Mobilität der Zukunft:Wie selbstfahrende Autos die Verkehrsprobleme lösen sollen

Mobilität der Zukunft: Bosch und Daimler kooperieren beim vollautomatisierten und fahrerlosen Fahren

Sieht so das Straßenleben von morgen aus? Elektrische, autonom fahrende Autos, die man sich je nach Bedarf teilt, sind eine Vision der Entwickler.

(Foto: oh)
  • Selbständig fahrende Taxis könnten viele der großen Verkehrsprobleme in den Innenstädten lösen.
  • Für die Nutzer wäre das vergleichsweise günstig. Eine aktuelle Studie geht für München von monatlichen Kosten von 99 Euro aus.
  • In Joint Ventures arbeiten die Autohersteller derzeit daran, dass diese Vision schon bald Wirklichkeit wird - vielleicht schon zu Beginn des nächsten Jahrzehnts?

Von Joachim Becker

München ist Spitze - zumindest beim Stau. Im Schnitt stehen die Autofahrer hier 49 Stunden jährlich Schlange. Schlimmer ist es auch in Stuttgart, Köln oder Hamburg nicht. Das zeigen die Zahlen des Verkehrsdatenanbieters Inrix. Im Stadtzentrum gleicht der Dauerstau den chaotischen Megacitys in Asien oder Lateinamerika: Bei acht bis neun Kilometer pro Stunde Durchschnittstempo sind Fahrradfahrer schneller - und Robotaxis womöglich Teil einer Lösung.

Unbemannte Fahrmaschinen, die den Fahrer nach einer kurzen Wartezeit abholen und überall im Stadtgebiet punktgenau wieder absetzen? So ein App-basierter Mobilitätsdienst wäre nicht nur für Touristen eine Attraktion. Vor allem, weil die mühselige Parkplatzsuche in der verstopften City entfällt: So effizient wie dieses Hightech-Carsharing ist keine andere Form von individueller Mobilität.

Was nach Sciene-Fiction klingt, könnte in der nächsten Dekade Realität werden: 18 000 Robotaxen befördern dieselbe Personenzahl wie 200 000 private Pkw. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Unternehmensberatung Berylls und der Technischen Universität München (TUM). Die fahrerlosen Stauvermeider könnten nicht nur viele der rund 700 000 privaten Pkws im Stadtgebiet ersetzen. Auch der Pendelverkehr aus dem Umland ließe sich massiv reduzieren. Vorausgesetzt, die Fahrer steigen in Parkhäusern an der Stadtgrenze auf Robotaxis um. Die Umstiegszeit bei dieser Form von Park & Ride würde durch weniger Staus wettgemacht.

Angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums in Metropolen wie München kann die Politik jeden Zentimeter Stadtfläche gut gebrauchen. Robotaxis, die permanent zirkulieren, benötigen keine Parkplätze, was Raum für Radwege und Straßenbegleitgrün schafft. Auch die Güterversorgung würde durch Nachtanlieferungen mit flüsterleisen Kabinenrollern erleichtert. Das reduziert den Verkehr tagsüber zusätzlich. Zudem schonen die elektrisch angetriebenen Robotaxis auch noch die Stadtluft - was man von alten Dieseltaxis nicht behaupten kann.

In München soll die Mobilitäts-Flatrate 99 Euro kosten

Aus Sicht der Kunden sprechen nicht nur die Umweltfreundlichkeit und der Komfort für die Robotaxis, sondern auch der Fahrpreis: Die Autoren der besagten Studie kommen auf eine individuelle Mobilitäts-Flatrate von 99 Euro pro Monat. Per Kilometer muss der Robotaxi-Nutzer etwa 16 Cent aufwenden. Das liegt auf dem aktuellen Niveau der öffentlichen Verkehrsmittel - und ist weit günstiger als Taxifahren oder der Unterhalt eines eigenen Autos.

