Internet im Auto:Computer auf Rädern dauert noch

Das Internet kommt unaufhaltsam ins Auto - bis sich dadurch die Sicherheit verbessert, wird es aber noch dauern.

Helmut Martin-Jung

Die genervte Mutter ruft: "Leiser!", dann: "Noch leiser!" Und tatsächlich, Stück für Stück nimmt das Autoradio selbständig die Lautstärke des Rap-Songs zurück. Die Kinder haben ihn während der Fahrt übers Internet heruntergeladen und dann per Funk ins Unterhaltungssystem des Autos eingespeist.

Was ein bisschen so klingt, als hätte der Knight Rider aus der Achtzigerjahre-Serie seinen futuristischen Wagen Frau und Kindern überlassen, ist bald schon Realität in der Mittelklasse: 2012 wird Ford im Focus auch in Deutschland die Sprachsteuerung Sync anbieten, inklusive Internetzugang für bis zu fünf Geräte.

Wenn die gesamte Branche wie auf der kürzlich zu Ende gegangenen IAA in Frankfurt von einem Paradigmenwechsel spricht, dann ist damit aber nicht bloß gemeint, dass die Kunden künftig "ihr digitales Leben ins Auto mitnehmen" können, wie der deutsche Ford-Chef Bernhard Mattes das ausdrückt. Autos mutieren auch deshalb zu rollenden Computern, weil es anders gar nicht mehr zu schaffen ist, die persönliche Mobilität komfortabler, ressourcenschonender und vor allem sicherer zu machen.

"Autos", fordert Matthias Wissmann, "müssen intelligenter werden." Und natürlich hat der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie dabei im Auge, dass die für Deutschland so wichtige Branche ihre Position als Technologieführer auch im Zeitalter der Bits und Bytes behaupten solle: "Wir können nicht in alten Schuhen weiterlatschen", sagt er, "wir müssen das Auto ständig neu erfinden."

In Zukunft werde es dabei mehr und mehr um die Kommunikation von Autos untereinander gehen wie auch mit Infrastruktureinrichtungen - mit Straßen also, mit Kreuzungen, mit Ampeln, die mitdenken. Und um Fragen wie diese: Hat es möglicherweise hinter der nächsten Kurve gekracht?

Doch während niemand bestreitet, dass es Leben retten könnte, Antworten auf solche Fragen zu finden - von der Praxis ist das alles noch weit entfernt. Zum einen, weil Geld fehlt, um die benötigte Infrastruktur bereitzustellen - die Vielzahl an Sensoren, Sendern und Empfängern also, die Verkehrsinformationen erfassen und weitergeben sollen.

Rechtliche Probleme sind völlig ungelöst

"Wenn nicht einmal mehr die Schlaglöcher beseitigt werden, fehlt mir der Glaube, dass massiv in die Infrastruktur investiert wird", sagt Thomas Form, der bei VW den Forschungsbereich Elektronik und Fahrzeug leitet. Form bezweifelt auch, dass die neue Mobilfunktechnik LTE tatsächlich so geringe Reaktionszeiten hat, wie man sie für sehr zeitkritische Aufgaben braucht, beispielsweise, um vor einem herannahenden Radler zu warnen. Und das LTE-Netz wird zwar gerade aufgebaut, ob die Technik dann aber auch so lange in Betrieb bleibt, wie Autos halten, ist ungewiss.

Selbst im Bereich der Sensoren ist die Entwicklung nicht abgeschlossen: "Die heutigen Sensoren haben Stärken und Schwächen", sagt Form, "ein Radar zum Beispiel sieht nur eine Punktewolke." Erst wenn man es mit anderen Sensoren koppelt und aus diesen Informationen ein Umfeldmodell errechnet, können halbwegs sinnvolle Aussagen getroffen werden. Insgesamt hält VW-Mann Form die Technik für "noch nicht stabil genug und nicht bezahlbar."

