Mit dem Auto durch Nordkanada:Tausend Meilen Einsamkeit

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Bis zum Horizont geht's weiter.

(Foto: Calonego)

Sie denken, der momentane Winter in Deutschland sei hart? Labrador im Nordosten Kanadas ist eine der einsamsten und unwirtlichsten Gegenden Nordamerikas. Wer den Trans-Labrador Highway befährt, lernt, was es heißt, der Technik zu vertrauen.

Von Bernadette Calonego

Die Botschaft auf dem gelben Schild ist unmissverständlich: "Warnung an die Fahrer. Nächste Tankstelle nach 410 Kilometern. Benzin überprüfen." Eigentlich habe ich ja gewusst, worauf ich mich einlasse. Aber jetzt wird mir doch mulmig. Mehr als vierhundert Kilometer auf dem Trans-Labrador Highway, eine der riskantesten Straßen in Kanada. Auf der ganzen Strecke nur Wildnis, Wälder und Wasser. Kein einziges Haus, kein Hotel, keine Garage.

Labrador im Nordosten Kanadas ist eine der einsamsten, undurchdringlichsten Gegenden Nordamerikas. Es ist so groß wie Italien, trotzdem leben nur knapp 30 000 Menschen hier. Aber der Reiz, diese erst vor drei Jahren fertiggebaute Naturstraße abzufahren, ist größer. Stärker als meine Angst vor plötzlichen Wetterwechseln, Bären, fliegenden Steinbrocken, aggressiven Bremsen oder vor fehlender Hilfe, falls ein Unfall passiert. Dabei standen schon die Vorzeichen schlecht. Als der neue Abschnitt 510 des Trans-Labrador Highway eröffnet werden sollte, vermasselte ein Schneesturm die offizielle Einweihung im Dezember 2009. Die Route blieb an ihrem großen Tag geschlossen, die Feier blieb aus. Das fing ja gut an.

"Wir hätten doch ein Satellitentelefon mitnehmen sollen", sage ich zu meinem kanadischen Begleiter. Diese nützlichen Geräte werden in mehreren Hotels an der Südküste Labradors kostenlos an Autofahrer abgegeben. Handys haben hier keinen Empfang. Aber wir verschmähten die Hilfe. Es ist ein sonniger Tag, blauer Himmel, Schnee ist nicht angesagt, Nebel auch nicht. Unser Pick-up Truck hat Vierradantrieb. Dass wir am Tag der Abreise ein verdächtiges Schleifgeräusch im Reifen hörten, verdrängen wir sofort, als es wieder verstummt.

Strecken wie eine Käsereibe

Wir hätten gewarnt sein sollen. Nicht nur durch das ominöse Geräusch. Schon die Fähre, die uns von der kanadischen Insel Neufundland an die Südküste Labradors brachte, musste wegen schweren Wellengangs einen Tag lang aussetzen. Bis man das Fischerdorf Port Hope Simpson erreicht, den Ausgangspunkt des Trans-Labrador Highway, hat man bereits 220 Kilometer abgefahren. Davon fühlen sich weite Strecken wie eine Käsereibe an.

Als wir Abschnitt 510 in Angriff nehmen, hat mein kanadischer Begleiter das Satellitentelefon schon vergessen. Glücklicherweise hat er auch kein Schießeisen bei sich, wie sein älterer Bruder neulich. Denn hier geht es noch zu wie einst im Wilden Westen. Wie ich erfahre, können Einheimische in Labrador in bestimmten Läden eine Jagdlizenz kaufen. "Irgendwo auf dieser Straße schoss mein Bruder vor einigen Wochen einen Schwarzbären", sagt der Kanadier. Dass er keine Lust hat, diesem Beispiel zu folgen, registriere ich mit einer gewissen Erleichterung.

Dabei fürchte ich mich vor Bären noch am Wenigsten, obwohl die offizielle Webseite von Happy Valley-Goose Bay vor ihnen warnt. Diese Kleinstadt wollen wir heute in sechs bis sieben Stunden erreichen. Auch die Heerscharen blutsaugender Bremsen, die im Sommer Menschen und Tiere gleichermaßen terrorisieren, haben wir in kalten Temperaturen nicht zu fürchten. Schlimmer ist die Einsamkeit. Bekannte hatten meinen Begleiter gewarnt, dass alle Fahrer mit mindestens einem platten Autoreifen rechnen müssen. Was aber, wenn zwei Reifen draufgehen? Trotzdem ist mein Fahrer guter Stimmung. Der Pick-up kommt zügig voran. Noch ist die Schotterstraße bügelbrettflach. Die Schlaglöcher kommen erst später.

Die ewiggleiche Landschaft rauscht vorbei: Wälder, Sümpfe, Sümpfe, Wälder. Endlos. Autos? Fast keine. Ist vielleicht besser so. Als ein entgegenkommender Lastwagen zum Überholen ausschert, können wir dem Irren um Haaresbreite ausweichen. Puh, das war knapp. Kein Wunder, dass man überall Autowracks am Straßenrand vergammeln sieht. Hier schleppt sie niemand ab, sie bleiben einfach liegen - als Mahnung für die Vorbeifahrenden. Am besten, man schaut gar nicht hin.

