Mobilität und Leben:Auf der Suche nach morgen

Moloch oder attraktiver Lebensraum: Die EU bemüht sich um einen positiven Wandel der Großstädte.

Joachim Becker

Als vor 50 Jahren die ersten bemannten Raumschiffe ins All flogen, hatte die Zukunft ihre besten Zeiten noch vor sich. Der Kosmos schien zum Greifen nah, auch der irdische Verkehr sollte möglichst schwere- und grenzenlos sein. Angesichts dieser raketengetriebenen Autovisionen, Hovercrafts und Magnetschwebebahnen wirken aktuelle Mobilitätskonzepte kleinlaut, entschleunigt und verkehrsberuhigt.

Autofahren im Wandel?

"Das Auto sollte nicht das Stadtbild prägen und das einzige Verkehrsmittel sein", sagt Christian Streiff, Direktor von PSA Peugeot Citroën, durchaus selbstkritisch. Auch BMW-Chef Norbert Reithofer macht "ein stärkeres Umweltbewusstsein in der Gesellschaft" aus, was die Frage nach der künftigen Akzeptanz des Individualverkehrs aufwerfe: "Die Anforderungen an Mobilität verändern sich grundlegend. Außerdem ist es etwas anderes, sich in wachsenden Ballungsräumen zu bewegen als in der Freizeit dynamisch unterwegs zu sein."

Toyota hat aus der Verunsicherung der Branche bereits erste Konsequenzen gezogen. Getreu der Selbsteinschätzung als Green Company, als umweltfreundlicher Hersteller, präsentierten die Japaner jüngst zehn alternative Autokonzepte. Die Marke verspricht sich neue Absatzchancen vom Wandel hin zum (teil-) elektrischen Fahren.

"Wir freuen uns darauf, die Welt zu einer neuen Stufe der Mobilität zu führen", erklärte Toyota-Präsident Katsuaki Watanabe selbstbewusst, nachdem er mit der Studie i-Real zur Pressekonferenz auf der Tokio Motor Show gerollt war. Der batteriegetriebene City-Floh transportiert eine Person lärm- und emissionsfrei. Dabei setzt der Schalensitz auf drei Rädern (wie eine Vielzahl neuer Elektrokonzepte) auf künftige City-Sperren für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren.

Auf der Suche nach morgen

Die Frage ist, ob kleine und leichte People Mover wie der Toyota i-Real ihre Kunden auch ohne Verkehrssanktionen finden. Auf den Automessen werden die Öko-Zwerge zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber wirklich hingezogen fühlen sich die meisten Besucher weiterhin zu Sportwagen, die mehr fürs Gefühl bieten als eine minimalistische Transportfunktion.

Die Euphorie des technisch Machbaren ist vorbei

Die Autohersteller leiden deshalb unter einer Form von professioneller Schizophrenie: Sie müssen im knallharten Wettbewerb ihre bestehenden Produktionslinien auslasten und zugleich neue Mobilitätskonzepte erproben. Das kann auch danebengehen: Der überdachte Roller BMW C1 erwies sich trotz seines umfassenden Fahrerschutzes als Verkaufsflop. Motorradfans konnten mit der Kombination eines schweren Überrollkäfigs mit einem kleinen Motor wenig anfangen. Und für Umsteiger aus dem Pkw war das kopflastige Zweirad offenbar zu unkomfortabel.

Aber es gibt keinen Weg zurück: Klimadebatte und Feinstaubquerelen haben die Euphorie des technisch Machbaren auf den Boden der Nachhaltigkeit geholt. In der Welt von morgen sollen nicht mehr Maschinen, sondern Mensch und Umwelt die Maßstäbe setzen - davon ist jedenfalls die EU-Kommission überzeugt: "Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt", ist der Titel eines Grünbuchs, das Ende September in Brüssel verabschiedet wurde.

"Trotz ihrer Unterschiede sind die europäischen Städte mit ähnlichen Problemen konfrontiert: Verkehrsüberlastung, Klimawandel, Umweltverschmutzung und Sicherheit", erläuterte Vizepräsident Jacques Barrot. Das Grünbuch zeigt, wie urbane Mobilität aussehen sollte: frei fließender Verkehr, grünere Städte sowie ein Nahverkehr, der für alle Bürger zugänglich und sicher ist. So weit die Theorie. Der konkrete Vorschlag einer City-Maut als Mittel gegen die chronischen Staus stieß jedoch auf heftigen Widerspruch.

