Microcars:Das Bonsai-Prinzip

Volle Straßen, kaum Parkplätze, dicke Luft: Microcars sollen den drohenden Verkehrsinfarkt verhindern helfen.

Joachim Becker

Die Ansage ist ebenso phantasieanregend wie im ersten Moment unbescheiden. "So sieht die elektromobile Zukunft aus", verkündet Smart mit gesundem Selbstbewusstsein und wird die Studie forvision folgerichtig in den Mittelpunkt des IAA-Auftritts in Frankfurt stellen.

Mit Vollkunststofffelgen und Leichtbau für Karosserie und Sitze soll der poppige Zweisitzer so viel Gewicht einsparen, dass die Reichweite um bis zu 20 Prozent steigt. Gehen damit die Blütenträume von einer quietschbunten und umweltfreundlichen Kleinstwagenpopulation doch noch in Erfüllung?

Anfang der neunziger Jahre träumte Nicolas Hayek von farbenfrohen Miniaturautos, die jung, erschwinglich und abgasfrei sein sollten. Viele, viele bunte Smarties auf Rädern sollten die Verkehrsprobleme der verstopften Großstädte lösen, hoffte der Erfinder der Swatch-Uhr.

Doch die Mehrheit des Publikums dachte zunächst gar nicht daran, sich in rollende Telefonzellen zwängen zu lassen. Die Vision von Swatch-Mobilen mit Elektroantrieb ließ sich damals selbst mit einem starken Partner wie Daimler nicht realisieren. Ist die Zeit jetzt reif für die E-Revolution im Auto-Kindergarten?

Eine "neue Ära der Mikromobilität" sehen Frost & Sullivan voraus - bis 2013 sollen rund 20 neue Kleinstautos die Großstädte bevölkern, erwarten die Unternehmensberater. Zumindest auf der IAA werden Knirpse zwischen 2,50 und 3,50 Meter Länge Hochkonjunktur haben: VW stellt den neuen Up! als Keimzelle einer ganzen Modellfamilie in den Mittelpunkt des Messeauftritts.

Auch Audis schlankes urban concept ist mit zwei hintereinander angeordneten Sitzen und freistehenden Rädern ein Hingucker. Was wie ein moderner Kabinenroller aussieht, soll, so heißt es in Ingolstadt, die Fusion aus Rennwagen und Fun-Car sein: "Ein Fahrzeugkonzept ohne Ballast, das sich auf die pure Essenz der sportlichen Bewegung konzentriert." Die Seifenkiste mit verschiebbarer Glaskuppel ist dank Kohlefasermonocoque ein Ultraleichtfahrzeug, der Elektroantrieb des 1+1-Sitzers sorgt für prima Klima in der Stadt.

Frost & Sullivan erwarten, dass rund 80 Prozent der neuen Mikroautos als E-Mobile auf den Markt kommen werden. Die Stromer würden zwar prima zu jungen Kunden passen, aber bezahlbar werden sie als teure Kleinserienfahrzeuge wohl nur für das Auto-Establishment sein. Und ältere Kunden könnten den Umstieg auf enge, spartanische Fahrzeuge als Prestigeverlust empfinden. Denn bei vollständig geöffneten Türen sind die Wägelchen meist breiter als lang.

Die Microcar-Zukunft: spartanisch und nervenaufreibend?

Im Mittelmeerraum erstaunte solch einen Cityfloh schon vor 75 Jahren die automobile Welt: Der Fiat 500, der 1936 debütierte, war wenig mehr als ein überdachter Motorroller. Bleche dünn wie ein Pizzaboden und lärmende Motörchen waren die Markenzeichen von Italiens ersten Volkswagen. Von der röhrenden Blechkugel liefen bis 1976 mehr als 3,7 Millionen Exemplare vom Band.

Diesen Verkaufserfolg aber allein mit bewundernswerter Leidensfähigkeit der Kundschaft zu erklären, wäre unfair. Der Cinquecento dann, Jahrgang 1957 und rund 3000 Mark teuer, hatte feststehende Seitenscheiben, lediglich die kleinen Dreiecksfenster ließen sich öffnen - bei mediterranen Temperaturen drohte nicht nur dem Zweizylinder, sondern auch den Passagieren der Hitzekollaps.

In der aufpreispflichtigen Normale-Version gab es später zwar Fensterkurbeln. Aber trotzdem waren simple Dinge wie dichte Türen, beschlagfreie Scheiben und eine funktionierende Heizung weder für Geld noch gute Worte zu haben. Ganz zu schweigen von einer zuverlässigen Bordelektronik, standfesten Bremsen oder einem passiven Insassenschutz. Das Billigauto bot nicht mehr als karge Einstiegsmobilität. Müssen wir uns die jetzt eingeläutete Microcar-Zukunft ähnlich spartanisch und nervenaufreibend vorstellen?

Problem ist auch, dass das Sicherheitsbewusstsein enorm gestiegen ist. Beim ersten Crashtest eines Fiat Seicento kollabierte noch vor wenigen Jahren die Fahrgastzelle, die Absatzzahlen brachen ein. Ohne Airbag krachte der Dummy kaum gebremst ins Lenkrad - die Folgen im Ernstfall wären fatal gewesen.

Ultra-Minis verhalten sich bei Unfällen auch heute noch kritischer als Autos mit längeren Knautschzonen. Dieses Problem kennen Mercedes-Entwickler seit Jahrzehnten. Schon 1972 planten sie einen 2,50 Meter kurzen Zweisitzer für Ballungsräume. Doch die Sicherheitsexperten winkten bei dem Stadtknirps ab. Zwei

Jahrzehnte später zerschellte auch Daimlers und Hayeks Idee eines Swatch-Mobils im Crashlabor. Die Mehrkosten des Elektroantriebs sollten beim Karosseriebau eingespart werden. Doch erst mit dem Schleuderschutz ESP, einer extrem harten Fahrgastzelle und einer Armada von Airbags bekam der Smart seine Sicherheitsprobleme in den Griff.

Die Kunst des Kleinstwagens besteht darin, mit sicherer Basismobilität Geld zu verdienen. Wie man so einen Cityflitzer auch noch sexy machen kann, zeigt das Beispiel Mini. Das Urmeter moderner Kleinwagen verblüffte 1959 mit einem Maximum an Platz auf kleinstem Raum sowie durch den quer eingebauten Motor und Frontantrieb. Heute sind fast alle kompakten Fahrzeuge nach diesem platzsparenden Muster gebaut.

"Kleiner ist billiger" funktioniert nicht mehr

Die Briten wussten dann allerdings mit dem Erbe der drei Meter kurzen Design-Ikone wenig anzufangen: Im Frühjahr 1997 stellten sie die rund gelutschte Studie Spiritual auf den Genfer Autosalon. Zur Realisierung des seelenlos-vernünftigen Kleinwagens kam es zum Glück nicht mehr, weil BMW die Markenrechte übernahm. Die neuen Eigner positionierten das einstige Billigmodell 2003 als junge und eigenständige Premiummarke. Tatsächlich waren Kunden rund um den Globus bereit, für weniger Platz mehr Geld auszugeben.

Doch selbst die Bereitschaft, den Mini wie ein exklusives Lifestyle-Accessoire zu bezahlen, hat Grenzen. Die schicke Rocketman-Studie, die Mini in diesem Frühjahr auf dem Genfer Autosalon zeigte, wird bis auf weiteres nicht in Serie gehen. Die Macher wissen nicht, wie sie das Wägelchen im Drei-Meter-Format einpreisen sollen, denn der Ultra-Mini kostet in der Herstellung ähnlich viel wie das Standardmodell mit seinen 3,72 Meter Länge. Die Logik "Kleiner ist billiger" funktioniert nicht mehr.

Klein, grün und günstig? Den Indern könnte gelingen, was die hiesigen Hersteller bisher nicht geschafft haben. "Wir halten an unserer Überzeugung fest, dass in Europa das Bedürfnis nach einem kompakten, wendigen und umweltfreundlichen Stadtauto besteht", sagt Tata-Motors-Chef Carl-Peter Forster. Auf dem diesjährigen Automobilsalon in Genf hatte Tata die drei Meter lange Studie Pixel vorgestellt, die auf dem Billigauto Tata Nano basiert.

"Mit Synergien bei Komponenten und Systemen können Microcars wirtschaftlich erfolgreich sein", so Sarwant Singh, Director Automotive & Transportation bei Frost & Sullivan, "Daimler hatte außer dem Smart keine anderen Kleinstwagen im Programm und konnte deshalb keine Skaleneffekte erreichen. Autos wie der Tata Nano sind dagegen selbst im Billigsegment profitabel."

Schon in seiner Zeit als Opel-Chef hatte Carl-Peter Forster über den Kleinstwagen Trixx nachgedacht. "Progressives Design und freizeitorientierte Funktionalität kennzeichnen Deutschlands frechestes Automobil", verkündeten die Rüsselsheimer damals.

Doch der Trixx ging ebenso wenig in Serie wie die Studien Max (1995) und Junior (1983). Jetzt investiert Opel rund 190 Millionen Euro in die Produktion eines neuen Junior in Eisenach. Der Stadtflitzer, dessen Bezeichnung bislang nur ein Arbeitstitel ist, soll Anfang 2013 den wenig prickelnden Minivan Agila ablösen.

Originelle Ideen sind gefragt, damit die Kleinen nicht als automobile Notlösung wirken. Und schon bald werden wir wissen, wer die Parkplatzwunder erfolgreich mit maximalen Spaß- und Kultfaktor kombinieren kann.

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