Lotus: Neustart einer Marke:Ikarus auf der Insel

Mit hochfliegenden Plänen und spektakulären Modellen will die Traditionsmarke Lotus stark werden wie nie.

Georg Kacher

Der Name Lotus legt im Kopf die immer gleichen Schalter um: Der Lotus 7, eine Kit-Car-Zigarre für unerschrockene Beschleuniger, die Kappe von Colin Chapman, die der Firmengründer nach jedem Sieg seiner Formel-1-Wagen vors Auto warf. Man denkt an Jim Clark und Jochen Rindt, die in einem Lotus ihr Leben verloren, oder an den Esprit, das Unterwassercoupé von James Bond.

Zu Lotus gehören aber auch der Notverkauf an GM oder die Übernahme durch den malaysischen Staatskonzern Proton. Oder der Deal mit Dany Bahar. Der Schweizer Manager war lange Jahre die Nummer Zwei im Team von Red Bull, ehe er 2007 zu Ferrari ins Marketing wechselte.

Von dort nahm er 2009 seine Vertrauten Gino Rosato (Organisation) und Claudio Berro (Motorsport) mit zu Lotus, wo der gelernte Vermögensverwalter im September den Chefsessel bestieg.

Auf dem Pariser Salon im vergangenen Oktober gelang Lotus dann der große Coup. Mit sechs neuen Modellen, einer hochkarätigen Mannschaft und einem Investitionsvolumen von 900 Millionen Euro setzte die Marke genau dort Zeichen, wo namhafte Wettbewerber wie Ferrari, Aston Martin oder Porsche bislang das Geschäft unter sich ausmachen.

Die Frage, ob er Hochstapler, Visionär oder gar beides sei, beantwortet der 39-jährige Bahar entwaffnend ehrlich: "Das wird sich zeigen. Wir haben ein Modulkonzept mit einem Gleichteileanteil von weit über 50 Prozent, das es ermöglicht, mit relativ geringem Aufwand eine breite Modellpalette zu realisieren. Wir haben einen bestätigten Finanzplan. Wir haben sehr gute Leute mit Ideen und Einsatzbereitschaft. Vor allen Dingen aber haben wir einen guten Namen - der natürlich mit neuen Werten belegt werden muss."

Revolution statt Evolution ist Bahars Devise: "Mich interessiert der radikale Schnitt, der große Durchbruch, der ganz andere Ansatz. Klar, dass dieser Traum unter gewissen Umständen auch böse enden kann."

Hethel im Dezember. Der Lotus-Stammsitz im englischen Norfolk ist ein Werk im Umbruch. Design und Entwicklung werden neu organisiert, die Fertigung in den Backsteinhallen erlebt der Besucher als charmanten Cocktail aus alt und neu, im Büroblock sind die Marketingteams ihrer Zeit weit voraus.

Fast wöchentlich überrascht die Firma mit neuen Jubel-Nachrichten: einem eigenen F1-Team mit Renault zum Beispiel; dann die Gründung eines Beratergremiums mit Altvorderen wie Bob Lutz, Burkhard Göschel, Karlheinz Kalbfell und Tom Purves; kurz vor Weihnachten die Nachricht, man wolle die Motoren nicht zukaufen, sondern in Eigenregie entwickeln.

Noch sind viele Fragen offen

Gleichzeitig bleiben viele Fragen offen. Wo sollen die neuen Autos produziert werden? Wer liefert das Know-how? Wie schafft Lotus die Umstellung von der Kunststoff- zur Alukarosse? Wie sind die Investitionen in die Produkte zu stemmen, wenn das Marketingbudget weiter explodiert? Wo bleiben die Schlüsselfiguren vom Schlage eines Wolfgang Bernhard, die vom Einkauf bis zum Fertigungsprozess die Zügel fest in der Hand haben?

Dany Bahar lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er gibt zu, dass es vor März kaum Klarheit über die Subventionen für Hethel geben wird. "Wenn England uns nicht will, dann produzieren wir eben bei Magna, Valmet oder in einem eigenen Werk in Michigan."

Er weiß, dass er bis 2013 nicht alles in Eigenregie stemmen kann. "Geringe Fertigungstiefe verbessert die Qualität. Warum soll ich Sattler und Feintischler beschäftigen, wenn ich das komplette Interieur günstiger zukaufen kann? Unsere drei Kernkompetenzen sind schließlich Antrieb, Fahrwerk und Aufbau."

Motoren sollen zwar selbst gefertigt werden, doch die Technologie kommt von außen: KERS, modernste Hybrid-Applikationen, Bremsen, Getriebe und die Triebwerks-Grundsatzentwicklung. Was den Break-even angeht, sieht der CEO klar: "Wir brauchen 6000 bis 8000 Autos pro Jahr, um profitabel zu sein."

