100 Jahre BMW:Wie BMW die nächsten 100 Jahre angeht

100 Jahre BMW: Studie Vision Next 100

Die Studie Vision Next 100 wurde auf BMWs 100-Jahre-Feier in der Münchner Olympiahalle enthüllt.

(Foto: dpa-tmn)

Was bedeutet Freude am Fahren in der Zukunft? BMW stellt alles, was den Erfolg der Marke ausgemacht hat, auf den Prüfstand. Es wird vor allem: digital.

Analyse von Joachim Becker

Alles schon mal da gewesen: Bereits in den Fünfzigerjahren kam das erste Megacity Vehicle aus München. Mit 2,30 Metern Länge passte die Isetta quer auf einen Parkplatz. Durchgesetzt hat sich die Knutschkugel genauso wenig wie der BMW i3. Der kleine Elektrowagen soll den Großstadtverkehr entlasten. Über seine Schönheit lässt sich streiten und der Preis ist alles andere als heiß. Vielleicht werden spätere Generationen den schrulligen Stromer dereinst so fasziniert-verstört anglotzen wie wir die Isetta heute: Mit so etwas sind die Menschen damals rumgefahren . . .

Selbst kühne Zukunftskonzepte haben eine geringe Halbwertzeit. Dessen ist sich BMW vorm hundertsten Firmengeburtstag durchaus bewusst. Als Konzernboss Harald Krüger zur Feier in der Münchner Olympiahalle die "Next 100"-Studie enthüllte, kam eine eher abstrakte Skulptur zum Vorschein. Eine Stilübung der Designer, die wenig Habhaftes zu kommenden BMW-Modellen verrät. Trotzdem ist so eine Vision wichtig, weil sie sich vor der Tradition verneigt - und den Markenkern in turbulenten Zeiten bewahren soll. Denn gewiss ist nur eines: der rasante Wandel in den "nächsten 100 Jahren".

"Freude am Fahren" wird zur Randerscheinung

Orientierung tut not: All das, was den Erfolg von BMW in der Vergangenheit ausgemacht hat, werden die nächsten beiden Dekaden in Frage stellen. Harald Krüger schwört seine Mitarbeiter auf einen großen Kultur- und Technologiewandel ein. Die Digitalisierung werde die Branche verändern, "mehr, als wir uns das heute möglicherweise vorstellen können", sagte Krüger der SZ schon vor einem halben Jahr. Aber was bedeutet das konkret? Wenn Premium-Neuwagen im Jahr 2030 autonom und batterieelektrisch fahren können, lassen sie sich womöglich mit einem Klick auf ein Mobilgerät herbeirufen. Die Frage ist, welche Rolle die Automarke dann noch für die Wahl dieses Robotertaxis spielt.

Von Zeit zu Zeit versucht BMW, den verschlungenen Weg in die Zukunft mit Technologie-Leuchttürmen zu erhellen. Jüngstes Beispiel ist die BMW i Vision Future Interaction, die Anfang des Jahres auf der CES in Las Vegas zu sehen war: Auf der Instrumententafel der BMW-i8-Cabrio-Studie thront ein breites Display-Band mit sechs verschiedenen Anzeigesegmenten. Die Botschaft auf der weltgrößten Elektronikmesse war klar: Sobald der Wagen selbstständig fährt, hat die Person hinter dem Steuer mehr Zeit zum Kommunizieren. Für die weißblauen Momente im Leben behält das Showcar aus Las Vegas ein konzentriertes Fahrer-Cockpit. Doch im Alltag wird die "Freude am Fahren" zu einer Randerscheinung im größeren digitalen Universum.

Alles schon mal da gewesen? Als die Münchner 2011 ihre futuristische BMW Vision Connected Drive präsentierten, war die Autowelt noch in Ordnung. Damals stand das Konzeptfahrzeug auf dem Genfer Autosalon statt auf einer Elektronikmesse. Audi, BMW und Mercedes gaben ganz klar den Ton in der Oberklasse an - Teslas Model S war wenig mehr als der größenwahnsinnige Prototyp einer kalifornischen Hinterhof-Klitsche. Auch Apple und Google waren noch lange nicht in Schlagdistanz zu den weltweit wertvollsten Unternehmen. Zudem stand das gute alte analoge Autofahren trotz aller Vernetzung noch klar im Vordergrund. Damals diente der große Bildschirm auf der Beifahrerseite ausschließlich zur Information des Passagiers. Heute ist das Display-Band dank der weiterentwickelten Gestensteuerung auch für den Fahrer erreichbar.

Alles dreht sich um den vernetzten Kunden

Was für einen Unterschied fünf Jahre machen: Statt ums vernetzte Auto dreht sich mittlerweile alles um den vernetzten Kunden. Rund um das Smartphone hat sich ein digitales Ökosystem entwickelt, das die Nutzer gar nicht mehr verlassen müssen. Der Datenraum aus Terminkalender, Kontakten, E-Mail und Mobilitätsprofilen kennt die Vorlieben, Wünsche und Gewohnheiten - und kann die nächsten Bedienschritte voraussagen. "Wie können wir das Fahrzeug in die Mobilität und den digitalen Lifestyle unserer Kunden integrieren? Wie können wir Teil dessen sein, was wir die Kundenreise durch den Tag nennen?", fragte Klaus Fröhlich auf der CES 2016: "Da müssen wir uns mit unseren Prozessen in der Automobilindustrie zum Teil völlig neu aufstellen und das Tempo deutlich erhöhen", so der BMW-Entwicklungsvorstand.

Entscheidend für das Komforterlebnis im urbanen Umfeld ist nicht mehr die Hardware des privaten Autos. Um die "Reise durch den Tag" möglichst ungehindert zu organisieren, ist mitunter der schnelle Wechsel von Verkehrsmitteln sinnvoll. Dabei werden die Nutzer ihre Datenwolke mitnehmen, um die Mobilität als Service möglichst reibungslos und zeitsparend zu organisieren. Zum Beispiel, indem der individuelle Terminplan mit aktuellen Stauzeitprognosen und Echtzeit-Informationen über den Nahverkehr oder Car-Sharing-Angebote vernetzt wird. "Möglicherweise wird der Erfolg eines Automobilherstellers künftig nicht mehr an der Zahl der verkauften Autos gemessen, sondern daran, wie seine Flotte genutzt wird", sagt Dieter May. Der Senior Vice President Digital Business Models der BMW Group will kurz nach der Hundertjahrfeier ein Feuerwerk von neuen vernetzten Diensten starten, die eher im Monats- als im Jahresrhythmus auf den Markt kommen sollen.

An den Audi-Slogan "Vorsprung durch Technik" glaubt bei BMW niemand mehr. Die schnellen elektronischen Entwicklungszyklen machen Autos immer austauschbarer. "In der digitalen Welt ist der Release-Zyklus von neuen Produkten vier Wochen, in der Telefon-Company Nokia, wo ich vorher gearbeitet habe, war die Entwicklungszeit neun Monate und in der Autoindustrie dauern Fahrzeugentwicklungen mehrere Jahre." Für den IT-Experten Dieter May ist das gewohnte Tempo der Blechbieger ein Graus: "Deshalb brauchen wir eine eigene Entwicklermannschaft, um in kürzerer Zeit Produkte und Services zu entwickeln. Derzeit haben wir rund 80 Leute in Chicago, weitere Mitarbeiter in Shanghai und in München. Mit unserem Team in Chicago sind wir in der Lage, alle vier Wochen neue Entwicklungen und Updates zu bringen."

Entscheidend wird nicht zuletzt das autonome Fahren sein

BMW hat die IT-Entwicklertruppe in Chicago aus den Trümmern des einstigen Mobilfunk-Marktführers Nokia gerettet. Auch bei der Übernahme des Kartendienstleisters Here zusammen mit Audi und Mercedes haben sich die Münchner eine Perle aus dem Nokia-Universum gesichert. An ihrer Entschlossenheit, finanziell große Schritte in Richtung Digitalisierung zu gehen, kann daher kein Zweifel bestehen.

Noch in diesem Jahr soll das Carsharing-Projekt Drive Now auf die nächste Stufe gehoben werden: Die eher lokal orientierte Spontanmiete soll zu einer umfassenden Mobilitätsplattform ausgebaut werden. Messen müssen sich die Münchner dann mit IT-Firmen wie Uber, die über nahezu unbegrenztes Investorenkapital verfügen. Ohne globale Partner wird es dabei nicht gehen: Auf der CES 2016 hat BMW bereits die Vision einer Open Mobility Cloud vor-gestellt. Partner wie Amazon, Microsoft oder Samsung sollen erst der Anfang sein.

Entscheidend für die mittelfristige Zukunft der weißblauen Marke wird nicht zuletzt das autonome Fahren sein. Deshalb werden die Fahrerassistenzsysteme nicht nur evolutionär weiterentwickelt, sondern die ganze Entwicklungsabteilung umgebaut: Elmar Frickenstein, Leiter Elektrik/Elektronik bekommt mehr Kompetenzen. Er soll künftig nicht nur die Bordelektronik, sondern auch das Fahrwerk auf Zukunft trimmen. Doch wer weiß, in fünfzig Jahren könnte der ultimative Luxus darin bestehen, dem Roboter das Lenken aus der Hand zu nehmen: So sind die Menschen damals gefahren - und es hat Spaß gemacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: