Hyundai / Kia:Gefährlich nah

Südkoreas Autobauer Hyundai-Kia wurde lange unterschätzt. Nun pirscht er sich an VW und Toyota heran - schnell, flexibel, global.

Thomas Fromm und Christoph Neidhardt

Das vertrauliche Rundschreiben an die Führungskräfte hatte es in sich. Volkswagen sei inzwischen vom Jäger zum Gejagten geworden - vor allem der koreanische Hersteller Hyundai agiere als "starke neue Kraft in vielen Märkten", schrieb VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch seinen Leuten.

Konzernchef Martin Winterkorn warnte dazu, die "globalisierte Wirtschaftswelt und das Automobilgeschäft" seien "unberechenbar geworden". Und er mahnte: "Das ist eine neue Situation für uns, und darauf müssen wir uns einstellen."

Bislang klang der Plan, den die Konzernspitze ihren Mitarbeitern vorgab, einfach: Bis 2018 wollen die Wolfsburger, bislang Nummer drei auf der Weltrangliste, über zehn Millionen Fahrzeuge verkaufen, an General Motors vorbeiziehen und Toyota vom Thron des Marktführers stoßen.

Doch die Konzernstrategen hatten ihre Rechnung lange ohne ein Unternehmen gemacht, das bis vor kurzem kaum jemand auf der Liste hatte: den weltweit fünftgrößten Autobauer Hyundai, zu dem auch Kia gehört.

Denn lange Zeit galten die Koreaner, die 1967 mit dem Lizenzbau eines Ford Cortina begannen, als die unscheinbaren Billiganbieter der Szene. Wie schon die Japaner setzten auch sie zunächst auf aggressive Kampfpreise. So stieg der Hersteller, der rund die Hälfte des koreanischen Marktes kontrolliert, in kurzer Zeit zu einem gefährlichen Wettbewerber in Europa und den USA auf.

Bei der Automesse in Detroit ließ der Konzern keinen Zweifel daran, dass man sich mit der Rolle des Billigkoreaners nicht mehr zufrieden geben will. Von wegen koreanische Reisschüsseln: Hyundai wagt sich nun mit Fünf-Meter-Limousinen ins Premium-Fach vor und attackiert dort Audi, BMW und Mercedes. Die Koreaner haben auf Angriff geschaltet: Sie setzen auf Qualität und Design - und greifen auf diesem Gebiet VW und Toyota frontal an. Nicht zufällig arbeitet der Ex-Audi-Designer Peter Schreyer heute bei den Koreanern.

"Bulldozer" Chung treibt an

Dabei sind es nicht nur die großen Pläne für 2011, die die Konkurrenz aufschrecken. Es war auch die Dramaturgie, mit der der Konzern sie vor einigen Wochen verkündete. Vorstandschef Chung Mong-Koo saß unter der Fahne von Südkorea - links das Logo von Hyundai, rechts das Kia-Emblem -, als er in seiner Neujahrsansprache bekanntgab, der Konzern wolle 2011 über 6,3 Millionen Fahrzeuge verkaufen.

Autoabsatz 2011

Autoabsatz 2011 Autoabsatz 2011

(Foto: SZ-Grafik)

Eine unverhohlene Drohung, denn der Hersteller dürfte den großen drei Toyota, GM und VW damit schon bald gefährlich eng auf die Pelle rücken.

Schon im vergangenen Jahr peitschte Hyundai den weltweiten Absatz um ganze 24 Prozent auf 5,7 Millionen Autos; schon 2009 war der Absatz rasant nach oben geklettert. Europäer, Amerikaner und Japaner reiben sich die Augen: Keiner wächst so schnell wie die Koreaner.

Vor zehn Jahren waren sie noch die Nummer zehn weltweit, vor drei Jahren die Nummer acht, vor zwei Jahren rückte der Konzern an die fünfte Stelle vor. Während die US-Konkurrenz in den letzten zwei Jahren Staatshilfe zum Überleben brauchte und Branchenführer Toyota Milliarden-Verluste einfuhr, verdiente Hyundai Geld und legte stetig zu.