Noch fehlt allerdings die technische Basis für den autonomen Universal-Transporter. Noch. Die Ex-Google-Firma Waymo baut ihre selbstfahrende Testflotte momentan auf 700 Fahrzeuge aus und beginnt mit dem Transport von Passagieren. BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich sieht darin eine ernste Bedrohung des Kerngeschäfts: "Mobilitätsanbieter wie Uber und andere machen enorm Druck, das autonome Fahren möglichst schnell Realität werden zu lassen", so Fröhlich auf der CES 2017 zu Anfang des Jahres: "Diese Tech-Companies wollen sich im Ride-Sharing einen Vorteil gegenüber allen anderen verschaffen - und damit kurzfristig Monopolist werden. Dafür müssen wir uns rüsten." BMW kooperiert mit Intel und Mobileye, um die hoch automatisierte Autos mit vereinten Kräften auf die Straße zu bringen. Daimler hält nun mit einer eigenen Plattform dagegen und hat Bosch mit ins Boot geholt.

Daimler zielt nicht auf Level 3, sondern auf Level 5 ab

Das Auto kommt zum Fahrer - mit diesem Slogan kommunizieren die Stuttgarter ihre "Partnerschaft auf Augenhöhe", wie es Stephan Hönle selbstbewusst nennt: "Das ist eine Entwicklungskooperation zwischen dem weltweit führende Zulieferer mit der führenden Premiummarke", sagt der Produktbereichsleiter automatisiertes Fahren bei Bosch. Wie bei der gemeinsamen Entwicklung der elektronischen Stabilitätskontrolle vor etwa 30 Jahren bringen beide Partner zu gleichen Teilen Ressourcen und ihre gesamte Technologiekompetenz ein: Bosch unter anderem das Bordnetz sowie umfangreiches Know-how bei Radar- und Kamerasensoren sowie erste Prototypen eines Lidar-Systems. Statt der Radiowellen beim Radar werden dabei Laserpulse genutzt, um andere Objekte zu vermessen und zu klassifizieren. Über die Serienproduktion des neuen hochgenauen Scanners, der als redundantes System gebraucht wird, soll demnächst entschieden werden.

Daimler bringt als Experte für die Fahrzeugintegration eine umfangreiche Entwicklermannschaft für das autonome Fahren mit - und eine Partnerschaft mit Uber. Noch 2015 hatte Daimler bei der Präsentation des Forschungsfahrzeugs F 015 von 2030 als Startpunkt für das autonome Fahren gesprochen. Jetzt soll alles viel schneller gehen. Statt lediglich auf das nächste Level (3 - hoch automatisiert) zielt die Stuttgarter Kooperation gleich auf Level 5 ab - also auf das fahrerlose Auto. Allerdings nicht bei jedem Tempo, sondern lediglich bis zu 75 km/h im urbanen Umfeld.

Die Industrie ist viel weiter als die Politik

Trotzdem gibt es dafür noch nicht einmal den Ansatz einer gesetzlichen Grundlage. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat in seiner Gesetzesvorlage zum automatisierten Fahren gerade ein System skizziert, das den Fahrer stets als Rückfallebene nutzen kann. Er bleibt letzlich in der Verantwortung. Die Stuttgarter Kooperation springt nun deutlich weiter: "Wir wollen ein Gesamtfahrsystem für ein fahrerloses automatisiertes Fahrzeug entwickeln", erklärt Stephan Hönle, "also Level 5 für sogenannte Shared Autonomous Electric Vehicles (SAEV), wie sie im Robotaxibetrieb eingesetzt werden." Ein Fahrerarbeitsplatz mit Lenkrad und Pedalen wird dafür nicht mehr gebraucht.

Viele Experten halten fahrerlose Autos für sicherer als Level-3-Fahrzeuge. Volvo hat bereits angekündigt, die Zwischenstufe des hoch automatisierte Fahrens überspringen zu wollen. Auch Professor Eric Sax, Institutsleiter am Karlsruher KIT, hält den ständigen Wechsel zwischen Fahrer und Maschine für problematisch: "Ich glaube nicht, dass ein abgelenkter Fahrer innerhalb von Sekunden die Fahraufgabe wieder übernehmen kann - um kritische Situationen zu meistern, die eine hoch entwickelte Maschine überfordern."

Ist die Technik zu teuer für private Autos?

Alles deutet darauf hin, dass sich die Automatisierung nicht nur evolutionär, sondern zugleich revolutionär vollzieht. Dabei könnten kommerziell eingesetzte Fahrroboter an den Privat-Pkw vorbeiziehen. Ein Grund dafür ist der hohe technische Aufwand: "Bis 2020 werden die Sensor-Kosten für automatisiertes Fahren auf 2500 bis 3000 US-Dollar sinken. Die Computerseite wird noch einmal dasselbe kosten", sagt Delphi-Entwicklungsvorstand Glen de Vos. Dazu komme eine neue Elektronikarchitektur mit Zentralrechnern im Fahrzeug. "Wir überarbeiten gerade alle existierenden Systeme im Auto", so De Vos. All das sind interne Kosten, ohne den Entwicklungsaufwand wohlgemerkt - und ohne ein teures Daten-Backend.

Alles in allem werden vollautonome Autos zumindest anfänglich mehrere Zehntausend Euro teurer sein als konventionelle Fahrzeuge. "Die Frage ist, ob private Nutzer bereit sind, einen höheren Preis für das autonome Fahren zu akzeptieren", formuliert Stefan Hönle vorsichtig. Folgerichtig gehen nicht nur Bosch und Daimler, sondern auch die BMW-Kooperationspartner davon aus, dass sich die fahrerlose Mobilität im urbanen Umfeld zunächst auf den Bereich Carsharing fokussieren wird. Stephan Hönle: "In diesen Geschäftsmodellen werden sich Investitionskosten in die neuen Fahrzeuge schneller rechnen."

Das vollautonome Auto bleibt eine Raketentechnologie

"Ein Berater mit 250 Euro Stundenlohn könnte mit 200 gewonnenen Stunden 50 000 Euro mehr Umsatz pro Jahr machen", rechnete Rupert Stadler auf dem Wiener Motorensymposium vor, "da entsteht schnell ein interessanter Business Case." Vor Mitte des nächsten Jahrzehnts rechnet aber auch der Audi-Chef nicht mit dem Einsatz eines derartigen Systems auf allen Strecken. Denn höhere Geschwindigkeiten machen das rollende Rechenzentrum noch teurer. Entsprechend zurückhaltend ist Ola Källenius: "Anfang des nächsten Jahrzehnts kommen die Robotertaxis. Nach zwei bis drei Entwicklungsgenerationen ist die Technologie reif für die Oberklasse", führte der Mercedes-Entwicklungsvorstand Anfang April auf dem VDA-Technikkongress in Berlin aus.

Das vollautonome Auto bleibt also eine Raketentechnologie. Nie zuvor war eine technische Entwicklung für die Straße so komplex und der Investitions- sowie Innovationsbedarf derart hoch. Die Plattform, die dieses Jahrhundert-Rennen gewinnt, könnte die gesamte Automobilwirtschaft umkrempeln. Das ist eine Bedrohung für alle Autohersteller, denn sie werden potenziell zu Zulieferern der Hardware degradiert.

Lohnt sich ein Autokauf künftig überhaupt noch?

Für markentreue Otto Normalverbraucher mag es ein Trost sein, dass sich die Fahrerassistenzsysteme im Windschatten der Super-Technologie schnell weiterentwickeln werden. Doch die entscheidende Frage bleibt, für wen sich der Autokauf künftig überhaupt noch lohnt. Wer will sich jahrelang an rückständige Hardware binden, während Robotaxis mit hoher Laufleistung relativ schnell ersetzt werden? Auch beim Smartphone geht es vielen Kunden eher um die Nutzung der jeweils modernsten Technik - und um Software-Updates im Monatsrhythmus.

Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller glaubt ebenfalls an die autonomen Autos. Er will mehrere Milliarden Euro in eine entsprechende Technologie-Plattform stecken, die allen Konzernmarken zugutekommen soll. Auf dem Genfer Autosalon haben die Wolfsburger vor zwei Monaten die Studie Sedric vorgestellt. Anfang des nächsten Jahrzehnts sollen solche Fahr-Container ohne Lenkrad und Pedale auf den Markt kommen. Wer fortschrittlich sein will, fährt also demnächst im (Robo-)Taxi durch die Stadt. "Bis zum Jahr 2035 könnten mehr als 12 Millionen vollautonome Fahrzeuge verkauft werden", sagte Matthias Müller in seiner Abschlussrede auf dem Wiener Motorensymposium. Allerdings ließ er die Zahl aus einer neuen Studie der Boston Consulting Group nicht unkommentiert: "Ich betone: Könnte. Ganz genau weiß das niemand."

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