Jaguar E-Type:Sechs Katzen und das zweite Leben

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Aus einer Schnapsidee geboren: Jaguar baut sechs der legendären E-Type Lightweight nach. (Foto: Jaguar)
  • "Wie jede gute Geschichte beginnt auch diese in einem Pub", sagt der Schotte Ian Callum, Chef-Designer bei Jaguar.
  • Seine Idee: Sechs E-Type Lightweight nachzubauen, da aus den 1960er Jahren noch einige Chassisnummern überzählig waren.
  • Die sechs so entstandenen fabrikneuen E-Type Lightweight wurden nicht einfach zum Verkauf ausgeschrieben. Kunden wurden gezielt angesprochen, weil sie Rallyes und Rennen fahren.
  • Deshalb wurden bei den Nachbauten, die für eine Million Pfund verkauft werden, die Bestimmungen der FIA für Oldtimer-Rennen genauestens beachtet.

Von Dirk Kunde

Es ist eine Form für die Ewigkeit, Wölbungen voller Kraft und zeitloser Eleganz: Die überlange Motorhaube mit ihrem weiß umrandeten Lüftungsschlund, der wirkt wie ein sinnlich geöffneter Mund, geht nach kurzem Intermezzo in ein hohes, flach gerundetes Heck über. Fast widerwillig, wie ein übertrainierter Muskel, wölbt sich über dem knapp geschnittenen Cockpit ein kuppelförmiges Dach. Keine Frage: Der Jaguar E-Type, gezeichnet von Malcolm Sayer, ist schlicht das Urbild aller Sportwagen.

Und Schönheit altert nicht. 1961 hat ihn Jaguar auf dem Genfer Autosalon vorgestellt, schon 1963 folgte die Rennversion, die vor allem gegen die überlegenen Ferrari 250 GTO endlich einen Stich machen sollte. Die räumten in diesen Jahren so gut wie alle Trophäen ab, auch in Le Mans. Doch um dagegenzuhalten, war der E-Type mit seiner Stahlkarosserie zu schwer. Eine Hülle aus Aluminium brachte die Lösung. Am Ende war der E-Type fast 300 Kilogramm leichter als der Serien-Roadster.

340 PS leistet der Sechszylinder, doch es gibt weder Servolenkung noch eine Traktionskontrolle

Was seinen Beinamen Lightweight erklärt. Seine rätselhafte Vorgeschichte eher nicht. Denn aus unerfindlichen Gründen wurden seinerzeit statt der geplanten 18 nur zwölf der silbrig glänzenden Boliden gebaut. Damit blieben gut fünfzig Jahre lang sechs Fahrgestellnummern ungenutzt. Bis heute. Nun entstehen unter Regie von Jaguar Heritage, die zur Jaguar Landrover Special Operations gehört, die fehlenden Lightweight neu - mit zeitgenössischer Technik.

Zeit, sich ins hautenge Cockpit und den mit rotem Leder überzogenen Fahrersitz zu zwängen. Silbriges Alu, wohin das Auge blickt. Das Holzlenkrad, wie es sich gehört auf der rechten Seite, steht aufrecht, bedrohlich nahe vor der Brust. Über dem Kopf wölbt sich der Überrollbügel, die Hosenträgergurte nehmen fast den Atem. Druck auf den Anlasserknopf, die beinharte Kupplung vorsichtig kommen lassen. Gar nicht so einfach. In der Ausfahrt der Boxengasse stirbt der Motor prompt ab. Der Jaguar-Testfahrer auf dem Beifahrersitz bleibt gelassen. "Mehr Gas geben", brüllt er gegen den Motor an. Der ist noch kalt und es geht leicht bergauf. Erster Gang, zweiter, weiter beschleunigen, 340 PS saugen die Rennstrecke unter sich weg.

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Für eine Million Pfund wird der Lightweight demnächst an seinen neuen Besitzer übergeben. Behutsamer Umgang ist also angesagt. Hochschalten in den dritten Gang. Die erste Kurve kommt in Sicht, bremsen. "Härter treten", ruft der Beifahrer gegen den Lärm. Der Wagen hat weder Bremskraftverstärker noch Servolenkung oder Traktionskontrolle, schließlich ist der 280 km/h schnelle Zweisitzer technisch auf dem Stand der Originale. Der 3,9 Liter basierte auf dem Triebwerk, mit dem der D-Type 1957 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann. Die heute eingesetzten Sechszylinder, die ihre enorme Kraft bei 6500 Umdrehungen über ein Viergang-Getriebe an die Hinterachse übertragen, stammen von Crosthwaite & Gardiner, einem Experten für historischen Motorsport, bei dem unter anderem auch Audi seine Silberpfeile restaurieren lässt.

Nur 1046 Kilogramm wiegt der moderne Lightweight, gerade mal gut 100 Kilo mehr als das historische Vorbild, doch ihn am Bremspunkt zu verzögern und mit dem großen Holzlenkrad sauber durch die Kurve zu bekommen, erfordert Übung. Dafür reichen die fünf Runden nicht aus, die Jaguar zugesteht. Doch es ist genug, um den heißen Atem des Mythos zu inhalieren.

Den spürt auch der siebenjährige Ian Callum, als er den E-Type in den Sechzigern erstmals in einem Magazin sieht. Sein Großvater nimmt ihn mit zu einem Jaguar-Händler in Edinburgh, wo er den Sportwagen aus nächster Nähe bestaunen darf. "Das Auto ist pure Geometrie mit seinen strikten Linien", schwärmt der heute 60-Jährige. Der Schotte Callum ist Chef-Designer bei Jaguar, zuvor war er für Ford und Aston Martin tätig. Jetzt steht er neben einem Aluminium-Bauteil in der Fertigung in Whitley bei Coventry und erzählt: "Wie jede gute Geschichte beginnt auch diese in einem Pub." Mit einem Kollegen sitzt er 2013 beim Bier und überlegt, was man Außergewöhnliches schaffen könne. Seitdem der indische Mischkonzern Tata bei Jaguar-Landrover das Sagen hat, geht es wirtschaftlich bergauf. Und die Briten dürfen wieder ihre Historie pflegen.

"Diese Autos sollen nicht in Garagen verschwinden", sagt Jaguar-Designchef Ian Callum

Darum kommen die beiden Männer auf die Geschichte mit den überzähligen Chassisnummern. Das handschriftliche Produktionsbuch verzeichnet am 19. Februar 1963 zwölf Ziffern, hinter denen Farbe, Motordaten und Namen der Käufer stehen. Die Zeilen hinter den Chassisnummern 850670 bis 850675 sind leer. Callum erhält grünes Licht für seine Schnapsidee. Doch sein Team kommt nicht weit, die Fertigungsunterlagen von damals sind lückenhaft. Design-Ingenieur Chris Burdett rollt einen alten E-Type mit Stahlkarosserie in den 3-D-Scanner. "Heute werden Autos symmetrisch gebaut, somit haben wir die Scan-Werte einer Seite genommen und gespiegelt. Doch damit beginnen die Herausforderungen", sagt der 31-Jährige.

Die Autos damals waren keineswegs symmetrisch. Vor allem an der Windschutzscheibe muss Burdett zaubern, bis alles passt. Damit bleibt das Problem in der Familie, könnte man sagen, denn Burdetts Großvater Cyril hat einst die Scheiben beim E-Type eingebaut. Der Ingenieur berichtet, dass alle seine Verwandten zusammengenommen auf 170 Jahre Betriebszugehörigkeit kommen. Tradition ist hier alles, Coventry war einst das Herz der britischen Autoindustrie.

Dieses Erbe pflegt der neu gegründete Jaguar-Geschäftsbereich Special Vehicle Operations. Die Abteilung bietet Oldtimer-Besitzern Ersatzteile und "Tageskuren" im historischen Firmensitz in der Browns Lane an. Hier hat man die sechs E-Type Lightweight nicht einfach zum Verkauf ausgeschrieben. Die Kunden wurden gezielt angesprochen, weil sie Rallyes und Rennen fahren. "Diese Autos sollen nicht in Garagen verschwinden", sagt Callum. Die Liebe zum Detail soll jeder sehen. So wurden die Bestimmungen der FIA für Oldtimer-Rennen genauestens beachtet. Öffnet man den Kofferraumdeckel, sieht man altmodische Kabelbinder und den Originalen nachempfundene Spanngurte, die den 150 Liter fassenden Tank fixieren. Die einzige Modernisierung ist der Überrollkäfig in der Fahrerkabine - auch eine FIA-Regel.

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Aus einer Schnapsidee geboren: Jaguar baut einige der legendären E-Type Lightweight nach und verkauft sie für eine Million Pfund.

Zurück in der Boxengasse schweift der Blick ein letztes Mal über die Motorhaube, die enge Fahrerkabine und bleibt wieder am Tankdeckel hängen. Durch ein simples Loch im Kofferraumdeckel ragt der überdimensionierte Verschluss. Den hatte man aus der Bus-Fertigung übernommen. So durfte man noch improvisieren damals.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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