Krank am Steuer:Autofahren trotz blinder Flecken im Auge

Verschwommenes Bild eines Autos bei Dunkelheit

Wer sich trotz einer Krankheit ans Steuer setzt, erhöht immer das Risiko - allerings in unterschiedlich starker Ausprägung.

(Foto: DAH)

Diabetes oder die Folgen von Herzinfarkten und Schlaganfällen sorgen nicht immer dafür, dass Patienten fahrunfähig werden. Doch bei einer Krankheit ist es unausweichlich, den Führerschein abzugeben.

Von Marion Zellner

Ein Geländewagen erfasst eine Fußgängerin - die Frau stirbt. Ein Bus mit 31 Kindern landet im Graben - der Fahrer ist zusammengebrochen. Ein Mann verwechselt Bremse und Gas - fünf ramponierte Autos bleiben zurück. Die Fahrer waren 24, 36 und 81 Jahre alt. Und alle waren krank. Die Beispiele zeigen, was passieren kann, wenn man in diesem Zustand Auto fährt. Die Folgen von Demenz, Herz-Kreislauferkrankungen, Augenproblemen und Diabetes auf die Verkehrssicherheit waren Thema einer Diskussion des Verkehrsparlaments der Süddeutschen Zeitung: "Krank am Steuer - das unterschätzte Sicherheitsrisiko".

Zunächst gilt: Krankheit ist nicht nur ein Problem älterer Autofahrer. Und Krankheit allein ist kein Grund, das Autofahren zu verbieten. Und doch ist die Angst gerade Älterer groß, dass ihnen der Führerschein entzogen wird. Etwa nach verpflichtenden Gesundheitschecks. "In fast allen unseren Nachbarländern gibt es Überprüfungen der Fahrtauglichkeit, meist ab 70 oder 75 Jahren," sagt Thomas Hofstätter von der Regierung von Oberbayern. In Deutschland nicht. Was bei den Fahrerlaubnisbehörden landet, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es handele sich um "extrem auffällige, atypische Unfallgeschehen", sagt Hofstätter. Verursacher solcher Unfälle werden nach Meldung etwa durch die Polizei zur Behörde "eingeladen". Ältere reagieren darauf auf zwei Arten: problembewusst oder nicht. Wobei letztere laut Hofstätter "die meisten" sind.

Unauffällig trotz Gesichtsfelddefekts

"Das habe ich nicht gesehen", ist eine der Ausreden, wenn ein Unfall passiert ist. Es kann sich aber auch um einen Gesichtsfelddefekt handeln - das heißt, der Patient hat Areale, in denen er nichts sieht. Das Gehirn allerdings ergänzt aus Erfahrung die Umgebung, sodass das nicht unbedingt auffällt. Dieser Ausfall kann verschiedene Gründe haben, etwa als dauerhafte Folge eines Schlaganfalls.

Bei einem Feldversuch konnte Ulrich Schiefer, Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik in Tübingen mit einer Professur für Augenoptik an der Hochschule Aalen, auch solche Schlaganfall-Patienten einem Test unterziehen. Sie absolvierten eine Fahrprüfung, eingeweiht war nur der Fahrlehrer, der Prüfer wusste nichts. Von zehn Probanden fielen vier durch, sechs bestanden. Um dieses Ergebnis wissenschaftlich belastbar zu machen, wurde das Experiment im Simulator wiederholt. Mit gleichem Ergebnis. Für Schiefer ist es "bemerkenswert", dass Menschen mit derartigen Defekten in einer Prüfung "nicht auffallen".

Diabetes ist ein dauerhafter Prozess

Ein anderes Risiko stellt Diabetes dar. Vor allem Hypoglykämie, also Unterzuckerung, führt zu Symptomen wie Herzrasen und Schwitzen, bei sinkenden Werten zu Sehstörungen bis zum Koma. Entscheidend bei Diabetikern mit Insulintherapie ist, dass sie gut eingestellt sind. Und: Ihre Wahrnehmung einer drohenden Unterzuckerung muss "ungestört" sein, sagt Petra-Maria Schumm-Draeger, Chefärztin am Klinikum München-Bogenhausen.

Die Expertin unter anderem für Diabetologie weist darauf hin, dass Diabetes ein "dauerhafter Prozess" ist, der einen Patienten lebenslang begleitet. Und dass entsprechend gut geschulte Menschen "Fahrzeuge führen können". Dies gilt auch für Berufsfahrer. Seit Mai 2014 erlaubt eine Änderung in den Begutachtungsrichtlinien, dass Lkw-, Bus- und Taxifahrer mit Diabetes nicht mehr vor dem Aus ihres Berufes stehen. Sie müssen sich zwar alle drei Jahre fachärztlich begutachten lassen. Doch bei positiver Bewertung besteht eine gute "Chance, den Beruf ausüben zu dürfen".

Beschwerden müssen ernst genommen werden

Weniger kalkulierbar scheint der plötzliche Herztod zu sein. Doch: "Das ist meist kein plötzlicher Tod", sagt der Kardiologe Hermann H. Klein, der Chefarzt am Klinikum Idar-Oberstein war. In 75 Prozent der Fälle seien Symptome bereits einen Tag lang zu spüren. Der Arzt muss den Patienten darüber aufklären, dass es zum "plötzlichen Kontrollverlust" kommen kann. Der Patient ist verpflichtet, Beschwerden ernst zu nehmen und nicht mehr Auto zu fahren. Herzpatienten sollten "prinzipiell defensiv fahren", sagt Klein.

Schwaches Herz, schlechte Augen, schwankende Blutzuckerwerte - das alles scheint beherrschbar zu sein. Aber wenn der Geist nicht mehr mitspielt? "Demenz führt immer zur Fahruntauglichkeit", sagt Janine Diehl-Schmid von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Drei Jahre nach der Diagnose endet meist die Fahrerkarriere. Auch hier ist der Arzt verpflichtet, den Patienten - und die Angehörigen - mittels "Sicherungsaufklärung" auf Risiken aufmerksam zu machen und das Gespräch zu dokumentieren. Es bestehe für den Arzt die Möglichkeit, die Schweigepflicht zu brechen, und, wenn die Gefahr im "rechtfertigenden Notstand" sehr hoch ist, die Behörden zu informieren. Das komme aber extrem selten vor, sagt Diehl-Schmid. Auch Verwandte haben die Möglichkeit, aktiv zu werden: den Schlüssel verstecken, das Auto "lahmlegen" - alle legitimen Mittel sind erlaubt, um nicht nur den Demenzkranken vor sich selbst, sondern auch andere zu schützen.

Die größte Verantwortung liegt beim Kranken selber

Um Fehler des Fahrers zu vermeiden oder zu minimieren, hat die Autoindustrie viele technischen Neuerungen entwickelt. Geht das bei medizinisch bedingten Ausfällen auch? Notwendig wäre es, sagt Wolfram Hell, Experte für Unfallanalyse am Institut für Rechtsmedizin der Universität München. Eine Unfalldatenbank, für die 700 tödliche Seniorenunfälle in Bayern ausgewertet wurden, zeigt, dass in 40 Prozent der Fälle Auslöser eine Krankheit war. Aus einem Versuch von BMW, einen Nothalteassistenten zu entwickeln, wurde jedoch nichts. Er sollte bei Notfällen auf der Autobahn den Wagen automatisch auf den Standstreifen lenken. Systeme wie Notbrems- oder Spurhalteassistent sind bereits Hilfen in kritischen Situationen.

Doch die größte Verantwortung liegt beim Kranken selber. Er muss sich fragen, ob er einen anderen noch ans Steuer ließe, wenn der sein Krankheitsbild hätte.

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