Kampf im Konzern:VW, Audi und Porsche werden zu allerbesten Feinden

VW I.D.

VW bringt 2020 mit dem I.D. ein wegweisendes Elektroauto. Bereits vorher kommen E-Modelle von Audi und Porsche auf den Markt.

(Foto: Volkswagen)

Verschlanken, vereinheitlichen, verbilligen: Nur so kann VW die Elektromobilität stemmen. Dabei droht Audi, die technologische Führerschaft im Konzern an Porsche zu verlieren.

Analyse von Georg Kacher

Keiner weiß, wann es richtig losgeht mit der Stromerei. Keiner weiß, wie die Nachfragekurve verlaufen wird und ob die Infrastruktur beizeiten steht. Keiner weiß, ob China und die USA tatsächlich an ihren CO₂-Fahrplänen festhalten, von Europa ganz zu schweigen. Aber jeder weiß, dass er heute entscheiden und investieren muss, um später mit dabei zu sein, wenn über die Gewinner der Mobilität von morgen entschieden wird.

Chancen, Risiken, Timing und Volumen einer neuen Technologie waren selten so schwer abzuschätzen wie beim fliegenden Wechsel von der Zapfsäule zur Steckdose. VW hat jetzt auch die Weichen gestellt und will vom Jahr 2018 an erste Zeichen setzen - mit dem Audi Elektro-SUV (der schlicht e-tron heißen soll), dem viertürigen Mission-E-Coupé von Porsche, das 2019 kommen soll, und mit dem Volkswagen I. D. im Golf-Format, der für 2020 geplant ist. Vor allem der I. D. soll eine erste Variante des breit aufgefächerten E-Baukastens sein. Ist das eine stringente Strategie mit Synergieeffekten? Oder sind es eher drei unkoordinierte Alleingänge?

Audi startet in knapp zwei Jahren seine BEV-Offensive (das Kürzel steht für "battery electric vehicle"). Der e-tron liegt als SUV voll im Trend, er lässt sich durch konstruktive Querverbindungen zum Q5 auf bestehenden Anlagen produzieren und er soll mit einem Basispreis von knapp 60 000 Euro preislich einigermaßen attraktiv daherkommen. Die Rede ist von mindestens drei Varianten: einer Eco-Variante mit 70 kWh und 230 kW Leistung, der Efficiency-Variante mit 95 kWh und 265 kW Leistung sowie der Performance-Ausgabe mit 105 kWh und 320 kW. Obwohl die Dauerleistung etwa 25 Prozent niedriger liegen dürfte, kann der e-tron-Kunde das Potenzial seines Autos dem Vernehmen nach fast doppelt so oft abrufen, wie das bei einem vergleichbaren Tesla der Fall wäre.

Der intern C-BEV genannte Wagen soll in unter vier Sekunden von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde beschleunigen, bei Tempo 200 eingebremst werden und mit einer Batterieladung mindestens 450 Kilometer weit kommen. Die Nachteile: Das bis zu 700 Kilogramm schwere Akkupaket treibt das Gewicht des e-tron auf bis zu 2,5 Tonnen. Und die Skalierbarkeit der für den Fall der Fälle sogar hybrid-tauglichen Architektur ist auf eine A7-ähnliche Variante beschränkt, die Audi kurz ESS nennt (das steht für "Electric Sports Sedan") und die nicht vor dem Jahr 2020 kommen soll. Der solitäre Entwurf lässt sich somit kaum mehr weiterentwickeln.

Der Porsche Mission E ist kaum Großserien-tauglich

Auch Porsche leistet sich mit dem Mission E (J1) einen imageträchtigen Schnellschuss. Die komplexe Technik des bildhübschen viertürigen Coupés ist allerdings kaum als Keimzelle für weitere Elektroautos geeignet, von der Großserien-Tauglichkeit ganz zu schweigen. Bayern und Schwaben machen zwar in Sachen Batterietechnologie, E-Motoren und Leistungselektronik teilweise gemeinsame Sache, doch im Gegensatz zum Hochboden-Audi orientiert sich der Flachboden-Porsche in groben Zügen am neuen Panamera. Während Audi den e-tron an 400-Volt-Ladesäulen andocken möchte, träumen die Weissacher Elektriker von einem 800-Volt-Netz besser als die Tesla-Supercharger.

Klar, dass sich die Markenbotschaft des Mission E auch in den Fahrleistungen ausdrückt: Von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde schafft er es in 3,5 Sekunden, die maximale Höchstgeschwindigkeit gibt Porsche mit 250 Kilometer pro Stunde an, die Reichweite soll bis zu 500 Kilometer betragen. Weil der bis zu 600 PS und 1000 Newtonmeter starke Elektroflitzer als Grundmodell weniger kosten soll als ein Elfer, kalkuliert Porsche mit bis 25 000 Einheiten pro Jahr. Audi will vom e-tron im Werk Brüssel 60 000 Stück jährlich fertigen.

Selbst wenn in Folge auch Audi, Bentley und Lamborghini von der J1-Vorlage profitieren sollten, ist die High-End-Technik für Fahrzeuge der oberen Mittelklasse viel zu teuer. Deshalb stellt man sich in den Führungsetagen die Frage, wie denn eine für alle Premiummarken geeignete und bezahlbare Elektroarchitektur aussehen soll - und wo sie entwickelt wird.

Alleingänge einzelner Marken wird es nicht mehr geben

Fest steht, dass es betriebswirtschaftlich katastrophale Alleingänge wie den als Alu-Spaceframe-Limousine konzipierten A8-Nachfolger nach dem Dieselskandal nicht mehr geben wird. Porsche hat im A8-Segment mit dem MSB (Panamera/Cayenne) überzeugend vorgelegt, und die Stuttgarter würden auch gerne die Systemführerschaft beim PEB (Premium Elektro Baukasten) übernehmen. Ein entsprechendes Flachspeicher-Layout mit T-förmigem Akku-Reservoir im Mitteltunnel und vor der Hinterachse befindet sich in Prüfung und wäre vom Jahr 2022 an startklar. Die weitgehend problemlose Hochboden-Ableitung dieser Material-Mix-DNA könnte das komplette SUV-Spektrum abdecken.

Im BEV-Szenario gerät Audi von zwei Seiten unter Druck. Die kleinen Null-Emission-Autos mit den vier Ringen im Grill bedienen sich zwangsweise im modularen Elektrizitätsbaukasten (MEB genannt) von VW, um die Hoheit über das Schnittmuster für die großen BEVs müssen sich die Ingolstädter mit Porsche streiten.

Die Taktik des Konzernvorstands ist riskant

Schlimmstenfalls müsste sich Audi auf den modularen Längsbaukasten (MLB) konzentrieren - und selbst der ist den Donaustädtern nicht sicher. Denn hinter den Kulissen wird überlegt, den A4-Nachfolger samt A5 auf die fast 1000 Euro günstigere Quermotor-Plattform umzustellen, wobei als Worst-Case-Folgeschaden fast gleichzeitig die nächste Generation von Q5, Q7, Q8 zu Porsche wechseln könnte. Damit wären A6 und A7 praktisch heimatlos, und wenn dann auch noch eines Tages der R8 auslaufen oder zu Lamborghini übersiedeln sollte, stünden Audi und sein erst im Sommer einsatzbereiter neuer Entwicklungschef mit nahezu leeren Händen da. Allein mit Digitalisierung und autonomem Fahren wäre die neu gebaute Denkfabrik nicht mal ansatzweise ausgelastet.

Spätestens an diesem Punkt müsste der Konzernvorstand einschreiten, doch der hat sich für "alle Macht den Marken" ausgesprochen und übt Zurückhaltung. Eine riskante Taktik, denn die Zeit drängt, ob Audis Dilemmata nun hausgemacht sind oder fremdgesteuert, und Piëchs Maxime des internen Kräftemessens, das der Bessere gewinnen möge, gilt schon lange nicht mehr.

Aber nach Jahren der Konfrontation tut man sich eben schwer mit der unverzichtbaren Kooperation. Da konstruiert Porsche seinen neuen Mittelmotorsportwagen lieber so, dass Audis Vier- und Fünfzylinder garantiert nicht reinpassen. Da möchte Audi den nächsten Q5 bereits auf eine komplett neue E-Plattform stellen, während Porsche den Elektro-Macan noch als konventionellen e-tron-Ableger ins Rennen schicken will. Da gibt es beim Gerangel um den künftigen Premium-Bausatz und seine Inhalte viel Gegeneinander, aber nur wenig Miteinander. Die obersten Chefs mögen das anders sehen, doch auf der Arbeitsebene kämpfen nach wie vor die meisten nicht für den Konsens, sondern für ihre Marke.

Mut zur Differenzierung bei den Sportwagen

Die MEB-Thematik hat VW zumindest aus Außensicht erstaunlich gut im Griff. Die Herren Diess, Welsch und Tanneberger schaffen Fakten, der Verbund darf sich bedienen. Audi wird zum Beispiel die Gene des kompakten e-tron (A-BEV) vom VW I. D. Crossoer CUVe übernehmen, und vielleicht paart sich der A4-Nachfolger eines Tages sogar mit der I. D.-Aero-Limousine designed in Wolfsburg. Doch bis es so weit ist, muss die Cashcow des Konzerns ihr Stückzahlgerüst festigen und am weiter optimierten Längsbaukasten-Programm (A4 - A7 und Q5 - Q8) bis zum Wechsel auf die Elektroarchitektur festhalten dürfen.

Bei den Sportwagen hat sich Audi mit dem blassen TT und dem allzu mutig positionierten R8 zwei Eigentore geschossen. Aber noch ist nichts verloren, denn die Spiel-und-Spaß-Autos müssen in der nächsten Generation ebenfalls (teil-)elektrifiziert werden, was nicht nur auf ein Audi-Mitspracherecht bei der Definition des dafür vorgesehenen MMB-Konzepts von Porsche ("Modularer Mittelmotor-Baukasten") hoffen lässt, sondern auch auf mehr Mut zur Differenzierung zwischen den Marken.

Ein weiteres Projekt, das sich von ganz oben mit Nachdruck anschieben ließe, betrifft den oft diskutierten, aber nie realisierten elektrisch angetriebenen, modular aufgebauten und autonom fahrenden Stadtwagen, der in unterschiedlichen Ausprägungen von Basis (VW) bis Luxus (Audi) Karriere machen könnte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: