Kennzeichen-Scanning:Die Augen des Gesetzes

Die automatisierte Kennzeichenerkennung durch die Polizei ist heftig umstritten - auch die Diskussion im SZ-Verkehrsparlament verlief entsprechend kontrovers.

Marion Zellner

Für die Kritiker ist die aktuelle Situation schlimmer, als sie von George Orwell in seinem Roman "1984" beschrieben wurde. Sie sehen die grundrechtlich geschützte Privatsphäre der Bundesbürger in Gefahr. Die Befürworter dagegen verstehen die ganze Aufregung nicht und stehen auf dem Standpunkt, dass der, der nichts zu verbergen hat, auch nichts zu befürchten habe.

Kennzeichen-Scanning: Es hat Klick gemacht: Was wie ein Radargerät aussieht, ist tatsächlich eine Kamera zur Erfassung der Autokennzeichen.

Es hat Klick gemacht: Was wie ein Radargerät aussieht, ist tatsächlich eine Kamera zur Erfassung der Autokennzeichen.

(Foto: Foto: dpa)

"Die Bürger haben ein Recht auf Ruhe"

Grund für den öffentlichen und lautstark geführten Disput: das Scannen von Autokennzeichen, also die automatisierte Erfassung von Nummernschildern und der Abgleich der Daten mit den Fahndungslisten der Polizei - seit 2005 gängige Praxis in mehreren Bundesländern. Am Dienstag kommender Woche wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden, ob dieses Kennzeichenscanning - in diesem Fall in Hessen und Schleswig-Holstein - verfassungskonform ist oder nicht. Die Beschwerdeführer jedenfalls sehen ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schwerwiegend verletzt.

"Die Bürger haben ein Recht darauf, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden" - fordert Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, im Verlauf der Podiumsdiskussion des Verkehrsparlaments der Süddeutschen Zeitung zum Thema "Der gläserne Autofahrer. Datenerfassung im Verkehr - pro und contra". Datenschützer Weichert hält das automatisierte Kennzeichenscanning für verfassungswidrig, denn: "Der massenhafte Eingriff betrifft nicht nur schwere Straftäter, weil ja alle Autofahrer elektronisch erfasst werden." Zudem sei eine derart komplizierte Technik "fehleranfällig"; es bestehe obendrein die Möglichkeit des Irrtums und der ungerechtfertigten Speicherung - etwa im Fall einer Verwechslung.

Die Augen des Gesetzes

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) - in seinem Land wird Kennzeichenscanning mit stationären und mobilen Anlagen ebenfalls durchgeführt - kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Für ihn dient die Datenerfassung "dem Interesse der Autofahrer, die sich rechtmäßig verhalten". Denn: "Es passiert doch nichts anderes, als wenn die Polizei hinter einem Auto herfährt."

Laut Herrmann werden die Nummernschilder per Kamera elektronisch erfasst und anschließend online mit dem Fahndungsbestand des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden abgeglichen. Ausschließlich bei positiver Rückmeldung vom BKA würden die Daten gespeichert und der Fahrer angehalten; liege aber nichts gegen den Fahrzeughalter vor, werde "in Bayern sofort gelöscht". Da es keine Protokolle der Abfragen gäbe, sei es auch unmöglich, ein Bewegungsprofil zu erstellen, so Herrmann.

Generalbundesanwalt Kay Nehm: "Es bedarf gut formulierter Gesetze"

"Ich bin selbstverständlich nicht dagegen, dass Mörder und Kinderschänder gefasst werden", sagt Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident für Verkehr beim ADAC. Doch alles müsse im Rahmen bleiben, schließlich würden bereits zahllose Autofahrerdaten im Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg "zu Recht" gespeichert. Doch bei der Kennzeichenerfassung werde jeder einzelne Autohalter unter Generalverdacht gestellt. Und bei einer Erfolgsquote von gerade mal 0,03 Promille handle es sich "hauptsächlich um Bagatellgeschichten" - etwa gestohlene Fahrzeuge oder fehlender Versicherungsschutz. Deshalb riet Becker zu "Datenaskese, der Vermeidung der Erfassung und dazu, dass nicht alles, was machbar ist, auch gemacht wird". Für ihn gilt der Satz von Benjamin Franklin: "Diejenigen, die ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben, werden am Ende keines von beiden haben."

Über den zu erwartenden Spruch der Bundesverfassungsrichter wollte der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm vor Urteilsverkündung nicht spekulieren: "Ich werde mich hüten, Prognosen abzugeben." Doch für ihn steht fest, dass die "Schutzlücken, die heute erkannt werden, mit Rechten auszufüllen" und dabei die Werte abzuwägen seien. So müsse der Missbrauch der Daten ausgeschlossen werden, wofür es "gut formulierter Gesetze" bedarf, so Nehm.

Die Augen des Gesetzes

Datenschützer Weichert geht davon aus, dass auch Systeme wie die Lkw-Maut zusätzlich Begehrlichkeiten wecken werden; schließlich könnten damit auch Daten von Pkw erfasst werden. So würde etwa in Großbritannien das Kennzeichenscanning eingesetzt, um Tempoverstöße zu erkennen und zu ahnden. Trotz der im Vergleich mit der Bundesrepublik intensiveren öffentlichen Überwachung sei aber "interessant, dass die Kriminalität in Großbritannien deutlich höher ist als hier. Also, was bringt das dann?", fragt Weichert und vertritt die Meinung, dass der Nutzen nicht so hoch sei, um diesen Eingriff in Grundrechte zu rechtfertigen.

"Überwachung darf nur der Ausnahmefall sein"

Joachim Herrmann bestätigte, dass in anderen europäischen Ländern Daten umfangreicher gesammelt und genutzt werden, doch: "Der Datenschutz ist dort schlechter" und "kein Maßstab"; er sehe nicht, dass sich "die EU dieses Themas bemächtigen" wolle. Außerdem sei die Kennzeichenerkennung mit der oft in diesem Zusammenhang genannten Speicherung von Fluggastdaten nicht zu vergleichen, denn dabei würden Daten der Passagiere "bis hin zur Kreditkarte" jahrelang gespeichert. Beim Kennzeichenscanning aber werde weder vom Auto noch von den Personen Fotos gemacht. "Das ist sogar verboten", ergänzte der bayerische Innenminister. Den Vorwurf des Generalverdachts könne er nicht nachvollziehen, schließlich habe vor dem Schengen-Abkommen auch jeder an der Grenze seinen Pass gezeigt. Was außerhalb des Schengen-Raumes noch immer gelte: "Das ist verdachtsunabhängig."

Dass viele Bürger nicht heimlich und massenhaft überwacht werden möchten, zeigt eine Umfrage unter ADAC-Mitgliedern. Danach wollen 60 Prozent der Befragten kein Navigationssystem im Auto haben, das eine Ortung des Fahrzeugs zulässt. Für Ulrich Klaus Becker ist das ein interessantes Ergebnis. "Ausschlaggebend für die öffentliche Akzeptanz jeder allgemeinen Überwachung ist die Sicherheit der erfassten Daten, der Ausschluss eines Missbrauchs und die Offenlegung darüber, mit welchen Dateien die Informationen abgeglichen werden", ergänzte Weichert, "Überwachung darf nur der Ausnahmefall sein."

Ob Hessen und Schleswig-Holstein, und damit andere Bundesländer, ihre Gesetze zur automatisierten Kennzeichenerfassung ändern müssen, wird sich kommende Woche zeigen.

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