Konsequenzen des Abgas-Skandals:Fatale Abhängigkeit vom Diesel

Auspuff-Illustration von Stefan Dimitrov

Wer für die Zukunft gerüstet sein will, muss Autos ohne Auspuff entwickeln.

Viel zu lange hat die deutsche Autoindustrie an einer Technologie festgehalten, die keine Zukunft hat. Es wird Zeit, endlich in die Elektromobilität zu investieren.

Essay von Thomas Fromm

Am Anfang war da nichts als ein Tröpfchen Öl. Als Rudolf Diesel Ende des 19. Jahrhunderts die zündende Idee kam, da ging es um sehr einfache Dinge. Wie man Luft in einem Zylinder zusammenpresst, die Temperatur kräftig nach oben drückt und dann ein wenig Kraftstoff dazuspritzt. Es ging um Mini-Explosionen von Luft und Kraftstoff, kleine Kraftwerke, die einen Motor auch ohne Zündkerze anwerfen. Und ohne den damals von Benz entwickelten Ottomotor. Billiger und sparsamer sollte das Motorengeschäft werden und es war, wenn man so will, ein sehr rustikales physikalisches Experiment, mit dem Diesel hier die Geschichte der Mobilität aufmischte.

Diesels Ölbrennerei - das war lange, bevor seine Nachfahren ihre Dieselmotoren in Luxuslimousinen packten. Lange, bevor findige IT-Ingenieure neben dem Öl und der Luft und dem Druck auch noch die Computersoftware für sich entdeckten und so lange mit ihr herumprogrammierten, bis der Motor endlich begriff, ob er auf der Straße unterwegs ist oder auf dem Prüfstand irgendeiner Behörde getestet wird. Ob er sauber sein muss oder dreckig sein darf. Prüfstand, Stickoxide, Abgas-Grenzwerte? Defeat-Device? Am Anfang ging es ja nicht einmal ums Auto. Diesel wollte nur die großen Maschinen in den Hallen der Industriereviere anwerfen. Die Autos kamen erst ein paar Jahre später, und als 1897 der erste Dieselmotor stand, brachte er es auf 20 PS und 4,5 Tonnen. Von wegen 3-Liter V6-Diesel-Motor, von wegen Porsche Cayenne und A6 Quattro.

Die Anhänger der Dieseltechnologie sagen heute: Seitdem ist viel passiert, um den Motor auf die Straße zu holen.

Die Gegner sagen: Vielleicht war die Sache ja auch ein einziges großes Missverständnis. Denn spätestens seitdem man weiß, was Stickoxid-Emissionen und Abgasgrenzwerte sind, und was das alles mit der Gesundheit der Menschen zu tun hat, spätestens seitdem gehöre die Technologie eigentlich dahin, wo sie ursprünglich einmal angefangen hat: weg von der Straße, rein in die großen Maschinen.

Drei Thesen

Kosten: Dieselautos werden sich künftig nicht mehr rechnen

Abgase: Die Firmen müssen andere Wege finden, um die Regeln einzuhalten

Strategien: Wer sich früh für alternative Antriebe entscheidet, ist vorne

Die Diesel-Kritiker haben die besseren Argumente

Eigentlich haben beide recht. Die Diesel-Fans, denn es ist ja auch viel passiert in diesen 120 Jahren. Wie sonst könnte es sein, dass die meisten der großen BMW in Deutschland Dieselfahrzeuge sind, dass bei Mercedes und VW der Dieselanteil bei gut der Hälfte liegt, dass jedes zweite Auto in Europa heute einen Selbstzünder hat? Allerdings haben aber auch die Kritiker recht - und sie werden in den kommenden Jahren die besseren Argumente haben.

Die Dieselaffäre bei VW hat eine Diskussion in Gang gesetzt, die ohnehin geführt werden musste. Deutschlands Autoindustrie hat sich, 120 Jahre nach Rudolf Diesel, in die Abhängigkeit einer Technologie begeben, die keine große Zukunft mehr hat. Es ist die Chronik eines angekündigten Versäumnisses. Statt sich voll und ganz auf die Elektrifizierung der Antriebe zu konzentrieren, arbeiteten sich die Ingenieure in den Entwicklungsabteilungen an der Vergangenheit ab - am Diesel. Mit alten Rezepten in die Zukunft. Es wurde auf Teufel komm raus gefeilt, verbessert, optimiert. Und manchmal auch mit dubiosen Computerprogrammen nachgeholfen.

Männer wie der alte VW-Patriarch Ferdinand Piëch und der langjährige VW-Chef Martin Winterkorn sahen die vornehmliche Aufgabe eines Autoingenieurs darin, aus Verbrennungsmotoren das Letzte herauszuholen, was noch ging.

Alternative Antriebe? Das ist doch nichts für richtige Ingenieure

VW Passat Variant auf der Dieselstraße in Wolfsburg.

Die Dieselstraße ist eine Sackgasse. Und doch fahren die deutschen Autohersteller unbeirrt auf ihr weiter.

(Foto: dpa)

Elektroautos und Hybridantriebe passten nicht in die Weltanschauung der alten Techniker. Schon das Wort "alternativ" - sagte das nicht schon alles? Also hakte man alles, was nicht brannte, als eine Art ayurvedische Veranstaltung ab.

Nichts für richtige Ingenieure.

So verging wertvolle Zeit, die viele andere nutzten. Auch deshalb kann es sich ein Hersteller wie Toyota heute leisten, peu à peu aus der Entwicklung seiner Dieselprogramme auszusteigen. "Wir setzen stark auf Hybridmodelle und auf Autos mit Brennstoffzellenantrieb", heißt es nun bei den Japanern. Das ist eine Warnung an die anderen. Sie bedeutet: So viel Zeit, umzusteigen, ist da gar nicht mehr.

Die deutschen Autokonzerne haben zu lange auf den Diesel gesetzt. Nicht aus Nostalgie, und wahrscheinlich nicht einmal, weil es billiger ist, Diesel zu fahren. Diesel, und das steht hinter der Manie der Hersteller, verbrauchen weniger Kraftstoff als Benzinmotoren, und sie stoßen zwar giftige Stickoxide aus, produzieren aber weniger Emissionen des Klimakillers CO₂. In Zeiten, in denen sich die Kohlendioxid-Werte überall auf der Welt nach immer strengeren Grenzwerten richten müssen, feierte man den Diesel daher lange als die ultimative Lösung für das CO₂-Dilemma. "Der Diesel ist kein Auslaufmodell", sagt Matthias Wissmann, Präsident des Automobilverbandes VDA. Und es "wäre umwelt- und klimapolitisch ein großer Fehler, wenn der Diesel in Misskredit geraten würde".

Die Diesel-CO₂-Logik ist zu kurz gedacht

Man kann das so sehen. Ohne Diesel sind die vorgegebenen Verbrauchs- und Emissionsziele in der Europäischen Union für 2020 - 95 Gramm pro Kilometer - nicht zu erreichen. Man kann die Sache aber auch drehen. Je mehr Dieselautos die deutschen Hersteller auf den Markt warfen und immer noch werfen, um ihre CO₂-Bilanzen zu verbessern, desto geringer der Druck, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Die Diesel-CO₂-Logik ist also zu kurz gedacht.

Zumal es auch für den Dieselmotor nicht leichter wird. Schon gar nicht nach dem VW-Skandal. Die Frage, wie viel Stickoxide ein Dieselmotor rausschleudern darf und wie dies gemessen werden soll, rückt nun wieder stärker ins Visier der Politik. Auch das ist eine Folge der Wolfsburger Manipulationen.

Je strenger aber nun die Abgasvorschriften werden, desto mehr Fantasie müssen die Ingenieure aufbringen, um ihre Diesel aufzurüsten. Je mehr Technologie sie in Rudolf Diesels Selbstzünder stecken, desto teurer wird es. Je teurer es aber wird, desto weniger lohnt sich der ganze Aufwand für kleine und mittelgroße Wagen. Fazit: Der Diesel wird in Zukunft mehr denn je zum Antrieb der teuren Limousinen und Geländewagen. Das ist durchaus einkalkuliert. Gerade weil die deutschen Hersteller immer größere und luxuriösere Schlachtschiffe bauen, wollen sie nicht vom Diesel ablassen. Sie können ja nicht, außer sie bauen kleinere Autos. Es ist eine Abhängigkeit der besonderen Art, aus der es nur einen Ausweg gibt: Schnell umschalten und ein neues Programm wählen.

Der BMW-Chef mahnt schon jetzt

BMW CEO Harald Krueger makes a presentation during the media day at the Frankfurt Motor Show (IAA) in Frankfurt

BMW-Vorstandschef Harald Krüger vor dem i8, einem Sportwagen mit Plug-in-Hybridantrieb.

(Foto: REUTERS)

Die ersten sind schon dabei. Aber sie sind sich darüber im Klaren, dass dieser Umbau der größte in der Geschichte des Automobils sein wird. BMW-Chef Harald Krüger zum Beispiel. Er ist Chef eines Konzerns, der immerhin 80 Prozent seiner Autos in Europa mit einem Selbstzünder verkauft. Krüger sagt offen: Irgendwann werde es nicht mehr wirtschaftlich sein, "den Dieselantrieb immer weiter an die Anforderungen einer zunehmend ambitionierten Gesetzgebung anzupassen". Dass man heute noch Geld mit dem Diesel verdient, bedeutet nicht, dass das morgen auch noch so sein wird.

Was die Sache so kompliziert macht: "Irgendwann", das wird schon in den nächsten zehn, 15 Jahren sein. Für die Zyklen der Autoindustrie, wo man in Sieben-Jahres-Intervallen denkt, entwickelt und verkauft, ist das mehr oder weniger übermorgen. Wer also in zehn Jahren nicht mit leeren Händen dastehen will, muss jetzt, in diesen Monaten, sein Geschäftsmodell niederreißen und ein neues aufbauen. Sonst hat er in einigen Jahren ein Problem. BMW hat schon Milliarden in eine neue Elektroautoserie investiert.

Nur: Der kleine i3 und der große Sportwagen i8 verkaufen sich derzeit in homöopathischen Dosen, aber sie sollen auch nur der Anfang sein. Krüger plant nun eine ganze Welle von i-Modellen, und das muss er auch. 80 Prozent Dieselanteil sind riskant. Sie können einem Unternehmen das Genick brechen, wenn es nicht zeitig umsteuert.

Alle sollten zusammen in die Zukunft marschieren

VW-Markenchef Herbert Diess fordert sogar ein gemeinsames Handeln bei der Produktion von Akkus für Elektroautos. Um Deutschland so schnell wie möglich aus dem Diesel-Benzin-Zeitalter in die Zukunft zu beamen, müssten jetzt alle Hersteller zusammenhalten. "Ich bin der Meinung, wir brauchen eine Batteriefertigung in Deutschland. Das ist die Kerntechnologie der Elektromobilität", sagte er neulich.

Es war ein Warnruf: Alle sollen jetzt zusammen in die Zukunft marschieren - egal, was einen sonst noch so trennen mag. Das wäre für die Deutschen, bei denen bislang jeder für sich an seinen Dieselmotoren herumgeschraubt hat, eine Revolution. Nicht weniger revolutionär sind die Pläne des Sportwagenbauers Porsche: eine vollelektrische Baureihe mit 600-PS-Boliden, deren Batterien bis zu 500 Kilometer weit kommen, ohne sie aufzuladen.

Dass Elektroautos schon heute mehr sein können als kleine Elektro-Vehikel, zeigt der kalifornische Sportwagenbauer Tesla. Nun ist das Unternehmen weit davon entfernt, ein Massenhersteller wie VW oder BMW zu sein. Aber das könnte sich in vier bis fünf Jahren ändern, wenn Batterien leistungsstärker sein werden, günstiger, leichter - und den Dieselmotor alt aussehen lassen. Nur: Um dann dabei zu sein, muss man heute schon einsteigen und darf keine Zeit verlieren mit immer raffinierteren Verbrennungsmotoren.

Auf der Detroit Motor Show brauchen die Deutschen eine neue Story

Dass viele Automanager noch nicht erkannt haben, wohin die Reise geht, liegt auch daran: Trotz Dieselgate kaufen die Deutschen immer noch Dieselfahrzeuge. Die Argumente sind bekannt - weniger Verbrauch, günstiger im Unterhalt. Der typische Reflex eines Managers geht so: Solange der Absatz stimmt, kann die Strategie ja nicht so schlecht sein. Klingt rational, ist aber in diesem Fall eher das Argument eines Illusionskünstlers denn eines kühlen Rechners. Noch kaufen die Menschen Diesel, also ist alles gut. Dass es nicht gut bleiben kann, ist eine andere Frage.

Eine gute Gelegenheit, die Kurve zu kriegen, haben die Hersteller schon Anfang Januar in Detroit. Hier, bei einer der größten und wichtigsten Automessen der Welt, haben die Deutschen jahrelang ihre Dieselfahrzeuge in die erste Reihe geschoben. Das wird in diesem Jahr schwierig werden. Die Deutschen brauchen, wenn man so will, nach der Abgasaffäre eine neue Story, die sie den Amerikanern erzählen können. Die liegt auf der Hand. Man muss sie nur erzählen.

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