75 Jahre BMW 328:Am Berg der Erkenntnis

Vor 75 Jahren schuf BMW einen bemerkenswerten Sportwagen: eine flotte Geburtstagsausfahrt mit dem 328.

Jörg Reichle

Seine Königliche Hoheit sägt und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Das hat nichts mit Holzbearbeitung zu tun, sondern mit Autofahren. Autofahren in Vollendung. Sägen nannte man damals, in den dreißiger Jahren, die Kunst, mit blitzschnell pendelnden Lenkradbewegungen ein Auto im physikalischen Grenzbereich zu bewegen. Man bedenke: Die Reifen waren damals schmal und Fahrwerke hatten noch reichlich Entwicklung vor sich. Von den Bremsen gar nicht zu reden.

Das Auto ist in diesem Fall ein leuchtend roter BMW 328, Baujahr 1936. In diesem Jahr wird er also 75, Anlass für vielerlei Ehrungen und Ausfahrten. Vor ein paar Wochen die Mille Miglia in Italien. Jetzt: das Gaisbergrennen in Österreich, eine Oldtimer-Wettfahrt, die seit 2002 an ruhmreiche Tradition anknüpft.

Der Hausberg der Salzburger, 1288 Meter hoch, ist heute vorwiegend ein Wander- und Mountainbike-Paradies. Von 1929 bis 1969 aber war er Spielplatz für die Größen des Bergrennsports: von Caracciola und Hans Stuck bis zu Mitter, Scarfiotti und Stommelen, die jungen Rindt und Lauda nicht zu vergessen, den Quester Dieter und - eben auch Prinz Leopold von Bayern, der sich hier schon Ende der Sechziger die Hörner abstieß, damals mit einem winzigen Mini Cooper. Jetzt sitzt er am Steuer des 328, als einer von fast 180 Teilnehmern des historischen Gaisbergrennens.

Vom aktiven Rennsport ist der Nachfahr des Bayern-Königs Ludwig längst zurückgetreten, aber gelernt ist nun mal gelernt, und Gene vergessen nicht. Also wirft der Prinz den 328 in die Kurven bergauf, dreht den Zweiliter-Sechszylinder aus, bis der vor Entzücken schreit.

Auf halbem Weg bis zum Ziel haben sich oberhalb einer langgezogenen Kurve Hunderte Zuschauer malerisch auf einer Wiese verstreut. "Pass' auf", sagt Prinz Leopold, der heute als Markenrepräsentant von BMW ganzjährig im Einsatz ist, "jetzt bieten wir den Leuten was."

Und dann tanzt der 328 mit wimmernden Reifen, röhrt sich die Seele aus dem Leib, schlingert, will ausbrechen. Im letzten Moment fängt ihn der Fahrer gekonnt wieder ein. Sauber auf Linie, zweiter Gang, dritter Gang, geht es weiter den Berg hinauf. Bloß keine Zeit verlieren. Hinter dem Auto, schon wie ein fernes Echo, brandet Beifall auf.

Geradeauslauf ist ein relativer Begriff

Der 328 hat Autogeschichte geschrieben. Kein Sportwagen aus dieser Zeit fährt sich heute noch derart unkompliziert. Schalten, lenken, bremsen, alles geht präzise, berechenbar und ohne großen Kraftaufwand von der Hand. Und der Motor hängt jederzeit sauber am Gas.

Natürlich ist Geradeauslauf ein relativer Begriff. Mit feinen Korrekturen will der hautenge Zweisitzer mit seinen motorradschmalen Reifen auf Linie gehalten werden. Dazu faucht der Wind ins spartanische Cockpit und fällt den Insassen bei hohem Tempo brüllend ins Wort.

Zeit ist relativ, das gilt auch für Autos. Unter der pflegenden Fürsorge der Traditionalisten aus dem Münchner Mutterhaus hat sich der 328 jedenfalls bis heute seine Seele und seine hübschen Strom-Linien unbeschadet bewahrt - und mehr noch. Die ursprünglichen 80 PS des Zweiliter-Sechszylinders sollen sich inzwischen auf an die 100 vermehrt haben, wie es hinter vorgehaltener Hand heißt.

