Leichtbau im Auto:Warum BMW am teuren Karbon festhält

BMW Next 100

"Wir werden im Jahr 2021 das Thema Karbon 2.0 im BMW iNext umsetzen", sagt BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich.

(Foto: BMW)

Ganze Karosserien aus dem Hightech-Werkstoff wird es nicht mehr geben. Weil E-Autos aber abspecken müssen, hat sich BMW ein ausgefeiltes "Knochengerüst" ausgedacht.

Von Joachim Becker

Countdown, Knopfdruck. Dann rattert die haushohe Strickliesel los. Das erste Flechtteil aus dem neuen BMW-Leichtbauzentrum in Landshut sieht aus wie ein zu lang geratener Strumpf. Was Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in die Kameras hält, ist natürlich nur die halbe Wahrheit. An manchen Tagen entlocken die Landshuter ihrer runden Flechtmaschine auch etwas, das aussieht wie eine Python, die ein Kaninchen verschluckt hat. Experten sprechen von komplexen Hohlbauteilen mit veränderlichen Querschnitten. Hochfeste Teile mit dreidimensionalen Formen können das Puzzle der Rohkarosserie vereinfachen - und kiloweise Schrauben, Nieten und Schweißnähte sparen.

Leicht ist schwer, das gilt mehr denn je. Viele Hersteller versuchen, mit Aluminium Gewicht zu sparen. Das Weißmetall wiegt je nach Verarbeitung und Einsatzort ein Drittel weniger als Stahl. Ford hat sich mit einem Volumen von 350 000 Tonnen Aluminium jährlich zum größten Abnehmer in der Autobranche entwickelt.

BMW produziert sein Karbon selbst

Fester und 50 Prozent leichter als Stahl sind karbonfaserverstärkte Kunststoffe. Außer BMW setzt niemand die schwarze Wunderfaser in der Großserie ein. Deshalb produziert die weißblaue Marke zusammen mit SGL ihren Fasernachschub selbst: Bis 2014 entstanden etwa 3000 Tonnen pro Jahr für den BMW i3 und den i8. Zum Start des BMW 7er wurde die Kapazität verdoppelt, mittelfristig soll sie auf 9000 Tonnen steigen. Im Vergleich zu Aluminium und Stahl ist das kaum der Rede wert.

BMW i soll "die technologische Vorreiterrolle der Marke sicherstellen", betont Firmenboss Harald Krüger. Doch die hochfeste Grafitfaser muss ihren Stammplatz in einer Multimaterial-Karosserie erst finden. "Karbon ist ja noch nicht fertig: Wir werden im Jahr 2021 das Thema Karbon 2.0 im BMW iNext umsetzen. Das ist bezüglich der Kosten- und Prozessstruktur die nächste Größe", erklärt Klaus Fröhlich. Der BMW-Entwicklungsvorstand betrachtet die hohen Vorleistungen für den i3 und i8 als gut investiertes Geld: "80 Prozent des Entwicklungsaufwandes hätten wir sowieso gebraucht, selbst wenn wir den i3 und i8 nicht auf die Straße gebracht hätten."

Karbon kostet mehr als das Zehnfache als Stahl

In den vergangenen drei Jahren entstanden 60 000 i3 und gut 10 000 i8: Mehr als Nischenprodukte sind die Stromer nicht. Trotzdem seien solche Technologie-Leuchttürme nötig, beharrt Jochen Kopp: "Um ein Material ganz zu verstehen, muss man es erst einmal intensiv einsetzen", sagt der Leiter der Carbontechnologie-Entwicklung bei BMW. Doch die Tage dieser Intensivnutzung sind gezählt.

Warum so wenig Hersteller und Zulieferer auf den Zug aufspringen, ist offensichtlich: Die schwarzen Fasern kosten mehr als das Zehnfache derselben Menge an Stahl. Zudem werden die Karbonkarosserien in aufwendiger Handarbeit hergestellt. Das liegt unter anderem an der Schalenbauweise, die aus der Stahlverarbeitung stammt. Bei dem neuen Material ist die alte Technik zu langsam. Deshalb werden die reinen Karbonkarosserien keine direkten Nachfolger bekommen. "Es gibt zwei Ausnahmen vom BMW Produktionssystem, das auf hohe Stückzahlen ausgelegt ist: Die eine ist Rolls-Royce und die andere sind die Produkte der Marke BMW i", sagt BMW-Produktionsvorstand Oliver Zipse. Künftig werden Manufaktur-Karosserien zum Alleinstellungsmerkmal von Rolls-Royce.

Bis 2018 sollen die Fabriken effizienter werden und sich entweder auf die Frontantriebs- oder die Heckantriebs-Architektur spezialisieren. "Grundsätzlich können alle Werke auf Basis der jeweiligen Architektur auch elektrifizierte Antriebe produzieren", so Zipse. Das ist der Todesstoß für reine Karbonkarosserien. Die Stromer werden zum Massenartikel und müssen sich deshalb (wie schon die Plug-in-Hybride) in das durchrationalisierte Produktionssystem einfügen. Dort wird der Takt auch künftig vom Stahlbau vorgegeben - allein schon aus Kostengründen. In der Stahlverarbeitung stecken 100 Jahre Prozessoptimierung. Das Material ist weitgehend ausgereizt. Einen Vorsprung kann damit kein Hersteller mehr herausfahren.

