60 Jahre Trabant:Erste Liebe

1957 ging der Trabant in Serie. Das knatternde, stinkende Auto wurde zum Symbol für das Leben in der DDR, vor allem für ihren Niedergang. Unser Autor verbindet trotzdem positive Erinnerungen mit dem Trabi.

Von Thomas Harloff

Ich kann mich noch gut an den Weg von Schwarzenberg nach Techentin erinnern. Etwa 450 Kilometer lang ist die Strecke vom Erzgebirge bis ins Herz Mecklenburgs. Eine Distanz, die heute mit dem Auto souverän in viereinhalb bis fünf Stunden zu bewältigen ist. In den Achtzigerjahren, als ich mit meinen Eltern zu meinen Großeltern in den Urlaub fuhr, hat man für diese Strecke noch gut sieben Stunden gebraucht. Und daran waren nicht nur die schlecht ausgebauten Autobahnen schuld.

Der Hauptgrund war unser Auto: ein Trabant 601, Baujahr 1965, anfangs 23 PS stark und gerade mal 100 km/h schnell. Die vorletzte Generation jenes Autos, das nicht nur symbolhaft für das Leben in der DDR steht, sondern auch für ihren Niedergang. Ein Auto, das am 7. November 1957 zum ersten Mal im Zwickauer Sachsenring-Werk vom Band rollte. Vor genau 60 Jahren ging sie los, die Geschichte des Zweitürers und -takters, der ein Land mobilisierte. Und mit dem aufgrund seiner enormen Verbreitung fast jeder ehemalige Bürger der DDR Erinnerungen und Geschichten verbindet. So auch ich.

Heute wäre eine Siebenstundenfahrt in einem lausig gefederten und kaum schallgedämmten Kleinwagen eine Qual für mich. Damals habe ich es geliebt. Wir fuhren im Morgengrauen los, um noch vor der Dunkelheit anzukommen. Schließlich musste man beim Trabi mit technischen Zwischenfällen rechnen. Mangelnde Zuverlässigkeit war zwar nie sein größtes Problem, aber durchaus ein Thema. Auf einer Urlaubsfahrt ging die Kurbelwelle kaputt, ein neuer Motor musste her. Mein Vater besorgte für 700 Ostmark einen 26 PS starken Ersatz, natürlich auf inoffiziellem Weg. Auf einer anderen Tour riss der Keilriemen. Gut, dass ein neuer im Kofferraum lag. Die viel zitierte Feinstrumpfhose hätte sicher für ein paar Kilometer funktioniert, aber mehr als eine Notlösung wäre das nicht gewesen.

Größere Sorgen als die Technik machte der Rost. Unter der aus Baumwolle und Phenolharz gefertigten Duroplast-Karosserie versteckten sich viele Metallteile, die gerne und schnell rosteten. Immer wieder war ein Schweißgerät nötig, um vermoderte Teile gegen Ersatz auszutauschen. Was ich damals nicht wusste: Anfangs wurde der Trabi noch ambitioniert weiterentwickelt. Mehrfach gab es das, was man heute Facelift nennt. Die Ingenieure entwickelten sogar immer wieder serienreife Prototypen, meist mit moderner Schrägheckkarosserie und Triebwerken, deren Technik westlichen Standards entsprach: Viertakt-Ottomotoren samt Benzineinspritzung, Diesel- oder gar Wankelaggregate. Doch stets kam der finale Stopp aus dem SED-Politbüro, viele der Prototypen mussten gar vernichtet werden. Am 601 zeigten sich die negativen Auswirkungen der Berliner Entscheidungen. Die neue Trabi-Generation von 1964 sah zwar anders aus als ihr Vorgänger, die Technik ähnelte sich jedoch sehr. Vieles war gar identisch, deshalb vom Band weg veraltet - und wurde nur sporadisch weiterentwickelt.

Im Jahr 1968 erhielt der Trabant drei PS mehr Leistung. Das war's - danach kam nichts mehr

Zum Beispiel der Motor. Der Zweizylinder blieb erst einmal so, wie er war. 1968 erhielt er eine Leistungssteigerung von 23 auf 26 PS - stärker wurde er bis zum Produktionsende nicht mehr. Auch sonst gab es nur wenige Modernisierungen im Maschinenraum. Zur Einordnung: Als der Trabi eingestellt wurde, leistete der schwächste Golf 55 PS und der stärkste 210 PS. Katalysatoren hatten sich längst durchgesetzt, ebenso moderne Einspritzanlagen und Flüssigkeitskühlung. Der Vergasermotor des Trabis wurde noch immer mit Luft gekühlt und blies seine Abgase völlig ungefiltert in die Umwelt.

Drei Millionen

Trabant wurden von 1957 bis 1991 in Zwickau gebaut. Für die meisten DDR-Bürger war er das einzige erschwingliche Auto, die Topversion "S de Luxe" kostete im Jahr 1982 knapp 11 000 Ostmark. Zunächst wurde eine "Nullserie" gebaut, von Sommer 1958 an ging der Trabant mit 500-Kubikzentimer-Zweizylinder-Zweitaktmotor in Serie. 1962 gab es einen Nachfolger mit knapp 600 Kubikzentimetern Hubraum. Ihn löste 1964 der Trabant 601 ab. 1989 folgte der Trabant 1.1 mit in Lizenz gebautem VW-Polo-Motor - die finale Episode der Trabant-Geschichte.

Wenn ich mich so umblickte während der Fahrt, dann fiel mir auf, dass unser Trabi schöner war als die meisten anderen. Er war nicht so langweilig unifarben, sondern hatte eine weiße Karosserie mit strahlend blauem Dach. Die oft zweifarbige Lackierung der ersten Generationen fand ich auch schön. Dafür gefiel mir ihre Form nicht. Die ersten Trabis waren viel kleiner als unserer und so altmodisch rund. Der 601er sah moderner aus, hochwertiger. Ich mochte unser Auto, auch wenn viele meiner Freunde mit ihren Wartburgs, Škodas oder Ladas in prestigeträchtigeren Modellen unterwegs waren.

Vielen geht es heute wie mir damals. Die Tradition lebt fort, mithilfe des Internets. Es gibt einige Shops, deren Betreiber gut von Trabi-Ersatzteilen leben. Nicht nur von deren Verkauf, sondern auch vom Überholen alter oder vom Fertigen neuer Teile. Der Bedarf ist da, schließlich zählt das Kraftfahrtbundesamt derzeit noch fast 35 000 zugelassene Trabis in Deutschland. Schätzungsweise stehen in Scheunen, Werkstätten und Garagen zwei- bis dreimal so viele und warten auf ihre Restauration oder dienen als Teilespender. Die Szene ist weiterhin aktiv - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern sogar in Afrika, Australien und den USA.

Meine Eltern gehören ihr nicht an. Wie viele DDR-Bürger waren sie zur Wendezeit froh, als sie den Trabi gegen ein - im Vergleich - bahnbrechend modernes Auto tauschen konnten. Und dass jenes Exemplar, das sie mit meiner Geburt bestellt hatten (die durchschnittliche Lieferzeit betrug zehn bis zwölf Jahre), nie geliefert wurde. Unseren Trabant ersetzte ein Audi 80, Baujahr 1980. Der hatte einen Viertaktmotor mit 75 PS und intakter Kurbelwelle, einen stabilen Keilriemen - aber ähnlich große Rostprobleme wie unser Trabi.

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