Die modulare Architektur helfe aber, die Investitionen zu senken. "Schrecklich" sei dagegen die Lage im Vertrieb. "Wir haben 160 Händler", sagt Bahar, "wir werden aber wohl auf null zurückfahren müssen, um dann rund 200 wirklich kompetente Partner zu rekrutieren."

Der Mann, der die neuen Lotus-Modelle gestaltet hat, heißt Donato Coco. Der Italiener diente zuvor bei Citroën und Ferrari. "Ich fühle mich wie einer, der nackt durch die Straßen läuft", kokettiert der Designer, der "mit sechs neuen Autos das ganze Pulver auf einen Schlag verschossen hat".

Cocos Werke hören auf die Decknamen Macau (Elise, kommt 2015), Donington (Elite, 2015), Nogaro (Eterne, 2016), Silverstone (Elan, 2013 - liegt aber auf Eis) und Fuji (Esprit, 2013). Noch namenlos ist das Stadtfahrzeug nach Art des Aston Martin Cygnet, das Ende 2013 zusammen mit Proton und einem weiteren Hersteller gebaut werden soll.

Neustart bei null

Entwicklungschef Wolf Zimmermann, der von AMG zu Lotus gewechselt ist, beschreibt den Charakter der fünf Neuen: "Der Esprit ist unser Supersportwagen - ein V8-Mittelmotorauto mit bis zu 600 PS. Der Elan begnügt sich als kleinerer Bruder mit einem bis zu 500 PS starken V6-Biturbo. Der Elite ist ähnlich konzipiert wie der Ferrari California - versenkbares Hardtop, V8-Frontmotor mit rund 550 PS, sequentielles Transaxle-Getriebe. Die Elise soll möglichst dicht an die 1000-Kilo-Marke rücken und mit einem Vierzylinder auskommen. Das große viertürige Coupé, das sich am Elite orientiert, haben wir Eterne getauft."

Die Motoren sind nach dem gleichen Baukastenprinzip konzipiert wie die Fahrzeugarchitekturen. Daher rechnen Insider zunächst mit einem 4,0-Liter-V8 und einem 3,0-Liter-V6 - beide wahlweise als Hochdrehzahl-Sauger und als Twin-Turbo-Aggregate. Dazu passen ein klassischer Handschalter und ein automatisiertes sequentielles Getriebe.

Als grüne Plug-in-Komponente kann auf Wunsch in die Getriebeglocke ein 80 PS starker E-Motor integriert werden. Die Idee, den V6 und V8 von Lexus zuzukaufen ist zwar vom Tisch, doch als Lieferant des Vierzylinders für die Elise gilt Toyota nach wie vor als erste Wahl.

Eigene Erfahrungen wollen die Briten in die Karosseriefertigung einbringen. Hier schließt der verklebte und genietete Aluverbund künftig auch die Außenbleche ein. Der Kunststoffanteil reduziert sich auf Anbauteile wie Stoßfänger, Schwellerprofile und aerodynamische Hilfsmittel.

Vereinheitlichen will man Lenkung, Doppelquerlenker-Radaufhängung, Bremse und Elektronikplattform. Auch innen finden wir modellübergreifende Gemeinsamkeiten wie das Heizungs/Lüftungs-Panel in der Türtafel, das spezielle Multifunktionslenkrad samt Schaltpaddeln sowie das MMI-Bediensystem.

"Die künftige Lotus-Palette hat nichts Ornamentales", glaubt Donato Coco. "Was die Autos auszeichnet, ist eine markante DNS, die durch Rumpf, Kotflügel, Scheiben und Leuchten bestimmt wird. Dabei geht es um Architektur, nicht um oberflächliche Effekte. Natürlich müssen wir speziell an die Modelle für 2015 noch Hand anlegen. Aber die Zugehörigkeit zur Marke ist offensichtlich, denn diese Fahrzeuge unterscheiden sich nicht durch ihre Formensprache, sondern durch Abmessungen und Proportionen."

Dany Bahar ist überzeugt, dass der New Look ankommen wird, denn er muss das schrullige Markenimage vor allem über das Produkt aufwerten. Lotus will besser und intelligenter sein als der Wettbewerb, sich breiter aufstellen und pro Modell nicht mehr als 1500 Einheiten pro Jahr verkaufen, mit Erfolgen in fast allen Motorsportklassen neue Emotionalität schaffen.

"Wir können uns den Luxus leisten und bei null anfangen", freut sich der in Istanbul geborene Weltmann. "Deswegen können wir uns auch nur selbst ein Bein stellen."

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