Allein in Deutschland verkauften die Asiaten 2010 74.387 Autos, Marktanteil: 2,55 Prozent. Immerhin: Nach Toyota sind sie inzwischen der zweitgrößte Asiat auf dem schwierigen deutschen Automarkt. Bei der Automesse in Detroit ließ sich das Verhältnis zwischen Toyota und Hyundai besonders gut beobachten: hier der durch seine Pannenserie gebeutelte Weltmarktführer Toyota, der sich betont bescheiden gab. Daneben die vor Selbstbewusstsein strotzenden Hyundai-Manager an einem überfüllten Messestand, den jeder sehen wollte.

Der, der den Konzern an die Spitze führen soll, ist schon 72 Jahre alt. Chung, genannt "der Bulldozer", ist Hyundai. Als ihm ein Berufungsgericht im Herbst 2007 eine dreijährige Gefängnisstrafe wegen Unterschlagung und Bestechung erließ, war die Begründung interessant. Der Schaden für Südkoreas Wirtschaft sei zu groß, wenn er drei Jahre im Gefängnis sitze, statt Hyundai zu leiten, hieß es.

Toyota ließ man abblitzen

Chung treibt seine Leute an. Immer schneller, flexibler, globaler. Es sind die Details, die zeigen, dass Chung nichts dem Zufall überlässt. Auf einer Testanlage in Hyundais Forschungszentrum Namyang stehen Straßenschilder wie "Belgische Straße". 34 spezielle Beläge sollen die Straßenverhältnisse in den einzelnen Märkten nachbilden, um die Federungen abzustimmen. Die "belgische Straße" ist eine Piste aus Kopfsteinpflaster.

Hyundai-intern nenne man diese Verbindung von globalem und lokalem Denken Glocalisation, sagt Oles Gadacz, jahrelang Chef der internationalen PR-Abteilung bei Hyundai. Glocalisation, das bedeutet nicht nur der richtige Straßenbelag bei Tests. Dazu gehören neben den Fabriken in aller Welt auch Design-Studios in Rüsselsheim und Kalifornien.

Mit Spannung und Unbehagen verfolgen westliche und japanische Autobosse, wie der Konzern mit immer wieder neuen, unorthodoxen Methoden seinen Absatz befeuert. Im Hyundai-Hauptquartier im Stadtteil Yang-jae im Süden von Seoul erzählt man sich noch heute, wie man nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers jenen US-Kunden entgegenkam, die Angst um ihren Job hatten. Wer einen Hyundai auf Raten kaufte und danach seine Arbeit verlor, konnte den Wagen im ersten Jahr ohne Verluste zurückgeben. Eine kostenlose Versicherung gegen Schäden durch die Wirtschaftskrise - eine Art neue Vertriebsstrategie für schwierige Zeiten. Und sie funktionierte. Hyundai und Kia erhöhten den US-Marktanteil in einem Jahr von 4,5 auf 6,2 Prozent.

"Wir sind halt flexibler", kommentierte Strategie-Planer Yoon Mong Hyun die schnelle Einführung der Versicherung. Schon nach den ersten Krisensignalen habe Hyundai vor allem auf kleinere Fahrzeuge gesetzt. Eine neue Fabrik im US-Bundesstaat Alabama musste über Nacht von Sechs- auf Vierzylinder-Motoren umstellen.

Inzwischen können es sich die Aufsteiger sogar leisten, Avancen der ganz Großen abzulehnen. In Seoul ist von einer kuriosen Begebenheit die Rede: Der pannengeplagte Hersteller Toyota soll sich mit der Bitte an Hyundai gewandt haben, bei der Qualitätskontrolle zusammenzuarbeiten. Hyundai lehnte dankend ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: