Mercedes-Benz G / GL:Souveräner Spleen

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Triumph des Lineals über die Dekadenz der Kurven: der klassische Mercedes G 500 und sein Bruder GL - ein exzentrischer Vergleich.

Andreas Zielcke

"Ich fühle mich frei wie noch nie", frohlockt Don Juan in Max Frischs gleichnamigen Stück, "frei und wach und voll Bedürfnis nach männlicher Geometrie." Ja, inzwischen hat er alles Feminine satt. Ihm, dem doch die Sinne nach nichts anderem standen als nach allen Spielarten der weiblichen Topographie. Doch nun öden sie ihn an, die weichen Formen, die verführerisch geschwungenen Linien mit ihrem allzu delikaten Schmelz und natürlich erst recht all diese kosmetischen Retuschen und künstlich gepolsterten Kurven, nein, dieser Mann sehnt sich nur mehr nach gradliniger Echtheit, nach harter viriler Einfachheit. Und wie es einem von wohlfeilen Reizen übersättigten Don Juan geht, so geht es wohl auch dem Käufer eines Mercedes der G-Klasse.

Schnörkellos und kühl, unmodisch und zeitlos - männliche Geometrie. Der G-Käufer ist ein Held des ästhetischen Rückzugs. (Foto: Foto: Mercedes-Benz)

Das G-Modell: ein Fetisch des ästhetischen Eigensinns

Für den Preis eines G 500 kann er fast jeden modischen Luxuswagen haben. Einen oder auch zwei von ihnen hat er womöglich in der Garage stehen. Trotzdem, ihre sinnlichen Rundungen, ihre fließenden Silhouetten lassen ihn kalt. Ob sie mit ihren immer unverhohleneren Schwellungen füllige Weiblichkeit imitieren oder am Ende gar maskuline Potenz signalisieren wollen, ist ihm egal.

Mag ja der Zeitgeist nach diesem polymorph-erotischen Design verlangen, ihm erscheinen sie vulgär, all diese aufdringlichen Blechschönheiten, die sich auf den Straßen herumtreiben und einen anzumachen versuchen - mit ihren Scheinwerfern wie Schlafzimmeraugen und ihren hochgereckten Hinterteilen. Wie auch immer, sie langweilen ihn. Gegen den Degout hilft nur entschlossene ästhetische Kargheit und Kompromisslosigkeit. Schnörkellos und kühl, unmodisch und zeitlos - männliche Geometrie. Der G-Käufer ist ein Held des ästhetischen Rückzugs.

Nicht dass das G-Auto seinen Reiz nostalgischer Sentimentalität und Retro-Bedürfnissen verdanken würde. Schon als es vor beinahe 30 Jahren auf den Markt kam, fiel es aus der Zeit und der Mode.

Von den sogenannten SUVs war weit und breit noch nichts zu sehen, die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer wurde noch durch die Zigaretten- und die Filmindustrie beflügelt, nicht durch Vierradantrieb.

Und das G-Modell war auch kein weitsichtiger Vorreiter, dessen Urheber das spätere lukrative Offroad-Fieber erahnt hätten. Am Anfang war es nichts als ein triviales Nutzfahrzeug für die Armee, die Feuerwehr, den Forstbetrieb. Einen Geschmack musste man nicht treffen, sehr wohl aber handfeste Erwartungen an seinen Einsatz im Dreck, Sumpf und Sand. Inzwischen, diese drei Jahrzehnte später, ist es ein Fetisch und eine Legende - ein Fetisch des ästhetischen Eigensinns und eine Legende bravouröser Strapazierfähigkeit.

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Und so asketisch wie sein Aussehen, so geradezu verschworen unzeitgemäß ist seine Technik. Starrachse, permanenter Allradantrieb und vor allem keine selbsttragende Karosserie wie in jedem heutigen Personenwagen, sondern ein Aufbau, der auf einem schlichten Leiterrahmen aufsitzt - eines Lastwagens würdig.

Mercedes hat dem G das Modell GL zur Seite gestellt - mit moderner Technik, modernem Design, modernem Zuschnitt: größer, stärker, schneller, sparsamer, bequemer als sein älterer Bruder. (Foto: Foto: Mercedes.Benz)

Da ist es nur folgerichtig, dass das Design der Fahrgastzelle der sprödesten Geometrie gehorcht: Gerade, Dreieck, Quader, wie aus einer frühzeitlichen Schlosserwerkstatt - der Triumph des Lineals über die Dekadenz der Kugel.

Eine aristokratische Verschwendung von cw-Werten

Die Scharniere der Türen sind so sichtbar und ausgeprägt, als ob man einen Tresor verschließen müsste. Die Frontscheibe steht nahezu senkrecht zur Fahrtrichtung, den Luftwiderstand sollte man nicht in peinlichen cw-Werten angeben, sondern der aristokratischen Verschwendung angemessen in Klaftern oder Scheffel der Luftmassen, die der Wagen gegen den Wind pro Stunde wegzustemmen hat. Und diese gewaltige Arbeit lässt den Fahrtwind so aufheulen, dass er spätestens ab 150 Stundenkilometer akustischen Terror ausübt, dem der Klügere durch Herunterbremsen nachgibt.

Das alles schadet selbst dem machtvoll motorisierten G 500 überhaupt nicht. In seinem eigentlichen Element ist er natürlich dort, wo nicht mehr das Navigationsgerät, sondern nur noch der Kompass zählt, auf unerschlossenem Terrain.

Offroad ist der falsche Ausdruck, weil er nicht das Positive abseits der Straßen benennt. Auf der Karte sind es die weißen Flecken, am Steuer des G sind es jene Felder, Wälder und Wiesen, jene Flussmulden und Sandbänke, jene Steilhänge und Sumpfpfade, die die Umwelt irgendwo da draußen eigens für ein solches Fahrzeug auszubreiten scheint. Was so banal ist wie das Durchqueren von Gestrüpp und Fels, Geröll und Wasser, wird mit ihm zu dem herb-poetischen Erlebnis, das dem verwöhnten Automobilisten nur die unplanierte Natur zu bieten hat.

Wer hätte je vermutet, dass ausgerechnet Lehm und Matsch den Fahrgenuss krönen können? Dass soignierte Gesellschaftswesen männlichen Geschlechts sich auf verschlammtem Wiesengrund beim auto-suggestiven dirty dancing wiederfinden, allein mit sich auf weiter Flur?

Man kann diesen Herrenritt mit dem Luxusgefährt über Stock und Stein in all den Fällen, wo es nicht um technische Hilfe, sondern nur um die Laune seines Fahrers geht, durchaus als snobistische, ja als absurde Form der Natureroberung betrachten, von dem Vergehen an der Ökologie ganz zu schweigen. Doch an der steinigen und sumpfigen Schönheit solcher Vierradexkurse in die freie Natur ändert dies nichts.

In der Tat, spätaristokratische Nonchalance und derber herrschaftlicher Naturgenuss, das zeichnet den Inhaber des G 500 aus. Jederzeit könnte man am Steuer eine Mischung aus Errol Flynn und einem deutschen Landjunker erwarten. Hat der Mann gerade die Savanne durchquert oder nur seinen Großgrundbesitz in Westfalen? Im Zweifel ist er ein Mitglied der höheren Stände, aber dennoch schwer einzuordnen, dieser eigenwillige Außenseiter mit seiner zeitfernen Vorliebe für den stilistischen und technischen Minimalismus, schwer einzuordnen vor allem für Marketingstrategen.

Bedient wird: ein souveräner Spleen

Mercedes hat darum neuerdings dem G das Modell GL zur Seite gestellt - mit moderner Technik, modernem Design, modernem Zuschnitt: größer, stärker, schneller, sparsamer, bequemer als sein älterer Bruder.

Ursprünglich sollte das neue Modell den G ablösen, doch aus den vornehmeren Nischen der Märkte und den Kreisen der Liebhaber vernahm man solches Grummeln, dass Mercedes nun den alten neben dem neuen anbietet. Nichts zeichnet die Größe eines Weltkonzerns besser aus als die Fähigkeit, auch einen souveränen Spleen zu bedienen.

Nun hat man also die Wahl zwischen Heute und Nirgendwann. Jeder, der einen Funken Vernunft hat, eine amerikanische Ranch besitzt und regelmäßig zwischen "Lagerfeuer und Vorstandssitzung" hin und her zu fahren hat, wird ohne Zögern zum fürstlich ausgestatteten GL 500 greifen.

Im Gelände ist er mit einer Härte einsetzbar, vor der die meisten SUVs, deren Offroad-Tauglichkeit allenfalls auf der Kiesanfahrt im Anwesen ihres Besitzers erprobt werden sollte, wie eine Lachnummer wirken. Und auf den Straßen ist er so komfortabel, rasant und luxuriös wie Limousinen der obersten Klasse auch. Nichts also spricht gegen ihn, lässt man einmal seinen Preis, seine uneuropäische riesige Dimension, seinen Verbrauch im Stadtverkehr, sein konformistisches Design außer Acht.

Jeder andere aber, der auf Vernunft pfeift, aber einen exzentrischen Sinn hat für ästhetische Diskretion und unprätentiöse Technik, kurz, der zu den allerletzten Romantikern fernab der Marktgesetze gehört, der greift wach und frei und männlich zum G.

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