Mikromobilität:Große Chance für kleine Vehikel

Die Grenzen des Wachstums sind vor allen in den Städten erreicht: Kleine Fahrzeuge schonen Ressourcen, benötigen weniger Raum und sind erschwinglich. Vor allem Kleinstmobile werden sich nach Ansicht von Experten am Markt durchsetzen. Doch was bringt das alles ohne geändertes Mobilitätsverhalten und rentable Stückzahlen?

Wer in München, Berlin oder Hamburg wohnt, verzweifelt regelmäßig an der Parkplatzsuche. Doch selbst der Stau am Münchner Ring ist harmlos im Vergleich zum Verkehrsinfarkt, der täglich Städte wie Moskau, Peking oder Tokio befällt. Die Autohersteller freunden sich deshalb langsam mit der Mikromobilität an. Es entstehen nicht nur neue Fahrzeugsegmente unterhalb der existierenden, sondern auch neue Geschäftsmodelle.

German carmaker Adam Opel presents the full electric vehicle 'Opel RAK e' concept car at the International Motor Show (IAA) in Frankfurt

2011 präsentierte Opel seinen Kabinenroller RAK e auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main. In Serie wird er wahrscheinlich nie gebaut werden.

(Foto: REUTERS)

So sind Hersteller wie Smart oder BMW ins Carsharing-Geschäft eingestiegen. Renault vertreibt Elektroautos mit neuen Leasingmodellen und hat mit dem zweisitzigen Stromer Twizy ein ganz neues Fahrzeugsegment im Visier. Das Angebot im Bereich der Mikromobilität wächst stetig, angefangen im Zweirad-Bereich: In China wurden 2011 mehr als 22 Millionen Elektro-Fahrräder verkauft. BMW hat zwei neue Scooter ins Programm genommen. Smart erweitert sein Angebot mit dem E-Bike nach unten.

100 Modelle im Jahr 2020?

Bis 2020, so prognostiziert es das Beratungsunternehmen Frost & Sullivan, werde es mehr als 100 Modelle für die Mikromobilität geben. Die meisten davon kämen von 16 großen Autoherstellern, fast die Hälfte sei bereits serienreif. 300 Millionen US-Dollar hätten die Hersteller bislang in das Marktsegment gepumpt. "Lösungen für die Mikro-Mobilität werden sich langfristig durchsetzen", schlussfolgern die Frost & Sullivan-Analysten Vishwas Shankar und Sarwant Singh.

Doch wie viele der ambitionierten Projekte und faszinierenden Studien werden tatsächlich die Serienreife erreichen? Für Audis "Urban Concept"-Kabinenroller zum Beispiel gebe es derzeit keine Pläne für eine Serienfertigung, heißt es aus Ingolstadt - auch nicht in Kleinserie. Dass Opel seinen Mini-Flitzer RAK e bald auf die Straße bringt, darf ebenfalls bezweifelt werden. VW will zwar sein Ultrasparmobil XL1 im nächsten Jahr auf den Markt bringen, allerdings nur in kleinen Stückzahlen. Teure Bauteile wie die Karosserie aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) dürften den Preis auf mindestens 30.000 Euro treiben und somit außerhalb der Reichweite vieler Käufer.

Mit der Massenproduktion leichter Werkstoffe - BMW zum Beispiel hat Anfang März die CFK-Fertigung im Werk Landshut begonnen - werden die Kosten aber sinken. Außerdem lässt sich auch durch andere Maßnahmen Gewicht einsparen, was gerade für Mini-Stromer wegen der eingeschränkten Batteriekapazität wichtig ist. Toyota zum Beispiel hat vor einiger Zeit die Hybridstudie FT-Bh präsentiert. Das Gesamtgewicht des Wagens liegt bei 786 kg - "wohlgemerkt inklusive Batterie und ohne den Einsatz von teuren Leichtbaustoffen wie Karbon oder Aluminium", betont Koji Makino, der Projektmanager des FT-Bh. Der Wagen ist zwar knapp vier Meter lang, die Technik ist aber auch in kleineren Fahrzeugen vorstellbar.

Der Erfolg der Kleinen kommt nur, wenn die Kunden sie auch nachfragen

Phil Gott vom Beratungsunternehmen IHS Automotive glaubt, dass Mikromobilität für die Autobauer durchaus ein lukratives Geschäft werden kann. "Der Markterfolg dieser Fahrzeuge hängt weniger von der Technologie ab, sondern eher vom Sinneswandel der Verbraucher. Für die Hersteller ist die Rentabilitätsgrenze für Fahrzeuge im Bereich der Mikromobilität wahrscheinlich schon weit unterhalb von 100.000 produzierten Einheiten erreicht. Das heißt, sie können dann bereits Gewinn machen", ist der IHS-Experte überzeugt.

Dieser Sinneswandel muss aber noch auf breiter Front stattfinden. "Bislang haben wir meist Fahrzeuge gekauft, die für unsere Transportbedürfnisse viel zu groß sind. Selbst bei einem SUV sind im Schnitt nur zwei Personen an Bord. Die Kunden werden nur schrittweise von diesem Kaufverhalten abrücken", meint Phil Gott. Er sieht Chancen für Kleinstmobile vor allem beim Car Sharing: "Diese Fahrzeuge können viele Verkehrsprobleme lösen, aber sie sind nicht unbedingt das, was man selbst besitzen möchte. Es gibt Car Sharing schon in mehr als 1000 Städten weltweit", so der IHS-Experte.

Auch Wolfgang Schade sieht im Car Sharing und in vernetzten Mobilitätskonzepten die große Chance für Mikromobilität. Schade ist Leiter des Geschäftsfeldes Verkehrssysteme beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). Schade beobachtet, dass sich alternative Mobilitätskonzepte an manchen Orten viel schneller durchsetzen als gedacht. "Ich habe das etwa in Kopenhagen beobachtet. Dort nutzen rund 70 Prozent der Bevölkerung Fahrräder, viele nehmen auch ihre Kinder mit", berichtet Wolfgang Schade.

Familien nutzten so genannte Cargo-Bikes. "Aktuelle Untersuchungen in Kopenhagen zeigen, dass damit der Besetzungsgrad des Fahrrades sich langsam der Besetzungsquote von Autos nähert - dort sind statistisch gesehen 1,4 Personen an Bord", so Schade.

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