Verkehr:Wenn Radler Grün haben, müssen alle Autos warten

Verkehr: Für im Straßenverkehr getötete Radler werden "Ghostbikes" aufgestellt - auch für das Mädchen, das in München starb.

Für im Straßenverkehr getötete Radler werden "Ghostbikes" aufgestellt - auch für das Mädchen, das in München starb.

(Foto: Twitter/BikeCapital)

Zumindest an kritischen Kreuzungen. Nur so lassen sich Abbiegeunfälle verhindern, bei denen Radfahrer getötet werden. Die Politik muss endlich handeln.

Kommentar von Thomas Hummel

Radfahren in deutschen Städten ist gefährlich. Sportliche Typen mit jahrelanger Erfahrung auf ihren Hochleistungsrädern kommen gut durch. Aber viele Senioren oder selten radfahrende Bürger scheitern bei dem Versuch, angstfrei durch die Straßen zu fahren. Wenn das Kind mit dem Rad zur Schule fährt, sind die Eltern froh, wenn es gesund wieder daheim ist.

Manche mögen das für übertrieben halten. Doch die Unfallzahlen gehen in allen Bereichen seit Jahren zurück - nur bei den Radfahrern nicht. Die Zunahme der schnell beschleunigenden Elektro-Räder vergrößert das Problem. Statistiker gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus, weil viele Kollisionen mit Radfahrern nicht gemeldet werden. Wenn sich der Radler nicht schwerer verletzt und sein Fahrzeug noch halbwegs in Ordnung ist, geht's meistens weiter.

Es gibt für Radfahrende viele riskante Stellen. Ausfahrten, Einmündungen und Kreuzungen sind besonders brenzlig. Dann hilft ihnen auch eine Vorfahrt nichts. Sie sind die Schwächeren, um sich selbst zu schützen, müssen sie ein etwaiges Fehlverhalten von Auto-, Lkw- oder Busfahrern mitdenken. Daran scheitern viele. Ganz schwierig ist es, mit dem Fahrrad auf eine Kreuzung zuzufahren, während die Ampel Grün leuchtet und Kraftfahrzeuge rechts abbiegen wollen. Macht der Autofahrer den Schulterblick? Kann mich der Lkw-Fahrer sehen aus seinem Hochsitz? Blickt der Busfahrer in den Spiegel? Fragen, die über Leben und Tod entscheiden können. An jeder Ampel.

Dienstag: Ein rechtsabbiegender Busfahrer übersieht in Berlin eine Pedelec-Fahrerin, die sich schwer verletzt. Montag: In München stirbt ein neunjähriges Mädchen mit dem Rad auf dem Schulweg, von einem rechtsabbiegenden Lkw überrollt. In Hamburg stirbt eine 33-jährige Frau in der gleichen Situation. Im April in Hannover traf es einen elfjährigen Jungen. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club zählt in diesem Jahr 15 durch abbiegende Lkw getötete Radfahrer. Tendenz seit Jahren steigend.

Die Politik verhält sich dabei so, als wäre das alles ein Unglück, gegen das man wenig tun kann. Dabei gibt es seit 2009 die Technik für einen Lkw-Abbiegeassistenten, doch weil sich die Speditionen lieber das Geld sparen, fährt kaum ein Lkw damit. Das ist ein anhaltender Skandal.

Kein Bus-, Auto- oder Lkw-Fahrer überfährt gerne einen Radler. Schon gar kein Kind. Sie sind mit dem wachsenden Treiben auf den Straßen genauso überfordert wie viele Radfahrer, die ja selbst oft Verursacher von Unfällen sind. Die Politik sollte sich deshalb dringend in der größeren Frage entscheiden: Will sie den Anteil der Radfahrer in den Städten so belassen oder gar weiter erhöhen? Falls ja, dann muss sie die Infrastruktur teilweise massiv umbauen: breitere Radwege, Radschnellwege, eventuell im Sommer Nebenstraßen komplett für Autos sperren. Dazu an kritischen Kreuzungen eigene Grünphasen für Radfahrer einrichten, während derer der Kfz-Verkehr komplett Rot hat. Die Politik muss also dem Kfz-Verkehr Platz wegnehmen und ihn hier und da zurückstellen. Sonst sind die nächsten Meldungen von toten und schwer verletzten Radfahrern zwangsläufig.

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