Luftverkehr: Bilanz 2009:Viel Glück im Unglück

2009 gab es weniger tödliche Unfälle im Luftverkehr, doch die Zahl von Beinahe-Katastrophen nahm beunruhigend zu.

Andreas Spaeth

Es geschah zwei Tage vor Weihnachten und steht fast symbolisch für das Unfallgeschehen im Luftverkehr 2009: In Dunkelheit und bei schlechtem Wetter setzte eine Boeing 737-800 der American Airlines zu spät auf der Landebahn des Flughafens Kingston in Jamaika auf.

Unfälle im Luftverkehr

Die Passagiere auf dem Hudson River hatten Glück im Unglück: Pilot Sullenberger wasserte perfekt.

(Foto: Foto: AP)

Die Piloten brachten den mit 154 Menschen besetzten Jet nicht rechtzeitig zum Stehen - mit 115 km/h schoss er über das Ende der Bahn hinaus, durchbrach einen Zaun und überquerte eine Straße. Dabei zerbrach der Rumpf in drei Teile, auf der rechten Seite riss das Triebwerk ab. Nur 15 Meter vor dem Meer kam das Wrack zum Stillstand - 90 Menschen an Bord wurden verletzt, niemand schwer.

Kaum irgendwo liegen Aufatmen und Katastrophe so nahe beieinander wie im Luftverkehr. Und 2009 gab es einige spektakuläre Fälle, in denen ein Desaster nur um Haaresbreite verhindert werden konnte. Die Gesamtbilanz für das abgelaufene Jahr fällt deshalb glimpflich aus: Nach Statistiken des Fachdienstes Aviation Safety Network (ASN) starben in weltweit 30 todbringenden Unfällen insgesamt 757 Menschen.

Das sind zwar erheblich mehr als die 577 Opfer, die 2008 verzeichnet wurden, doch es gibt trotzdem Positives zu vermelden: "Nur elf der tödlichen Unfälle betrafen Passagierflüge, das ist die geringste Zahl in mehr als sechzig Jahren", so ASN-Gründer Harro Ranter. Die Zahlen der Londoner Firma Ascend, die vor allem für Luftfahrtversicherer arbeitet, weisen ebenfalls aus, dass es noch nie auf so wenigen Passagierflügen Todesopfer gab; 2006 waren es fast doppelt so viele gewesen.

"Die Unfallrate der Branche war noch nie so niedrig", bestätigt auch IATA-Generalsekretär Giovanni Bisignani, "wir hatten gerade mal einen Unfall pro 1,75 Millionen Flüge. Das ist eine 38-prozentige Verbesserung gegenüber 2008 und fast eine Halbierung der Unfallraten von 2000", so der Chef der Organisation der weltweiten Liniengesellschaften. IATA-Sicherheitschef Gunther Matschnigg rechnet sogar vor: "Wenn man einmal am Tag fliegt, würde es statistisch für eine Person 4807 Jahre dauern, bis sie in einen Unfall verwickelt wäre."

Die Serie von "Glück-im-Unglück"-Fällen begann im Januar

"Da hätte es leicht viele Tote geben können", weiß Paul Hayes, Doch mit etwas weniger Glück hätte die Bilanz 2009 auch verheerend ausfallen können. Beunruhigend ist vor allem, dass Beinahe-Katastrophen verstärkt große Fluggesellschaften aus Industrieländern trafen, die auf höchstem Sicherheitsniveau operieren. Die Serie von "Glück-im-Unglück"-Fällen begann schon am 15. Januar mit einem der spektakulärsten Vorfälle der Luftfahrtgeschichte: Nach doppeltem Vogelschlag beim Start in New York-La Guardia fielen beide Triebwerke eines Airbus A320 der US Airways aus und Flugkapitän Chesley Sullenberger landete in einer bis heute gefeierten Meisterleistung das antriebslose Flugzeug im Hudson River, niemand der 155 Insassen kam zu Schaden.

Luftverkehr: Bilanz 2009: Bilanz 2009: Bei weniger Unglücken kamen mehr Menschen ums Leben als 2008.

Bilanz 2009: Bei weniger Unglücken kamen mehr Menschen ums Leben als 2008.

(Foto: Graphik: SZ)

Sicherheitsdirektor bei Ascend. Kein gutes Licht auf die kommerziell erfolgreiche und nach früheren Problemen zuletzt sechs Jahre unfallfreie Turkish Airlines wirft ein Absturz in Amsterdam am 25. Februar. Nachdem die Piloten und ein mitfliegender Fluglehrer einer Boeing 737-800 nicht bemerkten, dass im Landeanflug ein Radiohöhenmesser wegen eines technischen Fehlers mit falschen Werten arbeitete, stürzte die Maschine kurz vor der Landung flach vom Himmel auf ein Feld und zerbrach. Trotz des heftigen Aufpralls starben lediglich neun der 135 Insassen, darunter alle drei Piloten. "Das ist ein sehr seltsamer Unfall, es ist mir unerklärlich, warum gleich drei Piloten nicht bemerkten, was los war", sagt Paul Hayes.

Menschliches Versagen im Cockpit führte auch zu einem Fast-Absturz bei der hoch angesehenen Emirates Airlines: Vor dem Start in Melbourne am 20. März gaben die Piloten versehentlich ein um 100 Tonnen zu niedriges Startgewicht in den Bordcomputer ihres Airbus A340-500 ein. Die Folge war, dass die Maschine kaum vom Boden hochkam, mit dem Heck auf die Bahn aufschlug, die Befeuerung streifte, nur ganz knapp abheben und kurz darauf notlanden konnte. Die 275 Insassen blieben unversehrt. "Ich betrachte das als Zufall, dass mehrere renommierte Gesellschaften 2009 in derartige Vorfälle verwickelt waren, das ist kein Trend", wiegelt Paul Hayes ab.

Innerhalb von nur sechs Wochen allerdings geschahen im Sommer 2009 drei Katastrophen, die den Rückblick und die Statistiken prägen. "Diese drei Unfälle mit einer besonders tragischen Größenordnung führten zu 680 Toten, das sind mehr als im gesamten Jahr 2008", sagt IATA-Chef Bisignani.

Der Luftverkehr wird nicht mehr sicherer

Bis heute weitgehend unerklärlich ist der Verlust des Airbus A330 der Air France am Pfingstmontag, der auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris in den Atlantik stürzte. Alle 228 Menschen an Bord starben, nur wenige Wrackteile und Opfer konnten geborgen werden.

Da die Luftfahrt aus solchen Katastrophen zwingend Schlüsse ziehen muss, startet im Februar für zehn Millionen Euro eine erneute Suchaktion auf dem Meeresgrund. Zumindest der Flugschreiber soll dabei gefunden werden. Nur vier Wochen später stürzte im Juni noch ein Airbus ins Meer, diesmal eine A310 der Yemenia beim nächtlichen Schlechtwetteranflug auf die Komoren. Ein 14-jähriges Mädchen überlebte als einzige, die anderen 152 Menschen an Bord starben. Obwohl die Datenschreiber seit längerem in Frankreich zur Analyse sind, wurden bis heute keine Unfallursachen bekannt.

Die dritte Katastrophe im Sommer 2009 betraf den Iran, eine Tupolew Tu-154M der Caspian Airlines stürzte kurz nach dem Start nahe Kaswin ab, alle 168 Insassen starben. Der Pilot hatte zuvor technische Probleme gemeldet. Im Iran gab es 2009 noch zwei weitere Unfälle mit zusammen 21 Toten, die iranische Luftfahrt leidet vor allem unter dem Embargo der USA, das westlichen Firmen Flugzeuglieferungen verbietet. Daher ist die iranische Flugzeugflotte mit durchschnittlich 22,5 Jahren stark veraltet, in der EU liegt der Durchschnitt bei rund zehn Jahren.

Insgesamt beklagen Experten, dass der Luftverkehr nicht mehr sicherer wird. "Seit den Wright-Brüdern bis 2003 hat sich die Sicherheit von Passagierflügen stets verbessert", sagt David Learmount vom Fachblatt Flight International. "Auch 2009 haben Piloten häufig in Situationen versagt, die sie hätten meistern müssen", so Learmount, "das lässt sich nur durch Training verbessern, aber das wird in der derzeitigen Finanzlage nicht passieren."

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