SQ5) erstmals einen elektrischen Kompressor ein. Beide Marken machen das 48-Volt-Bordnetz zur Serienausstattung - siehe den neuen Audi A6. Solche Mild-Hybride sind nicht nur sparsamer, sie haben auch neue Möglichkeiten zur effizienten Abgasreinigung.

"Es gibt noch keine Euro-7-Grenzwerte", sagt Oliver Maiwald, "aber unser Entwicklungsziel für Stickoxide sind 40 Milligramm pro Kilometer, also Euro-6-Halbe, wie wir es nennen", sagt der Entwicklungschef des Continental Antriebsbereiches. Zur Erinnerung: Von September 2018 an darf bei den sogenannten Real Driving Emissions (RDE) ein Höchstwert von 168 Milligramm je Kilometer im Straßentest nicht überschritten werden. Auch Bosch und andere Zulieferer arbeiten intensiv daran, die Stickoxidwerte in der nächsten Dekade gegenüber den besten heutigen Motoren zu halbieren.

Aufwendiges Thermo-Management

Herausfordernd für die Abgasreinigung sind nicht nur Kaltstarts: "Das Problem ist der Kriechverkehr in der Stadt, weil die Abgastemperaturen nicht ausreichen", sagt Maiwald. Selbst ein moderner SCR-Katalysator mit dem Additiv Adblue quittiert den Dienst, wenn seine Temperatur unter 180 Grad sinkt. Weil moderne Motoren im Schubbetrieb die Spritzufuhr und Zündung abstellen, genügt schon eine leicht abschüssige Straße, um nur noch kalte Luft durch den Katalysator zu pumpen. Beim Hochlaufen arbeitet das System dann wieder so ineffizient wie beim Kaltstart. Auch das ist ein Grund für die schlechte Luft im Stuttgarter Talkessel. Bisher wurden die Katalysatoren (wenn überhaupt) mit Nacheinspritzungen geheizt, was allerdings den Spritverbrauch und damit den CO₂-Ausstoß erhöht. Künftig werden die Diesel mit einem aufwendigen Thermo-Management auf Temperatur gehalten.

Continental setzt alternativ auf eine Katalysator-Heizung. Mit Hilfe eines 48-Volt-Bordnetzes und eines Generators gibt es die Energie für den Heizstrom im Schubbetrieb gratis. Noch intelligenter sind Plug-in-Hybride, die für Schub oder Last sorgen können, um eine saubere Verbrennung zu unterstützen. Mercedes hat auf dem Genfer Autosalon neue Diesel-Stromer mit Stecker angekündigt: Eine maximal aufwendige Lösung, die den Vorteil hat, dass der Verbrenner im Stadtbetrieb komplett ausgeschaltet werden kann.

Schon jetzt gibt es ausgewählte Fahrzeuge, die im Straßentest mit mobilen Messgeräten sehr sauber sind. Der Aufwand wird in Zukunft nicht geringer. Doch viele Fahrer von großen, leistungsstarken Autos werden mittelfristig auf den Diesel nicht verzichten wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: