Jaguar XE 20d im Test:Fast perfekte Rundum-Verwöhnlimousine

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Der Jaguar XE kostet mit dem 180-PS-Diesel mindestens 36 500 Euro. (Foto: STG)

Mit dem XE bietet Jaguar endlich einen BMW-3er- und Audi-A4-Konkurrenten an. Das Fahren macht Freude, aber wo ist das Jaguarhafte?

Von Jörg Reichle

Preisfrage: Wie viele BMW Dreier stehen abends in Ihrer Wohnstraße? Und wie viele Audi A4? Und wie viele C-Klassen? Eben, vermutlich ziemlich viele. Da könnte man leicht auf den Wunsch nach Abwechslung kommen. Andererseits: So viel gab es da bislang nicht. Volvo vielleicht, oder neuerdings sogar Škoda. Letzteres haben aber nur Menschen auf dem Schirm, denen das Image absolut einerlei ist. Ansonsten fallen uns nur absolute Exoten ein. Und Jaguar? Tolle Marke, große Geschichte, aber nichts im Angebot in dieser Größe. Das war zumindest bis jetzt so.

Mit dem neuen XE nehmen die Briten unter indischem Dach den Fehdehandschuh auf und sagen der BMWAudiMercedes-Phalanx an, dass man nicht nur spielen will. Das fängt beim Preis an. Der von uns gefahrene XE mit dem 180-PS-Zweiliter-Diesel fängt mit 36 500 Euro an. Zum Vergleich: Den BMW 320d mit 190 PS gibt es ab 37 250, den Audi A4 2.0 TDI mit 190 PS und Siebengang-STronic ab 42 250 Euro und den Mercedes C 220d für mindestens 38 824 Euro. Preislich geht es also eng zu in der Dienstwagenklasse, die Frage ist, was der Jaguar zu bieten hat.

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Rückansicht mit audihaften Zügen

Eine ganze Menge, um das vorwegzunehmen. Zum Beispiel sieht er ziemlich gut aus, zumindest von vorn mit seinem typischen Jaguar-Gesicht. Beliebiger scheint uns die Rückansicht, die eher audihafte Züge trägt, was ja auch keine wirkliche Beleidigung ist. Auf alle Fälle ist der XE ein Hingucker und zumal jetzt, wo der neue kleine "Jag" noch eine Ausnahmeerscheinung auf den Straßen ist, wird man nicht selten von Autofans angesprochen. Man hört das häufiger: "Sieht ja gut aus. Fährt er sich auch so?"

Tut er. Wie gut, das ist vielleicht die größte Überraschung am XE. Verblüffend leicht fühlt er sich an, direkt, unmittelbar. Das liegt mit an dem exzessiven Einsatz von Aluminium für die Karosserie. Jedenfalls folgt der XE der elektromechanischen Lenkung aufs Wort und fast schon intuitiv. Das adaptive Fahrwerk tut für 1100 Euro Aufpreis das seine, um echtes Fahrvergnügen zu bieten.

Und natürlich der Zweiliter-Diesel, der erfreulich gut bei Kräften ist und, dirigiert von der sauber arbeitenden Achtgang-Automatik, fein am Gas hängt. Was Überholen zum Sekundenvorgang degradiert. Und selbst bei zügigem Vorwärtskommen noch einen halbwegs günstigen Verbrauch nach sich zieht. Dass der Selbstzünder, der zur Einhaltung der Emissionswerte auf die Zugabe von AdBlue setzt, kein ausgesprochen leiser Geselle ist, mag man ihm nachsehen. Im Leerlauf und bei niedrigen Drehzahlen stört es aber doch, schließlich sitzt man in einem Jaguar. Und der hat nun mal geschmeidig zu sein und auch so zu klingen.

Apropos sitzen. Der XE meint es gut mit seinen Passagieren: schönes Ambiente, gelungene Optik. Was Materialien und Verarbeitung angeht, ist der Jaguar auf Augenhöhe mit BMW, zu Mercedes und vor allem Audi hält er aber noch respektvoll Distanz. Und die Bedienung des Infotainment-Angebots braucht Eingewöhnung, bevor alles wie am Schnürchen klappen kann.

Aber weil wir schon mal beim Meckern sind: Nach hinten - Tribut an die coupéhafte Silhouette -, ist die Sicht bescheiden und im Fond sollte man als Erwachsener tunlichst den Kopf und Knie einziehen, wenn Letzteres anatomisch überhaupt möglich ist. Ziemlich eng ist es jedenfalls. Und auch der Kofferraum hat nicht gerade Fernreiseformat.

Etwas mehr Reifezeit hätte ihm gutgetan

Dafür bietet die Aufpreisliste, ganz nach deutschem Beispiel, so ziemlich alles, was man denken kann - von den Premium-Fußmatten für 120 Euro über die konfigurierbare Ambiente-Innenraumbeleuchtung bis hin zur erweiterten - übrigens bestens funktionierenden - Einparkhilfe mit Surround-Kamera für satte 2500 Euro. Hinzu kommen diverse Komfortpakete, ein 380 Watt-Soundsystem oder schwarz lackierte 19-Zöller. Alles zusammen und noch mehr macht aus dem XE eine Rundum-Verwöhnlimousine mit neuzeitlicher Konnektivität in Tateinheit mit diversen Assistenten, die das Kleinhirn des Fahrers unterstützen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass dem bisweilen unmotiviert auf- und abblendenden Fernlichtassistenten noch etwas Reifezeit zu gönnen wäre.

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Nun mag man schlussendlich die Frage stellen, wo das Jaguarhafte im neuen Jaguar bleibt und ob er nicht am Ende zum Spiegelbild der perfektionssüchtigen Deutschmarken geworden ist in seinem an sich löblichen Bemühen, in deren Spuren zu treten. Eine schwere Frage, zumal das Eigenwillige, eben nicht Perfekte vom Publikum heute schnell mal hohnlachend mit Kaufverweigerung bestraft wird. Charakter statt Vollkommenheit, ist es nicht das, was wir an automobilen Klassikern so lieben? Und war es nicht das, was eine Marke wie Jaguar schon immer reizvoll machte? Tempi passati, werden wir seufzen, dahin, dahin. Es scheint eine gewisse Tragik darin zu liegen, dass alles Streben nach dem Fehlerlosen am Ende zum Gleichmaß der Verwechselbarkeit führt.

Dazu passt, dass wir abschließend nach einem Kombi fragen, nur, weil alle Welt angeblich einen will. Nein, heißt es bei Jaguar und man verweist auf den größeren XF. Aber wer weiß, vielleicht ist es ja gerade diese Weigerung, die das Jaguarhafte in die neue Zeit hinüberrettet. Ein bisschen wenigstens.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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