Lincoln Town Car:Die US-S-Klasse

Die Amerikaner lieben luxuriös ausstaffierte Limousinen: Was den Deutschen seit rund 30 Jahren die Mercedes S-Klasse, das ist ihnen der Lincoln Town Car.

Stefan Grundhoff

Die Lincoln Town Cars gehören zu den wenigen Eigengewächsen, die sich in den USA derzeit nicht die Reifen auf den Verkaufsgeländen platt stehen. Die Kundschaft der edlen Ford-Tochter Lincoln gilt als durchweg treu, aber leider auch als gnadenlos überaltert. Wer genügend Geld hat und dies mit der Wahl seines fahrbaren Untersatzes nach außen hin imageträchtig unterstreichen möchte, der kauft sich seit Jahren ein Importmodell - zumeist aus deutscher Produktion. Und wenn schon keine Mercedes S-Klasse, ein Jaguar XJ oder der bei vielen noch beliebtere 7er BMW, dann greift man zumindest zum einem Lexus LS 600h oder einem Luxus-SUV von Porsche, Lexus oder Audi. Kaum jemand unter 65 Jahren hat den Lincoln Town Car auf seinem Kaufzettel. Dabei hat die edelste Möglichkeit, einen Amerikaner zu fahren, seit Jahrzehnten seinen ganz besonderen Reiz.

Lincoln Town Car: Lincoln Town Car: Bereits das Basismodell ist 5,47 Meter lang.

Lincoln Town Car: Bereits das Basismodell ist 5,47 Meter lang.

(Foto: Foto: Pressinform)

Bei uns kennt man den Town Car nur als Stretch-Limo

Die Bezeichnung Town Car im Hause Lincoln stammt aus den frühen zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ähnlich den europäischen Landaulets war das amerikanische Town Car eine Karosserieform, bei dem der Fahrer im Freien saß und steuerte. Die Herrschaften saßen in einem eigenen Fondabteil mit festem Dach und schwelgten in Modellen von Bentley, Mercedes, Duesenberg oder Lincoln in größtmöglichem Luxus. Nach dem Krieg erlebte der Begriff "Town Car" seine Wiederauferstehung - aber erst in den späten sechziger Jahren. Das ehemalige Topmodell Lincoln Continental war mit einer besonders edlen Ausstattung als Sondermodell auf den Markt gekommen und wurde eigens mit dem Zusatz "Town Car" nach außen hin kenntlich gemacht.

Doch erst Anfang der siebziger Jahre wurde der Begriff Town Car zum Inbegriff des automobilen US-Luxus: Elektrische Ledersitze, Klimaanlage, verlängerter Radstand und alle noch erdenklichen Extras bot der Lincoln Continental in der Ausstattungsvariante Town Car bereits ab Werk und wurde so zur Luxuslimousine der Schönen und Erfolgreichen zwischen Detroit und Los Angeles. Hotels drehten Cadillac den Rücken und Banker in New York ließen sich fortan mit einem zumeist schwarz lackierten Lincoln zur Arbeit oder dem kurzen Lunch am Mittag fahren.

Im Laufe der Jahre wurde der Begriff "Town Car" den meisten weitaus geläufiger als "Continental", der denn auch bald darauf verschwand.

Die US-S-Klasse

Die Automarke Lincoln, von Henry M. Leland und seinem Sohn Wilfried 1917 gegründet, ging 1922 in die Ford Motor Company über. Bis Anfang der neunziger Jahre wurde unter anderem der jeweilige amerikanische Präsident mit entsprechend gepanzerten Sonderversionen aus dem Hause Lincoln chauffiert. Mittlerweile setzt das Weiße Haus zumeist auf Produkte aus dem General-Motors-Konzern.

An Klientel und Anspruch des Lincoln hat sich in den letzten 25 Jahren kaum etwas geändert. Noch immer ist der Town Car - zusammen mit seinem Gegenüber Cadillac DTS - die exklusivste und luxuriöseste Möglichkeit, ein Fahrzeug aus amerikanischer Produktion zu fahren. Gerade in Europa kennen viele den Lincoln Town Car nur als weiße oder schwarze Stretch-Version, doch bereits das Standardmodell gehört zu den längsten Versuchungen auf dem Markt der Serienfahrzeuge: Bereits das Basismodell ist mit 5,47 Metern Gesamtlänge ein gutes Schullineal länger als Mercedes S-Klasse, Audi A8 oder 7er BMW - jeweils als Langversion.

Trotz opulenter Dimensionen und Luxusausstattung bleiben die Amerikaner ihrer Linie treu, dass Luxus nicht teuer sein muss. Das bereits exklusiv ausstaffierte Basismodell, der Lincoln Town Car Signature, kostet gerade einmal 46.000 US-Dollar. Dafür gibt es einen seidenweichen 4,6-Liter-V8, 177 kW / 240 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von abgeregelten 180 km/h. Selbstverständlich sind elektrisch verstellbare Ledersitze, Klimaautomatik, Soundsystem und weitere Annehmlichkeiten. Noch mehr Luxus bietet der verlängerte Town Car Signature L (5,62 Meter lang) für knapp 52.000 US-Dollar. Dann gibt es Xenonlicht, Sitzheizung vorne und hinten, Keyless Go und 18 Zoll große Alufelgen. Optional wird der Lincoln sogar mit Vinyldach und goldenen Beschlägen angeboten.

Doch so edel die Town Cars auch ausgestattet sind, Hightech sucht man in ihnen vergeblich. Kopfstützen hinten, eine getrennte Klimaregelung, DVD-Entertainment, Xenonlicht, Luftfederung oder gar ein Navigationssystem sind im Serienumfang nicht enthalten. Das Fahrwerk ist butterweich, die Lenkung mit Wohlwollen schwammig zu nennen und die Schaltvorgänge übernimmt eine betagte Viergang-Automatik aus den frühen 80er Jahren. Das 1998 eingeführte und 2003 überarbeitete Grundmodell verfügt immerhin über eine elektrische Heckklappe, eine Einparkhilfe hinten, elektrisch einstellbare Pedale und eine Schließanlage mit Zahlenschloss.

Die US-S-Klasse

Wer will, kann im Town Car nicht nur hinten, sondern auch vorn drei Personen befördern. Einfach die breite Mittelarmlehne nach hinten klappen und man ist - falls gewünscht - zu sechst unterwegs. Zumeist ist eine derartige Limousine jedoch mit einem Fahrer im Volant sowie ein bis zwei Fondpassagieren unterwegs. Oder das wohl situierte Rentnerpärchen sitzt in der Regel vorne, Seit' an Seit', und legt hinten Jacken oder Golftasche ab. Die meisten Kunden wissen scheinbar, wohin es geht. Statt eines standesgemäßen Navigationsbildschirms gibt es im Lincoln Town Car eine klägliche Analoguhr und als Option eine portables Navigationssystem aus dem Hause Garmin. Armes Amerika.

Kein Wunder, dass die rund zwei Tonnen schweren Town Cars den Sprung nach Europa oder Asien nie geschafft haben. Fahrdynamik ist ihnen ebenso fremd wie jegliche Art von Modernität. Die betagten US-Kunden lieben ihre Lincoln-Modelle jedoch ohne Einschränkung und sind ihnen scheinbar auf immer und ewig verfallen.

Betrachtet man den Markt der Stretch-Limousinen in den USA, so beträgt der Town-Cars-Anteil mehr als 70 Prozent Town Cars. Unter den US-Luxuslimousinen haben sie einen noch höheren Marktanteil. Außer dem Cadillac DTS gibt es keine echte einheimische Konkurrenz. So war das Geschrei denn auch groß, als Ford vor ein paar Jahren überlegte, die Produktion der Town Cars einzustellen. Zwar wurde das ehemalige Werk in Michigan geschlossen, doch wird der Nobel-Lincoln seit kurzem auf den Anlagen von Ford Crown Victoria und Mercury Grand Marquis in Ontario / Kanada produziert.

Es gibt keinen Zweifel: Der Lincoln Town Car ist Kult - und das sollte auch noch ein paar Jahre so bleiben. Und wo gibt es automobilen Luxuskult zu diesem Preis heute noch als Neuwagen?

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