Außerdem, fügt er hinzu, seien die rechtlichen Probleme in keiner Weise gelöst. Wer etwa zahlt, wenn ein System zur Kollisionsvermeidung das Auto automatisch abbremst und ein anderer Wagen hinten auffährt? Oder wenn womöglich der Radfahrer, den das System durch die Vollbremsung vor Schaden bewahrte, gar nichts gemerkt hat und einfach weitergefahren ist? Beispiele für solche offenen Fragen gibt es zuhauf.

Dass die vielbeschworene Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Communication noch am Anfang steht, wird auch klar, wenn man sich ansieht, was der Bitkom, der Verband der deutschen Informationstechnik-Unternehmen, bemängelt. Statt lauter "Splitterlösungen" einzuführen müsse eine "Bundesinitiative zur Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Ländern, Verkehrsverbünden und -regionen" gestartet werden, fordert der Verband.

Und noch sei die Frage unbeantwortet, wer für den dauerhaften Betrieb einer solchen Plattform zuständig sein soll, die alle Telematik-Informationen bündelt und zur Verfügung stellt. "Die bestehenden Verwaltungen", glaubt man beim Bitkom jedenfalls, "erscheinen hierfür zu starr." Zu überlegen sei daher der "Aufbau einer neutral verantwortlichen technisch-wissenschaftlichen Institution".

Diese müsste dann auch dafür Sorge tragen - ein weiteres ungelöstes Problemfeld -, dass historische Daten, Echtzeitdaten und Prognosedaten aus dem In- und Ausland zur Verfügung stehen und zwar auch für Bus und Bahn.

Verkehrsprobleme können nicht durch immer noch mehr Straßen und Autobahnen gelöst werden

Selbst den hartgesottensten Verfechtern individueller Mobilität ist nämlich mittlerweile klar geworden, dass die Verkehrsprobleme durch zunehmende Verstädterung - in 20 Jahren werden 60 Prozent der Weltbevölkerung in Großstädten leben - sich nicht durch immer noch mehr neue Stadtautobahnen lösen lässt, sondern nur durch Mobilitätskonzepte, die auch den Öffentlichen Nahverkehr einbeziehen. Willi Diez, Professor für Automobilwirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geislingen, fordert gar eine allgemeine Mobilitätskarte, mit der man je nach Bedarf ein Auto mieten oder S-Bahn fahren kann.

Bis solche weit ausgreifenden Projekte serienreif sind, wird Internet im Auto längst Standard sein - die Kunden verlangen danach. Weil die schnelllebige Internet- und Mobilfunktechnik dabei mit der Autoindustrie und deren langen Produktzyklen verheiratet werden muss, sind modulare Lösungen gefragt.

Bei Ford etwa hofft man, mit Software-Updates am Ball bleiben zu können. Audi dagegen arbeitet direkt mit Chipherstellern zusammen, um Platinen so zu normieren, dass sie komplett ausgetauscht werden können, wenn sich etwa der Prozessor nach einigen Jahren als zu lahm für neue Aufgaben erweisen sollte.

Als wichtigste Ziele hinter der Integration des Internets nennt Elmar Frickenstein von BMW Infotainment, Komfort und Sicherheit. Für alle drei Bereiche hält er "durchgängige Connectivity" für unabdingbar, ständige Verbindung mit dem Internet also. So sei beispielsweise die Nachfrage nach Musik über Interdienste "riesig", sagt Frickenstein, "ohne flächendeckende Netze gehen viele Funktionen aber nicht."

Das Auto, so sehen es auch Beratungsfirmen, werde selbst zum mobilen Gerät, zum Internet-Knotenpunkt, den man, wie in Daimler-Benz' Studie F125, über eine App für das iPad schon beim Frühstück für den Tag programmieren kann, zum Beispiel um Ziele ins Navigationssystem einzugeben, die Musik auszuwählen und festzulegen, welche Anrufe im Auto entgegengenommen werden.

Bei all den Informationen, die mit und in Autos künftig gesammelt werden, müssen die Hersteller auch darauf achten, dass Autos nicht zu rollenden Datenschleudern werden. Und dass die Mobiltechnik nicht für Attacken aus dem Internet genutzt werden können.

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