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Dass auf dem Highway der Spaß aufhört, machen nicht nur die Autowracks klar, die überall am Straßenrand liegen - als stumme Mahnung zur Vorsicht.

(Foto: Calonego)

Der Verhaltenskodex der Wildnis

Mittags parken wir am Straßenrand und essen. Ein Wagen hält an. "Alles in Ordnung?", fragt der Fahrer - Verhaltenskodex in der Wildnis. Wir sehen keine Bären oder Luchse, nicht mal Elche. Nur diese Autowracks. Alles geht gut - bis etwa 90 Kilometer vor dem Ziel. Plötzlich verliert der rechte Vorderreifen Luft. Doch diesmal haben wir noch Glück. Wir erreichen Happy Valley-Goose Bay rechtzeitig, ein Versorgungszentrum für die Minen in der Umgebung und Sitz zahlreicher indianischer Firmen. Der Doppelname stammt aus der Fusion zweier Dörfer. Es gibt hier auch einen Militärflughafen. Über der Wildnis von Labrador üben die Kampfpiloten von Nato-Staaten wie Deutschland Tiefflüge. Nach Protesten der Innu, der Indianer Labradors, in den Achtzigerjahren wurden die Tiefflüge stark eingeschränkt. Auch Truppen der deutschen Armee kommen jedes Jahr hierher für ihr Wintertraining.

Happy Valley-Goose Bay ist ein ödes Straßendorf aus Zweckbauten, das buchstäblich auf Sand gebaut ist. Sand, Sand, rötlicher Sand, soweit das Auge reicht. Aber die Siedlung boomt, dank der Bodenschätze in Labrador. Früher konnte man Happy Valley-Goose Bay nur mit dem Flugzeug oder mit der Fähre vom Dorf Cartright aus erreichen. Eine 526 Kilometer lange Schotterstraße, die es seit 1992 gibt, führt weiter nach Labrador City. Nur hört sie dort auf.

Der Regen peitscht

Aber ich will nicht nach Lab City, ich will mir im Museum des Weilers North West River einen Schuh ansehen. Einen Lederschuh, den der amerikanische Journalist und Abenteurer Leonard Hubbard (1872 - 1903) kochte, als er am Verhungern war. Hubbard und seine beiden Begleiter, die Labradors Wildnis erforschten, verirrten sich und Hubbard kam um. Seine Frau Mina dagegen, die zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes auf dessen Spuren durch Labrador trekkte, überstand ihre mühselige Expedition unversehrt.

So wünsche ich mir auch die Rückfahrt auf dem Trans-Labrador Highway. Doch das Wetter hat sich verschlechtert: Regen peitscht und dichter Nebel nimmt die Sicht. Mein Fahrer pumpt den rechten Reifen in einer Garage auf. Ich lasse mir diesmal ein Satellitentelefon geben. "Es verbindet Sie direkt mit der Polizei in Labrador City", sagt die Dame am Hotelempfang. Nicht sehr tröstlich: Lab City ist 500 Kilometer entfernt. Und die Landschaft bleibt monoton: Wälder, Sümpfe und Nebel, überall dieser undurchdringliche Nebel.

"Ein Wunder, dass es nicht vorher passiert ist"

Plötzlich hören wir das Schleifgeräusch am Reifen wieder. Nur diesmal viel lauter als beim letzten Mal. Umkehren will der Kanadier nicht, wir haben bereits zwei Stunden Fahrt hinter uns. "Es muss das Radlager sein", sagt er. Das Radlager? Ich will wissen, was das bedeutet. "Im schlimmsten Fall", sagt er, "kann das Rad wegbrechen. Und wir könnten auf dem Dach landen." Ich hole tief Atem. Wir erwägen, den Truck abzustellen und uns von einem anderen Auto mitnehmen zu lassen. Aber gerade jetzt kommt natürlich keins. Auch der Kleinbus nicht, den wir vorher überholt hatten. Aus dem Nebel taucht ein Schild auf: "Port Hope Simpson 156 Kilometer."

Wir fahren weiter. Und weiter. Das Glück ist auf unserer Seite. Wir schaffen es nach Port Hope Simpson. Es gibt sogar eine Garage in diesem Kaff. Und der Mechaniker hat Zeit für uns. Das Radlager, das er herausnimmt, bricht sofort auseinander. "Ein Wunder, dass es nicht vorher passiert ist", sagt er. Einen Tag später sehen wir den Kleinbus vor der Garage - mit einer gebrochenen Achse. Er musste abgeschleppt werden. Mein Begleiter pumpt den rechten Reifen wieder auf. "Auf dieser Straße fahre ich nie wieder", sagt er. Dabei mussten wir nicht mal einen Lederschuh kochen.

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