In Kombination mit 780 Kilogramm Leergewicht ergibt das auf den kurvigen Sträßchen des Salzburger Landes einen nachvollziehbaren Lustgewinn. Und so mancher Ferrari oder Aston-Martin schaut ihm auf der dreitägigen Ausfahrt verdutzt in die Auspuffrohre. So um die 180 km/h, schwört der Mann am Volant, soll der Vorkriegs-BMW schnell sein, und der weiß es, garantiert, aus eigener Erfahrung.

Das war schon damals so, Ende der dreißiger Jahre. Eigentlich passte der flinke BMW gar nicht mehr in die Ära der Kompressor-Ungetüme aus dem Vorkriegsrennsport. Aber gerade das sollte ihn fast unschlagbar machen, eine lässige Kombination aus konsequentem Leichtbau, idealer Gewichtsverteilung, aerodynamischer Form, kräftiger Motorisierung und exzellentem Handling; mithin ein lockerer Sieg des Einfachen über den ächzenden Ehrgeiz des Schwerfälligen.

Seine Väter Rudolf Schleicher und Fritz Fiedler, Motorenexperte der eine, Fahrzeugkonstrukteur der andere, entwickelten ihn 1935/36 in kürzester Zeit. Und das ganz ohne Marktforschung, Designabteilung, Windkanal oder allerlei elektronische Hilfsmittel.

Mehr als 200 Siege gehen aufs Konto des 328

Man kannte so etwas damals noch nicht. Reißbrett und Versuchswerkstatt mussten genügen. Technische Grundlage für den 328 war der 319/1, ein hübsches, wenngleich etwas harmlos ausschauendes Wägelchen, kein Vergleich am Ende mit dem schnittigen Sport-Roadster.

Weil die Mittel für eine völlige Neukonstruktion des Motors fehlten, übernahm man den Antrieb des 326 und überarbeitete ihn. Der Zweiliter-Graugussblock erhielt einen neuen Zylinderkopf aus einer Aluminiumlegierung mit V-förmig angeordneten Ventilen. Deren Steuerung erfolgte von der seitlichen Nockenwelle aus über Umlenkhebel auf der Ansaugseite und über querliegende Stoßstangen. Das Ergebnis schließlich: 80 PS bei 4500 Umdrehungen.

Am Ende wurde der 328 ein Rennauto, das auch für die Straße taugte. Schon im Premierenrennen, am 14. Juni 1936 holte er den Sieg in der Zweiliterklasse, mehr als 200 weitere sollten es bis in die fünfziger Jahre werden. Zu Beginn waren es Vorserienautos, die an den Start gingen, Privatfahrer mussten noch bis April 1937 warten, bis sie einen der ersehnten Sportwagen kaufen konnten.

7400 Reichsmark kostete der 328 damals - "zweisitzig, aufklappbares Verdeck, umlegbare Windschutzscheibe, Kofferraum hinter den Sitzen", hieß es im Prospekt. Hätte man ihn seinerzeit behalten, wäre die Rendite sagenhaft. Nicht unter 100.000 Euro werden 328 heute gehandelt, das heißt, wenn sie überhaupt noch auf den Markt kommen. Wer einen der insgesamt nur 464 gebauten Wagen besitzt, gibt ihn kaum jemals wieder her.

In den drei Tagen des Donners rund um Salzburg ist der schiere Wert kein Thema. Nach fünf flotten Runden auf einem Stadtkurs an den Ufern der Salzach am ersten Tag, führt der zweite die Rallye-Teilnehmer zweimal den Gaisberg hinauf und auf eine 150-km-Runde durchs romantische Salzburger Land, bevor am Schlusstag noch schnelle Runden auf dem Salzburgring bevorstehen.

Auto und Besatzung genießen das: die Suche nach den Hundertstel Sekunden auf den Sonderprüfungen, das übliche Fahren nach dem Roadbook, den Beifall der Fans. In jeder Pause stürzen sich die Betreuer der BMW Tradition auf den 328, putzen Scheiben, tanken nach, oder stülpen das putzige Verdeck über. Dann geht die Jagd weiter. Zeit, wie gesagt, ist eben relativ.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: