Lamborghini Murciélago LP 640:Freud' essen Angst auf

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Ist das ein Auto? Wer das neue Lamborghini-Topmodell bewegt, merkt schnell, dass diese Frage keine rhetorische ist. Und er sollte nicht nur 250.000 Euro in petto, sondern auch alle Sinne beisammen haben.

Von Stefan Grundhoff

Porsche war gestern. Heute ist pure Leidenschaft angesagt. Flach, breit, hart und 640 PS stark pflügt der neue, der zweite Murciélago durch den Straßenverkehr. Die Umgebung? Begeistert ihn nicht. Nur widerwillig lässt er sich auf den Flaniermeilen der Welt bewegen. Der LP 640 will auf die Rennstrecke.

In der Tradition des Hauses: nach oben öffnende Portale (Foto: Foto: Lamborghini)

Der Fahrer sollte indes nicht nur mit dem nötigen Können, sondern auch mit einem gesunden Rest an Realitätssinn ausgestattet sein. Denn die Gefühle spielen verrückt: Schon der erste Anblick lässt das Blut in den Adern gefrieren. Das Herz schaltet in den Nachbrenner. Die Haare im Nacken und an den Armen richten sich auf. Der Kopf? Der klinkt sich spätestens dann aus, wenn die Flügeltür den ledernen Arbeitsplatz des Lamborghini-Piloten freigibt.

Mit dem LP 640 wurde der schon bekannte Murciélago fit gemacht für die nächsten Jahre. Während Mercedes SLR und Porsche Carrera GT sich jüngst in die Museen verabschiedet haben, präsentiert sich der Vollblut-Italiener lebendiger denn je.

Heiz-Kraftwerk

Das Design sorgt für Angstzustände. Die Front drängt nur wenige Zentimeter über dem Asphalt unwiderstehlich nach vorn. Wer einen Murciélago im Rückspiegel auf sich zufliegen sieht, kann leicht erschrecken. Die flache Rakete donnert heran, vorbei - und ist im nächsten Moment schon wieder verschwunden. In der Ferne kann man allenfalls noch ein wenig von dem wuchtigen Heck erkennen.

Über Nacht draußen stehen lassen sollte man ihn nicht: In dem überdimensionalen Aufpuffrohr würden die Katzen der Nachbarschaft ein gut frequentiertes Begegnungszentrum eröffnen. Man selbst weiß nicht, was einen mehr beeindruckt: die Rückleuchten im Wurfstern-Design oder die gefühlt mehrere Quadratmeter großen Lüftungsgitter. Hier presst der 6,5 Liter große Zwölfzylinder so viel heiße Luft raus, dass man damit glatt ein Einfamilienhaus beheizen könnte.

Der ohnehin schon nicht gerade schwächelnde Motor des Murciélago musste sich für den LP 640 einer Fitnesskur unterziehen. Statt 580 PS toben im Zentrum des immerhin 4,61 Meter langen Rennwagens nunmehr 640 Pferde los. Die meisten Autofans dürften das Prachttriebwerk wohl nur bei einem der zahlreichen Tankstopps des Lambo bestaunen dürfen: Der Zwölfzylinder ist unter einer Plexiglashaube in Szene gesetzt - ein bisschen Exhibitionismus gehört beim Lambo immer dazu (ok, streichen wir das "bisschen").

Sollte auf der Strecke bleiben

Allein der Anblick lässt erahnen, dass dieses Rennwagentriebwerk einiges bewegen kann. 471 kW/640 PS und 660 Nm Drehmoment pressen denn auch die Insassen bei Beschleunigungsorgien massiv in die Sportstühle. Null auf 100 km/h in 3,4 Sekunden - damit träumt man auf der Straße den Traum des Unbesiegbaren. 340 km/h Spitze und eine exzellente Verzögerung aus Tempo 100 bis zum Stand in nur 32 Metern unterstreichen die dynamischen Ambitionen von Fahrer und Entwicklern gleichermaßen.

Spätestens mit dem - optionalen - E-Gear-Getriebe lassen sich Formel-1-Gefühle endgültig nicht mehr länger unterdrücken. Endlich einmal ein Auto, zu dem die Lenkradpaddel wirklich passen! Und das die Ohren nicht nur bei Höchstdrehzahl akustisch verwöhnt. Der Sound aus Motorblock und Abgasanlage ist kraftvoll und potent. Dabei wurde glücklicherweise auf das aufdringliche Dröhnen des kleinen Bruders Gallardo verzichtet, der einem zwischen 3500 und 5000 Touren bei aller Liebe den letzten Nerv raubt.

Die 640 PS des LP 640 werden überlegen auf die Straße gebracht - zumindest von 4000 Touren an aufwärts. Die solide Technik der Konzernmutter Audi macht das möglich. Bei normaler Fahrt bringt der variable Allradantrieb rund 70 Prozent der Kraft an die Hinterachse. Dieses Verhältnis kann sich je nach Fahrsituation und / oder Straßenbelag allerdings blitzschnell ändern, sorgt jedoch zusammen mit der präzise abgestimmten Traktionskontrolle für schier grenzenlosen Fahrspaß auch aus ganz engen Kurven heraus.

Gerade auf der Rennstrecke würde man sich aber an der Vorderachse breitere Reifen wünschen. Mit den 245/35-ZR-18er-Pneus vorn fährt sich der Lamborghini zu untersteuernd. Hinten gibt es hingegen stramme 335er-Walzen.

Leichte Schatten

Doch das neutrale Fahrverhalten des Supersportwagens gibt ein stets sicheres Gefühl. Einzig die zu schwergängige Lenkung und das Eigengewicht von mehr als 1,8 Tonnen trüben das grandiose Rennerlebnis etwas. Mit warmen Reifen scheint die Haftung keine Grenzen zu kennen - und das alles ohne protziges Spoiler-Leitwerk am Heck. Für zusätzliche Sicherheit im Grenzbereich sorgen ABS, Traktionskontrolle - und zur Not zwei Frontairbags. ESP bleibt außen vor - aber man vermisst es auch nicht.

Im Innenraum des Murciélago gibt es überraschenderweise nur italienische Hausmannskost: Instrumente und Bedienelemente wirken für ein Vehikel der 250.000-Euro-Liga alles andere als standesgemäß.

Die Sitze sind nicht perfekt auf jede Körpergröße einstellbar. Und die geringe Dachhöhe lässt liquide Fahrer ab 1,88 Meter Körpergröße doch lieber zu einem etwas geräumigeren Konkurrenzprodukt greifen. Für wahre Rennsportatmosphäre sorgen die lederbezogenen Sitzschalen, das griffige Wildleder-Lenkrad und eine Fahrerposition, die man eher als Liegen denn als Sitzen bezeichnen möchte.

Aber hat man sich durch die kleine Öffnung erst einmal in den Sitz geschlängelt und das Triebwerk gestartet, dann möchte man gar nicht mehr aussteigen. Die schier grenzenlose Kraft und das exzellente Fahrgefühl üben einen unglaublichen Reiz aus. Ohne Ende.

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