ICE-Notfallübung:So proben Rettungskräfte den ICE-Notfall

An Intercity Express ICE train of Deutsche Bahn AG is pictured on the new new rail line connecting Berlin and Munich in Goldinsthal near Erfurt

ICE statt Bummelzug: 29 Talbrücken und 22 Tunnel auf der jetzt fertiggestellten Teilstrecke von Erfurt nach Ebensfeld sorgen für die schnellen Zugfahrten.

(Foto: Reuters)

Weite Teile der Neubaustrecke Erfurt-Bamberg verlaufen im Tunnel. Rettungskräfte trainieren seit Monaten, wie sie Züge im Ernstfall evakuieren können.

Von Marco Völklein

Um kurz nach 13 Uhr bittet Timm Vogler noch mal kurz um Ruhe. Alle im Raum sollen auf den gleichen Stand gebracht werden. An mehreren Tischen sitzen die Vertreter von Feuerwehr und Rettungsdiensten, Verbindungsbeamte von Bundes- und Landespolizei, Fachleute des Technischen Hilfswerks. 65 Verletzte habe man versorgt und teilweise in Kliniken gebracht, sagt Vogler in den Raum. Zudem 27 unverletzte Passagiere aus dem Regionalzug betreut. Insgesamt 575 Helfer seien im Einsatz. Es ist ein Kraftakt für alle Beteiligten. Und auch wenn es sich nur um eine Übung handelt, alle hier sind hoch konzentriert, ganz vorne Einsatzleiter Timm Vogler, der Kreisbrandrat des Landkreises Lichtenfels.

Drei Stunden geht das nun schon so. Immer wieder tagt der Einsatzstab, immer wieder trifft er Entscheidungen. Gegen 10.20 Uhr ging in der gemeinsamen Leitstelle der Landkreise Coburg und Lichtenfels der Notruf ein: Ein Regionalzug ist im Bahntunnel Eierberge in der Nähe von Bad Staffelstein in Oberfranken havariert, zudem wird ein Feuer gemeldet. Mehr wissen die Einsatzkräfte zu diesem Zeitpunkt nicht. Wo genau steht der Zug im Tunnel? Wie umfangreich ist das Feuer? Das alles ist da noch völlig unklar. Und stellt damit eine besondere Herausforderung dar für Kreisbrandrat Vogler und die zahlreichen Helfer, die jetzt alarmiert werden.

Mehr als zehn Jahre hat die Deutsche Bahn an der Neubaustrecke von Erfurt nach Ebensfeld nördlich von Bamberg gebaut. 22 Tunnel wurden gegraben, 29 Brücken errichtet. Im Dezember soll die Neubaustrecke in Betrieb gehen, dann werden schnelle ICE-Sprinter mit Tempo 300 durch die Röhren rasen. Was aber passiert, wenn ein Zug in einem Tunnel in Brand gerät? Oder auf einer Talbrücke havariert, etwa über dem Froschgrundsee, gut 65 Meter über dem Wasser? "Wir müssen auf alles vorbereitet sein", sagt Stefan Zapf, Kreisbrandinspektor im Landkreis Coburg. Seit Jahren basteln Katastrophenschützer entlang der Neubaustrecke deshalb an Szenarien und Notfallplänen. Bei der Übung im Tunnel Eierberge wird nun geschaut, ob sie funktionieren. So wie bei anderen Übungen, die seit Monaten an den Bauwerken an der Strecke abgehalten werden und noch bis in den November hinein laufen. Mitte Oktober beispielsweise wird geprobt, wie ein Zug auf der Brücke über dem Froschgrundsee nahe des Städtchens Rödental evakuiert werden kann.

Es dauert etwas mehr als eine halbe Stunde, bis der havarierte Zug im Tunnel lokalisiert ist

Im Tunnel Eierberge geht es, wie bei vielen anderen auch, vor allem um eine Frage: Wo steht der Zug? Die Röhre ist knapp 3,8 Kilometer lang, sie hat zwei Portale sowie drei Notausgänge. Die Strategie der Retter: "Wir besetzen alle fünf Löcher", sagt Zapf. Erkundungstrupps suchen so von möglichst vielen Stellen aus die Röhre ab; hat ein Trupp den Zug lokalisiert, werden die Kräfte an den beiden nächstgelegenen Ausgängen gebündelt. Doch so simpel das in der Theorie klingt, so komplex ist es in der Praxis. Weite Strecken müssen zurückgelegt werden, teils abseits asphaltierter Straßen. Im Winter liegt mitunter Schnee, wenngleich die Katastrophenschützer der Bahn abgerungen haben, die bis zu acht Kilometer langen Rettungszufahrten insbesondere in den Höhenlagen des Thüringer Waldes stets schneefrei zu halten. Zudem sind im ländlich geprägten Raum die meisten Helfer ehrenamtlich tätig. All das bedeutet: Bis die Rettungsmaschinerie anläuft, braucht es seine Zeit.

107 Kilometer

lang ist die Neubaustrecke der Bahn von Erfurt nach Ebensfeld nördlich von Bamberg. Auf der Trasse können die schnellen ICE-Züge bis zu 300 Stundenkilometer erreichen und München mit Berlin in weniger als vier Stunden verbinden (Fahrzeit bislang: sechs Stunden). Weil die Trasse einmal quer durch den Thüringer Wald führt, ließen die Ingenieure 22 Tunnel mit einer Länge von 41 Kilometern errichten, zudem entstanden 29 Talbrücken mit einer Gesamtlänge von zwölf Kilometern. Die Inbetriebnahme ist zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember geplant.

Und nicht nur das: Mit ihrer Ausrüstung können viele kleine Landfeuerwehren gegen einen Tunnelbrand kaum etwas ausrichten. Die Bahn hat deshalb nach eigenen Angaben für "mehrere Millionen Euro" spezielle Rüstwagen zur Verfügung gestellt. Darin verstaut sind unter anderem Langzeitatemschutzgeräte, spezielle Rettungstücher für das Herausholen von Verletzten aus einem engen Zug sowie Wärmebildkameras, mit denen die Retter auch in einem dicht verqualmten Tunnel noch Verletzte aufspüren sollen. Einige Feuerwehrleute wurden für einwöchige Trainings an die International Fire Academy in der Schweiz geschickt, um in einem Tunnelsimulator die Einsatzkonzepte zu trainieren. Damit dies künftig heimatnah geprobt werden kann, sollen die Retter in der Thüringer Landesfeuerwehrschule eine neue Tunnelübungsanlage nutzen. Und auch wenn die Ehrenamtlichen gut gerüstet seien, so sei die zusätzliche Belastung mit Schulungen und Trainings für sie mittlerweile "hart an der Grenze", sagt Zapf.

Zumal die Bahn zwar den Feuerwehren zusätzliches Material gestellt hat; andere Hilfsorganisationen aber fühlen sich weniger gut gerüstet. So sei etwa die Zahl der in Oberfranken verfügbaren Rettungswägen und Notärzte im Ernstfall zwar gerade noch ausreichend, sagt Tobias Eismann vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Lichtenfels. An anderem aber mangele es, etwa an Schnelleinsatzgruppen, mit denen auch eine größere Anzahl von Verletzten behandelt und transportiert werden kann. "Die weiße Fraktion", sagt Eismann und meint damit diejenigen in der Helferkette, die sich nach der Rettung durch die Feuerwehr um die Versorgung der Verletzten kümmern - diese weiße Fraktion habe man bei der Beschaffung von zusätzlichem Material schlicht vergessen. Die Bahn weist den Vorwurf indes zurück: Das Rettungswesen sei Sache der Landkreise; wenn auf einer Autobahn bei einer Massenkarambolage geholfen werden müsse, dann sei das ebenfalls Aufgabe der Landkreise. Für Eismann ist jedenfalls klar: "Wir werden immer auf die Hilfe aus anderen Landkreisen zurückgreifen müssen."

Das gilt aber auch für die Feuerwehr: Denn damit Einsatzleiter Vogler an dem Tag alle "Löcher" entlang des Tunnels Eierberge besetzen kann, rollt so ziemlich alles an Feuerwehr an, was im Landkreis aufzubieten ist. Das heißt aber auch: Würde nun ein Industriebetrieb in Flammen aufgehen oder ein größerer Verkehrsunfall die Kräfte fordern, wäre eigentlich niemand da, um zu helfen. Deshalb werden parallel zu den heimischen Feuerwehren Helfer beispielsweise im benachbarten Thüringen alarmiert. Die rücken nach Oberfranken ein und halten sich dann für solche Notfälle bereit, erläutert Zapf. Aber auch das brauche eben eine gewisse Zeit.

Unten im Tunnel haben die Retter richtig zu schuften

Und so melden die ersten Retter im Tunnel tatsächlich erst um 10.56 Uhr, also gut eine halbe Stunde nach dem Eingang des Notrufs, wo sie den Zug entdeckt haben. Er steht zwischen zwei Rettungsschächten; in voller Montur und mit etwa 20 Kilogramm schweren Atemschutzgeräten auf dem Rücken eilen weitere Helfer herbei und die Treppenhäuser hinab. Und nur weil sich die örtliche CSU-Bundestagsabgeordnete dafür starkgemacht habe, habe die Bahn in den Rettungsschächten mit einer Tiefe zwischen 25 und 30 Metern Lastenaufzüge eingebaut, berichtet Zapf. Vorgeschrieben seien diese eigentlich erst ab einer Tiefe von mehr als 30 Metern.

Unten im Tunnel haben die Retter richtig zu schuften. Schon von Weitem sind Hilferufe zu hören, Auszubildende der Bundespolizei mimen die Verletzten. Disconebel behindert die Sicht. Ein erster Trupp ist noch über die Verletzten drübergestiegen und hat zunächst das Feuer in der Lok bekämpft. So soll verhindert werden, dass noch mehr Rauch entsteht, der die Verletzten vergiften könnte. Gegen 11.15 Uhr meldet der Löschtrupp: "Feuer aus!" Erst eine zweite und dritte Welle von weiteren Feuerwehrleuten mit Atemschutz holt die Opfer aus dem Zug, schafft sie mit Rollwägelchen zu den Notausgängen und über die Treppen ins Freie, wo sie an die Rettungsdienste, die weiße Fraktion, übergeben werden. Und die hat tatsächlich an einem Rettungsplatz zunächst Probleme, genügend Rettungswägen zu organisieren, um die Verletzten rasch abzutransportieren.

Am Ende wird Kreisbrandrat Vogler dennoch ein positives Resümee ziehen. Das Training der Helfer im Vorfeld habe sich ausgezahlt, die Übung habe "ohne Beanstandung geklappt". Zumal Feuerwehrleute wie auch Vertreter der Deutschen Bahn betonen, dass ein Zugbrand in einem Tunnel ohnehin ein Ereignis sei, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht eintreten werde - unter anderem, weil in den Zügen nur schwer entflammbare Materialen verbaut würden. Und dennoch gilt wohl auch, was ein erschöpfter, verschwitzter Feuerwehrmann am Nachmittag kurz nach der Übung grübelnd sagt: "Eigentlich sollte man täglich beten, dass so was nie wirklich passiert."

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