Jaguar XF:Kein Auto für den ersten Blick

Der neue Jaguar XF macht es Traditionalisten nicht leicht, ihn als typisches Produkt der Marke ins Herz zu schließen.

Jörg Reichle

Ian Callum ist ein unscheinbarer, freundlicher Mann. Und er ist mutig, denn er sagt Sätze wie diesen: "Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Jaguar traditionell ist." Oha, das kannte man bislang anders. Ob es ihn, den Designchef von Jaguar, denn wütend mache, tastet man sich fragend vor, dass manche den neuen XF spontan für einen Lexus halten? "No", sagt Ian Callum, aber man merkt ihm an, dass es ihn weniger schmerzt, wenn man auch einen Aston Martin zu erkennen glaubt. Dort war der Designer zuletzt beschäftigt.

Jaguar XF: Die Katze rennt: Die Form des neuen Jaguar XF ist nicht unumstritten.

Die Katze rennt: Die Form des neuen Jaguar XF ist nicht unumstritten.

(Foto: Foto: Jaguar)

Ein bisschen Lexus, eine Prise Aston Martin

Wo Tradition eine Marke derart im Griff hat wie bei Jaguar, bedarf es womöglich in der Tat radikaler Schnitte, um sich aus der schweren Retro-Welt eines S-Type zu befreien. "Die englische Kultur ist so voller Tradition", sagt Ian Callum, "dass wir geradezu gezwungen sind, Regeln zu brechen".

So gesehen, ist der neue Jaguar XF ein erklärbares Ergebnis. Aber auch ein optimales? Wir geben zu, dass uns selbst nach ausgedehnten Probefahrten in den französischen Seealpen noch immer nicht ganz klar ist, ob der neue XF nun formal überzeugt. Oder ob man ihn gar in den Rang eines typischen Jaguar erheben möchte. Noch irritieren die Scheinwerfer, auch die Proportionen, die den Fahrzeugkörper etwas schmal und hoch wirken lassen. Auf der anderen Seite stehen seine unbestreitbare Eleganz, die gut portionierte Dosis Dynamik. Und sein darstellerisches Talent für Luxus ohne Protz. Man kann sich sehen lassen im XF, keine Frage.

Kein Auto für den ersten Blick

Und man reist gediegen. Das kommt einmal daher, dass er ein richtig großes Auto geworden ist. Unter der coupéartig geschwungenen Silhouette, die sich über stolze 4,96 Meter erstreckt, sitzt man nicht nur hinterm Lenkrad in der ersten Reihe. Man lässt sich vom milden Geruch des weitflächig ausgespannten Leders benebeln und ist nicht einmal irritiert, dass die üppig-klassische Jaguar-Holzlandschaft einem geradlinigen, alugekühlten Ensemble gewichen ist, phosphorblau illuminiert und präzise verarbeitet. So viel Jaguar muss sein.

Jaguar XF: Von den vertrauten Elementen der Marke Jaguar ist praktisch nur der Grill übriggeblieben.

Von den vertrauten Elementen der Marke Jaguar ist praktisch nur der Grill übriggeblieben.

(Foto: Foto: Jaguar)

Die Zeit der Berührungssensoren ist gekommen

Dass auch die alte Schaltkulisse weichen musste, in der der Automatik-Wählhebel seit jeher schabend ein langes "U" zu durchmessen hatte, werden bloß Snobs beklagen. Jetzt lassen sich die Automatik-Stufen von einem Drehschalter einlegen, dessen Format eingefleischte BMW-Fahrer an ihren iDrive-Knopf erinnern wird.

Und es ist bei Jaguar die Zeit der Berührungssensoren angebrochen. So wird das Handschuhfach geöffnet oder der Innenraum beleuchtet. Oder die Infotainment-Zentrale mit Kommandos versorgt. Ein Fortschritt? Nun ja. Wir gehören eben zu der etwas überholten Generation, die sich mehr über umklappbare Rücksitze freut, die den ohnehin riesigen Kofferraum (540 Liter) auf 960 Liter erweitern, als über die Schnittstellen-Offerte für Bluetooth und iPod und USB und so. Auch, dass die Ziffern auf dem Tacho weniger modisch wären und dafür besser ablesbar, ist im Büchlein der Verbesserungswünsche vermerkt.

Auf den schmalen Gebirgssträßchen hoch überm Mittelmeer, auf denen sehr alte Männer in sehr kleinen Autos ein trotziges Regiment führen, bewegt sich der XF dafür mit der Trittsicherheit eines Freeclimbers und der Leichtigkeit einer Elfe. Das mit viel Leichtmetall angereicherte Fahrwerk hat seine Talente schon im XK bewiesen. Und der feine Motor dreht aus den Niederungen tiefer Drehzahlen zum Überholen kräftig und seidenweich heraus.

Kein Auto für den ersten Blick

Dabei lässt er den schönsten Bass erklingen, zu dem acht Zylinder fähig sind. Der 4,2-Liter bietet wohlerzogene 219 kW (298 PS), 411 Nm Drehmoment und 250 km/h Spitze - elektronisch abgeregelt und natürlich nicht in den Bergen. 11,1 Liter Super gibt Jaguar als Durchschnittsverbrauch an, aber wer das in der harten Wirklichkeit eines durstigen V8 je schafft, wird vermutlich von der Queen zum Ritter des Peak of Oil geschlagen. In jedem Fall muss man für den normalen 4,2-Liter dem Jaguar-Händler mindestens 62.180 Euro überweisen. Wer sich mehr leisten kann, darf sich am V8 Kompressor erfreuen - der jetzt V8 SV heißt - und bekommt für 80.820 Euro 306 kW (416 PS), dampfhammermäßige 560 Newtonmeter, aber kein km/h mehr geboten. Dafür ein adaptives Dämpfersystem und schicke 20-Zöller.

Unser Tipp: Sechs Zylinder reichen auch

Die Weisheit des Alters und die Bescheidenheit des intelligenten Genießers weisen freilich eher die Preisliste hinab. Dort warten noch ein Dreiliter V6 (175kW/238 PS, 293 Nm, 237 km/h) für 54.380 Euro und ein exzellenter 2,7-Liter-Diesel, dessen sechs Zylinder mit mäßigem Durst 152 kW (207 PS) rbeiten und dabei auch sonst besonders feine Manieren an den Tag legen. Damit fängt das Vergnügen, XF zu fahren, bei 49.370 Euro an. Zum Vergleich: Ein "nackter" BMW 525d mit 197 PS kostet 42.000 Euro. Dafür fährt man dann aber keinen Jaguar.

Und der fährt wunderbar leise. Auf dem langen Weg aus den schroffen Höhen des Esterel-Gebirges hinab zur Côte d'Azur zeigt sich der XF noch einmal von seiner besten Seite. In den Kurven bleibt er so neutral, als hätte man ihn in der Schweiz gebaut. Die Bremsen verzögern mit dem stoischen Ernst eines britischen Offiziers und die Sechs-Gang-Automatik fügt sich willig den Anweisungen, die der Fahrer per Lenkrad-Paddel erteilt.

Um am Ende aber doch noch einmal besagtes Büchlein aufzuschlagen: Die Lenkung dürfte mitteilsamer sein und die Sitze konturierter. An die Form gewöhnen wir uns dann schon.

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