Mercedes SL:Der Mopf geht um

Nach dem SLK überarbeitet Mercedes auch den SL: Er ist besser geworden, aber nicht schöner.

Georg Kacher

Der SL, das ist Mercedes pur, der ganze geballte hochkarätige Markenwert komprimiert in einem sportlichen Zweisitzer. Wir erinnern uns: Der erste SL war die ultimative Sequenz aus Flügeltürer und Roadster, den zweiten kennt man heute noch als Pagode, der dritte wurde als 280 bis 500 SL mehr als 18 Jahre lang gebaut, die vierte Version (280 SL bis SL 73 AMG) fand fast 205.000 Käufer, Nummer fünf (SL 350 bis SL 65 AMG) läuft seit 2001 vom Band.

Mercedes SL: Dekorative Effekte statt klarer Architektur: Die neue Optik will aus dem Damenauto SL einen echten Sportwagen machen.

Dekorative Effekte statt klarer Architektur: Die neue Optik will aus dem Damenauto SL einen echten Sportwagen machen.

(Foto: Foto: Mercedes-Benz)

Ein gewöhnungsbedürftiges Facelift

Eigentlich hätte dieses Modell - der erste SL mit versenkbarem Hardtop - bis 2010 durchhalten sollen, doch dann bekamen die Verantwortlichen kalte Füße und entschieden sich für eine Zwischenlösung in Form einer großen "Mopf".

Mopf bedeutet intern Modellpflege und beinhaltet automatisch ein Facelift, an das wir uns erst noch gewöhnen müssen. Die neue Optik will aus dem Damenauto einen echten Sportwagen machen, aber wie so oft in letzter Zeit bei Mercedes geht es dabei nicht vorrangig um die Architektur, sondern um ornamentale und dekorative Effekte.

Statt durch zwei Rundscheinwerfer schaut der SL jetzt durch ein L-förmiges Augenpaar in die Welt, die angesichts der neu hinzugekommenen Spoiler, Hutzen, Diffusoren, Blenden, Gitter und Streben ungläubig zurückblinzelt.

Der Mopf geht um

Besonders wild treibt es der SL 63 AMG. Vorne bleckt ein wilder Frontspoiler dem Gegenverkehr ins Gesicht, seitlich machen Chromakzente und Fünf-Speichen-Räder auf dicke Hose, von hinten grüßen beidseits der fetten schwarzen Schürze vier selbstbewusste Auspuffrohre. Die Kunden mögen das so, sagt Mercedes. Vermutlich stimmt das sogar, denn auf freier Wildbahn erntet der gemopfte SL nur Komplimente und bewundernde Blicke.

Mercedes SL: Jetzt auch im SL: der Airscarf, der beim Offenfahren den Nacken wärmt.

Jetzt auch im SL: der Airscarf, der beim Offenfahren den Nacken wärmt.

(Foto: Foto: Mercedes-Benz)

Herrlich unvernünftiges Zwischengas

Der Einstieg in die SL-Welt beginnt beim braven 280 (ab 79.968 Euro), der ob seines 170 kW (231 PS) starken 3,0-Liter-V6 eigentlich SL 300 heißen müsste. Neu im Programm ist der SL 350 (ab 86.572 Euro), dessen 3,5-Liter-V6 zum Sportmotor geadelt wurde. Sport bedeutet 16 Prozent mehr Leistung (232 kW/316 PS statt 200 kW/272 PS), etwas mehr Drehmoment, ein höheres Drehzahlniveau und bessere Fahrleistungen (0-100 km/h in 7,8 Sekunden).

Trotz mehr Spritzigkeit sinkt der Durchschnittsverbrauch um 0,4 auf 9,9 Liter auf 100 Kilometer - Efficient Dynamics auf Schwäbisch. Wer mag, bekommt zum kernigeren Motor die agilere Direktlenkung, die schneller einlenkt, weniger Kurbelei erfordert und feinfühliger reagiert. Da will die Automatik nicht zurückstehen. Im manuellen Modus wird beim Zurückschalten Zwischengas gegeben, was herrlich unvernünftig klingt und bei niedrigen Reibwerten für mehr Disziplin an der Hinterachse sorgt.

Nahezu unverändert übernommen wurden die Motoren des SL 500 (5,5-Liter-V8, 285 kW/388 PS), des SL 600 (V12, 380 kW/517 PS) und des SL 65 AMG (V12-Biturbo, 450 kW/612 PS). Hochdrehzahlkonzept statt Kompressor-Wumms heißt das Konzept des SL 63 AMG, der für den SL 55 AMG in die Bresche springt. Klar, der Sauger hängt gieriger am Gas, dreht mit Inbrunst bis 7200 U/min und reduziert die Vorderachslast um fast 30 Kilo.

Der Mopf geht um

Trotzdem fällt uns der Abschied vom mechanischen Lader nicht leicht, denn der SL 55 geht besser (0-100 km/h in 4,5 Sekunden), braucht weniger (13,5 statt 13,9 Liter), hat mehr Schmalz unter der Haube (720 statt 630 Nm) und erreicht den Drehmomentgipfel schon bei 2600 U/min statt bei 5200 U/min. Da ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser AMG-Treibsatz ein Bekenntnis zum Turbolader ablegen wird - womit er sich in bester Gesellschaft befindet, denn die Kraftwerker der BMW M Division und der Audi Quattro GmbH haben Ähnliches im Sinn.

Airscarf: das wohlige Gegenmittel gegen einen steifen Hals

Das SL-Cockpit wurde nun zwar aufgehübscht und um die neueste Comand-Version mit Festplatte und größerem Farbmonitor erweitert, aber für den zentralen Dreh-Drück-Steller war leider kein Platz mehr in der Mittelkonsole und in der Elektronik-DNS, die noch vom Vorgänger stammt. Aus dem SLK kennen wir bereits den Nackenwärmer namens Airscarf.

Beim SL haben die Techniker nachgelegt, das Heizelement vergrößert, die Zahl der Ventilatoren verdoppelt und die Ausströmfläche erweitert. Das wohlige Gegenmittel gegen einen steifen Hals lässt sich in drei Stufen modulieren. Bei geöffnetem Verdeck regelt das Tempo die Wärmezufuhr. Klingt schräg, wird sich aber in Mercedes-Kreisen ebenso durchsetzen wie das Windschott, die belüfteten Massagesitze und das sehr solide Variodach.

Der Mopf geht um

Mehr denn je eine Sonderstellung im SL-Programm genießt die AMG-Version, die von 145.239 Euro an zu haben ist. Als einziges Modell besitzt dieser Überflieger das neue Speedshift-Sportgetriebe, das über eine sogenannte Drive Unit bedient wird. Die Aufgabe des Drehmomentwandlers übernimmt hier eine nasse Anfahrkupplung, die rasant und schlupffrei arbeitet. Vier verschiedene Schaltprogramme können vorgewählt werden: C steht für Komfort und für sanfte Gangwechsel; S dreht die Gänge höher aus, schaltet früher zurück und arbeitet 20 Prozent schneller; S+ verkürzt die Schaltzeit um weitere 20 Prozent; M bedeutet manuell und im Vergleich zu C glatt halbierte Schaltzeiten.

Knapp zwei Tonnen sind einfach zu viel für ein Auto, das Super Leicht heißt

In S, S+ und M ist die automatische Zwischengas-Funktion aktiv. Im Race Start Modus wählt der SL 63 AMG automatisch die optimale Anfahrdrehzahl und die kürzeste Schaltzeit. Der SL 63 AMG spurtet auf Wunsch in 4,6 Sekunden von null auf 100 km/h, aber in der Tiefe des Herzens liebt das Topmodell die Langstrecke, wo es seine GT-Qualitäten voll ausspielen kann. Zu den Stärken des bulligen Gleiters gehören das weitgehend wank- und rollstabile Fahrwerk, die endlich aufmerksame Lenkung und die bissig-souveränen Verbundbremsen.

Schwächen? Der SL ist außen groß, aber innen kompakt, der viel zu hohe Praxisverbrauch lässt Bankguthaben schmelzen wie Eis in der Sonne und das hohe Gewicht konterkariert die an sich talentierte Fahrdynamik durch die Trägheit der Masse. Knapp zwei Tonnen sind einfach zu viel für ein Auto, das nicht nur Super Leicht heißt, sondern es auch tatsächlich ist.

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