Luftfahrt-Historie:Eine Million Euro für das fliegende Denkmal

Die Junkers Ju 52, "Tante" Ju, in der Lufthansa-Flugwerft in Hamburg

Bis die restaurierte Junkers Ju 52 wieder abheben kann, wird es noch einige Wochen dauern.

(Foto: Marco Völklein)

Die Junkers Ju 52, die Traditionsmaschine der Lufthansa, ist schon über 80 Jahre alt. Damit "Tante Ju" ihren Hundertsten in der Luft erlebt, wird sie derzeit restauriert - mit riesigem Aufwand.

Von Marco Völklein

Der Vogel steht arg gerupft da. Beide Tragflächen abmontiert, der Passagierraum leergeräumt. Über zwei Leitern haben sich Mechaniker zum Kolben-Sternmotor an der Spitze des Flugzeugs vorgearbeitet und schrauben an ihm herum. Die "alte Tante Ju", wie die Maschine vom Typ Junkers Ju 52 immer wieder genannt wird, steht in einer Halle der Lufthansa-Werft nahe des Hamburger Flughafens; sie liegt hier quasi auf der Intensivstation. Der fliegende Oldtimer wird komplett überholt. Über ein Jahr war er nicht mehr in der Luft. Erst in einigen Wochen wird er wieder abheben, wenn alles klappt.

Denn noch immer schrauben und werkeln die Arbeiter in der Lufthansa-Werft an der alten Maschine. Mit Flugzeugen vom Typ Junkers Ju 52 begann in Deutschland vor gut acht Jahrzehnten die kommerzielle Luftfahrt. Die Lufthansa startete von Deutschland aus mit Junkers-Flugzeugen unter anderem zu Zielen in Nord- und Südamerika sowie in Asien. Entsprechend groß ist das Interesse von Luftfahrtinteressierten und -begeisterten an der "alten Tante Ju".

Als die Lufthansa die Maschine in den Achtzigerjahren kaufte und aufmöbeln ließ, war eigentlich geplant, dass sie noch fünf Jahre lang fliegen soll und dann an ein Luftfahrtmuseum übereignet wird. Doch das Interesse an dem fliegenden Oldtimer war viel zu groß. Zumal es weltweit nur noch eine Handvoll weiterer Ju 52 gibt, die noch in die Luft gehen.

Vor etwas mehr als einem Jahr allerdings war noch völlig offen, ob die Lufthansa-Traditionsmaschine mit der Kennung D-AQUI am Heck jemals wieder abheben wird. Im September 2015 stellten Techniker an dem Oldtimer einen Bruch eines der acht Mittelholme fest. An weitere Rund- und Streckenflüge war nicht mehr zu denken. Vielmehr mussten die Verantwortlichen der Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung, der die Maschine gehört, entscheiden, ob sie die aufwendige und zeitraubende Reparatur angehen.

Am Ende machten die Techniker aus der Not eine Tugend: Die komplizierte Reparatur des Mittelholms wurde verbunden mit einer Generalüberholung der gesamten Flugzeugstruktur. Das bedeutete aber auch, dass für die Ju 52 die Flugsaison 2016 komplett ausfiel. Voraussichtlich Anfang Mai wird sie von Hamburg aus wieder starten. Und danach Flüge über vielen deutschen Städten absolvieren, unter anderem in Bremen im Juni, in Essen im August oder im September in Friedrichshafen sowie zum Oktoberfest in München. Wenngleich sich etwa in Bayerns Landeshauptstadt auch immer wieder Bürger beschweren, wenn die Maschine laut über ihren Köpfen brummt.

Aus Ersatzteilmangel mussten die Techniker fast alles neu fertigen

Für die Techniker in Hamburg wiederum bedeutete die Generalüberholung vor allem eine Menge Arbeit. So wurden die beiden Tragflächen vom Flugzeugrumpf gelöst und in große, eigens dafür konstruierte Gerüste gehängt. Zahlreiche Teile der für die Ju 52 so charakteristischen Wellblechhaut lösten die Arbeiter ab, um an die darunter verbauten Flächenholme zu gelangen. Die wirken auf Laien wie ein dichtes Gewirr aus Längs- und Querstreben und geben der Tragfläche ihre Stabilität. Die Techniker prüften jede Strebe und Verbindung auf Risse oder andere Schäden. Wo sie nur auf kleinste Veränderungen trafen, setzten sie neue Teile ein.

Das aber klingt einfacher, als es ist. Denn für die Maschine, die 1936 bei den Junkers-Werken in Dessau gebaut wurde, gibt es heute praktisch keine Ersatzteile mehr. Werkstattleiter Thomas Grütjen und seine Kollegen mussten daher fast alles in Handarbeit neu fertigen. Entsprechende Werkzeuge, beispielsweise zum Plätten der Wellbleche, um dort Nieten schießen zu können, mussten sie ebenso herstellen.

Die alte Lady bekommt eine neue Haut

Beim Auseinanderbauen stellten die Mechaniker zudem fest, dass auch große Teile der Wellblech-Außenhaut des Flugzeugs ausgetauscht werden mussten. Wobei der Begriff Wellblech eigentlich falsch ist, wie Grütjen betont. Denn die Hülle der Ju 52 bestand schon in den Dreißigerjahren aus Gewichtsgründen vorwiegend aus Aluminium. Grütjen und seine Leute nahmen also große Teile der gewellten Aluminiumflächen ab und ersetzten diese durch neues Material.

Wer nach Hamburg fährt und die 110 Quadratmeter Flügelfläche bestaunt, die in der Halle hochkant stehen, um bearbeitet zu werden, der sieht große, grüne Flächen Wellblech. "Alles, was grün ist, ist neu", sagt Grütjen. Und musste ebenfalls von Hand gefertigt werden.

10 000 Flugstunden

hat die Junkers 52 der Deutschen Lufthansa Berlin-Stiftung in den vergangenen drei Jahrzehnten absolviert. Ausgeliefert wurde die Maschine 1936 an die damalige Lufthansa, dann nach Norwegen verkauft. Nach dem Krieg flog sie unter anderem in Amerika, bevor sie von Lufthansa-Piloten in schlechtem Zustand auf einem Flugfeld in den USA entdeckt wurde. 1984 kaufte sie die Lufthansa und ließ sie instand setzen. Zwei Jahre dauerte die Restaurierung. Seither absolvierten mehr als 200 000 Passagiere Flüge mit der Ju 52 mit der Kennung D-AQUI am Heck.

"Die Ausstattung ist der eines Airbus A380 ebenbürtig"

Fertigungsunterlagen von Junkers aus dem Jahr 1944 dienten den Technikern dabei als Grundlage. Aus den Papieren konnten sie auch Rückschlüsse auf alte Fertigungstechniken ziehen. Zum Teil aber kamen dann neue Werkstoffe, beispielsweise eine leicht veränderte Art Aluminium, zum Einsatz. "Wir standen immer wieder vor einer Frage", sagt Grütjen: "Wie hat der Herr Junkers das damals gemacht?" Um Antworten zu finden, schalteten die Techniker auch Fachleute aus diversen Lufthansa-Labors ein, um beispielsweise Zugfestigkeiten oder Steifigkeiten zu bewerten.

Hinzu kommt: Alles, was die Techniker machten, mussten sie mit dem Luftfahrtbundesamt abstimmen und entsprechende Nachweise vorlegen - etwa darüber, dass heutige Werkstoffe denen von 1936 in nichts nachstehen. Die Aufseher wollen schließlich sichergehen, dass da ein technisch einwandfreies Flugzeug abhebt. Zumal sich unter der gewellten Alu-Haut auch viel moderne Technik verbirgt. Damit sie auch auf großen Flughäfen wie Frankfurt, Wien oder München landen kann, hatten die Lufthansa-Techniker der Maschine schon vor Jahren Geräte für den Instrumentenflug verpasst.

"Tante Ju" soll ihren 100. Geburtstag im Flug erleben

Zudem verfügt die Junkers unter anderem über GPS-Navigation, Gewitter-Erkennung, ein Gerät zur Warnung vor Segelfliegern sowie einen Sender, der es den Vorfeldlotsen etwa in Wien erlaubt, das Flugzeug auf dem Bodenradar zu verfolgen. "Alles in allem ist die Ausstattung der eines modernen Passagierflugzeugs ebenbürtig", sagt Grütjen. Das zeigt auch ein Blick ins Cockpit: Dort dominieren nur scheinbar die Rundinstrumente aus der Anfangszeit der Verkehrsfliegerei. Tatsächlich sind viele Anzeigen digital; sie gaukeln die alte Optik nur vor.

Mehr als eine Million Euro flossen in die Überholung des Flugzeugs, 400 000 Euro schoss der Bund aus Denkmalschutzmitteln zu. Schließlich steht die alte Tante seit 2015 unter besonderem Schutz: Laut Lufthansa-Stiftung wurde es als erstes Passagierflugzeug der Welt als fliegendes Denkmal anerkannt. Die Maschine stehe "wie kaum ein anderes Flugzeug für die deutsche Luftfahrtgeschichte", sagt Hamburgs Kulturstaatsrat Carsten Brosda. "Die Tante Ju ist nicht irgendein Flugzeug", meint auch Matthias Panten, Technischer Betriebsleiter der Lufthansa-Stiftung. Er ist sich sicher: Nach der Behandlung auf der Intensivstation wird die betagte Dame ihren 100. Geburtstag "im Fluge" erleben.

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