Auf der Suche nach morgen

"Das Auto ist und bleibt auch in den Städten mit Abstand das Verkehrsmittel Nummer eins. Das muss sich auch in der Verkehrspolitik widerspiegeln", forderte Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA).

Der Verband führt an, dass die überwiegende Mehrheit der Europäer (60 Prozent) eine City-Maut ablehne. Auch der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels ist gegen eine solche "Eintrittsgebühr". Eine City-Maut würde in Verbindung mit den hohen Parkgebühren in den Städten zum Entstehen von suburbanen Shoppingcentern, Möbelmärkten und ähnlichem beitragen. Statt einer Reurbanisierung könnte eine weitere Zersiedelung und noch mehr Pkw-Verkehr das Ergebnis sein. Zudem sei eine Übertragbarkeit von City-Maut-Modellen auf die Situation in Deutschland auf Grund von unterschiedlicher Stadtgröße, Struktur und der verkehrlichen Besonderheiten nicht möglich.

Wie sieht die Zukunft von hochverdichteten (Wirtschafts-)Zentren aus? Bleibt die autogerechte Stadt ein Stundenhotel für Pendler-Karawanen, die abends auf sechsspurigen Ausfallstraßen wieder ins Grüne flüchten? Oder endet die "freie Fahrt für freie Bürger" an Umweltzonen, die ihre Anwohner vor Lärm und Abgasen schützen?

Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich bekräftigt, dass Bürger einen Rechtsanspruch auf saubere Atemluft haben. Seit Januar 2005 darf nach einer EU-Richtlinie die Konzentration von Feinstaub 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Tagesmittel nur an 35 Tagen im Jahr überschreiten. Dieses Limit ist in vielen europäischen Städten nicht einzuhalten. "Punktuelle Maßnahmen an einzelnen Straßen könnten das Feinstaubproblem jedoch nicht lösen, sondern bewirkten allenfalls Verdrängungseffekte", warnt Münchens OB und Städtetagspräsident Christian Ude.

Auf der Suche nach morgen

Weder Verkehrsbeschränkungen noch Heerscharen von Elektromobilen schaffen viel Abhilfe bei der dicken City-Luft. Ein Großteil des Feinstaubs wird als sogenannte Hintergrundbelastung über weite Strecken herangeweht. Selbst autofreie Städte auf Nordseeinseln haben je nach Wind und Wetter Probleme mit Partikeln in der Atemluft. Außerdem können Sperrungen der Hauptverkehrsadern zum Kollaps der wuchernden Ballungszentren führen.

Im Jahr 1800 lebten ganze drei Prozent der Menschen in Städten. 2007 wird erstmals in der Menschheitsgeschichte die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten wohnen und arbeiten. Nach UN-Schätzungen wird dieser Anteil bis 2030 auf 61 Prozent steigen, von heute drei auf dann fünf Milliarden Stadtbewohner.

Die EU wartet auf Vorschläge

Ströme von Zuwanderern, die am städtischen Wohlstand teilhaben wollen, legen selbst Metropolen wie Paris und Tokio nahezu lahm. In der Boomtown Schanghai wird sich die Zahl der Autos und Laster bis 2020 wohl vervierfachen. Stadtplaner versuchen, den Verkehr mit dreistöckigen Stadtautobahnen zu bändigen.

Dabei haben sie den Wettlauf gegen das eigendynamische Wachstum vielerorts längst verloren. Nur vier der 20 größten Megacitys mit mehr als zehn Millionen Einwohnern liegen in den entwickelten Nationen, die anderen in Schwellen- und Entwicklungsländern. In Mexiko-Stadt sollen beispielsweise 60 Kilometer neue Radwege pro Jahr gegen den gelblichen Smog in dauerverstopften Straßen helfen. Doch die kaum gefilterten Abgase aus vier Millionen Autos halten die 20-Millionen-Metropole fest im Würgegriff. Für saubere Neuwagen fehlt genauso das Geld wie für Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur, zum Beispiel durch den Bau von U-Bahnen.

Werden Großstädte zum tödlichen Moloch oder gelingt zumindest in Europa der positive Klimawandel? Bürger und interessierte Kreise sind aufgerufen, der EU-Kommission bis zum 15. März 2008 ihre Ansichten und Vorschläge mitzuteilen. Bis Frühherbst 2008 soll dann ein Aktionsplan zur urbanen Mobilität vorgelegt werden.

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