Der 7er hat eine Art Karbon-Überrollkäfig

Konventioneller Leichtbau werde in den 2020er-Jahren an seine Grenzen stoßen, ist das VDI Zentrum Ressourceneffizienz überzeugt. Die Experten sehen die Zukunft im bionischen Leichtbau. Den muss man sich wie ein Knochengerüst vorstellen: In hoch belasteten Bereichen wird das Material gezielt verstärkt. Manchmal sind mehrere filigrane Formen nebeneinander allerdings stabiler als ein massives Teil, weil sie auf eine Hauptbelastungsrichtung ausgerichtet sind. Genau hier soll Karbon künftig punkten. Der Strukturleichtbau verspricht laut VDI zusätzliche Gewichtseinsparungen von bis zu 50 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass wir drei Jahre Vorsprung beim Karbon haben, weil man die gesamte Prozesskette beherrschen muss. Es gibt eine enge Verbindung zwischen dem Produktionsprozess und dem Bauteil-Design", weiß Jochen Kopp.

Vogelknochen zeigen, wie mit einem Minimum an Material ein Maximum an Stabilität erreicht wird. Doch so weit sind die wenigsten Autos. Beim i8 werden erstmals geflochtene Profile eingesetzt und mit einem Schaum gefüllt, der später aushärtet. Für die Großserie ist diese Entwicklung noch zu schwer und zu teuer. Die nächste Stufe erreicht der 7er mit 80 000 Fahrzeugen pro Jahr. Der Gewichtsanteil von Karbon an der Karosseriestruktur liegt zwar nur bei drei Prozent. Dafür bilden Hohlprofile sowie Hybridteile aus Karbon und Stahl eine Art Überrollkäfig. Das Topmodell wird so nicht nur crash-stabil und 50 Kilogramm leichter, sondern auch besonders verwindungssteif. Gerade in der Langversion ist das ein spürbarer Vorteil: Auf kurvigen Landstraßen fährt sich das Flaggschiff so handlich und agil wie ein kleineres Auto. Ist das der endgültige Durchbruch?

Für den neuen 5er mit mehr als fünf Mal so hohen Absatzzahlen ist das Leichtbaumaterial aus der Luft- und Raumfahrt immer noch zu teuer. Er kann 100 Kilogramm auch ohne Karbonteile abspecken. Das Problem sind vor allem die Prozesszeiten in den Autofabriken. Stahl erlebt momentan ein Comeback, weil er sich auf Belastungen hin maßschneidern lässt, ohne die Produktionszeit zu verlängern. Neue Legierungen und vor allem unterschiedliche Wandstärken innerhalb eines Werkstücks - bei Aluminium waren für ähnliche Fortschritte fast 20 Jahre intensive Entwicklungsarbeit nötig.

Audi fehlt momentan das Geld für Karbon

Audi hat wesentlich dazu beigetragen, das Weißmetall mit Strangpress- und Gussverfahren fit für die Großserie zu machen. Am Aluminium-Entwicklungsstandort Neckarsulm hat die Marke mit den vier Ringen auch ein interdisziplinäres Technikum für faserverstärkte Kunststoffe eingerichtet. Doch für einen ähnlichen Aufwand wie beim Aluminium fehlt den Ingolstädtern momentan das Geld. Das zeigt der Vergleich zwischen der Karosserie des BMW i8 und des Audi R8.

Der Multimaterial-Audi-Space-Frame (ASF) besteht zu 79 Prozent aus Aluminium und zu 13 Prozent aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Nach dem Motto "das richtige Material in der richtigen Menge an der richtigen Stelle" wiegt die Rohkarosserie des Audi R8 nur 200 Kilogramm. Mit einem Karbonanteil von 61 Prozent kann sich der i8 allerdings auf 168 Kilogramm herunterhungern. Die Gewichtsdifferenz von 32 Kilogramm ist eine Welt im Karosseriebau. Für die elektrische Zukunft reicht die Diät aber noch nicht aus.

Leichtbau ist nötiger denn je

Audis erstes Elektrofahrzeug mit 500 Kilometer Reichweite wird auch das schwerste Modell der Marke sein: Der e-tron genannte SUV wird 2018 über 2,5 Tonnen auf die Waage bringen. Tesla versucht, rund 500 Kilogramm Batteriegewicht durch einen hohen Anteil von Aluminium zu kompensieren. Trotzdem wiegt das Model S bis zu 2200 Kilogramm und das Model X bleibt nur knapp unter der Marke von 2,5 Tonnen. Der ökologische Sinn bleibt fraglich, selbst wenn die Stromer Energie beim Verzögern zurückgewinnen können.

Leichtbau ist nötiger denn je. Noch steht die Landshuter Strickliesel allein auf weiter Flur. Der Durchbruch kommt, wenn sich Karosserien schneller flechten und weben als stanzen, nieten und schweißen lassen. BMW glaubt fest an das neue Karbonzeitalter. Vorsorglich wurden die Weißblauen schon Mitglied im Verband der Bayerischen Textil- und Bekleidungsindustrie.

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