Hinter den Kulissen der TV-Serie:Im Namen der Schlange

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Schüsse, Explosionen und Massenkarambolagen ohne Ende: Seit 20 Jahren läuft die Action-Serie "Alarm für Cobra 11 - Die Autobahnpolizei" im deutschen Fernsehen. Ein Besuch am Set.

Von Steve Przybilla

Den Gästen in der Hotel-Lobby hat niemand Bescheid gesagt. Ängstlich wandern ihre Blicke zu den Muskelprotzen, die sich gegenseitig mit Pistole in der Hand fotografieren. Türsteher? Bodyguards? Terroristen? Nein, flüstert der Geschäftsmann an der Rezeption, dafür schauten sie viel zu fröhlich drein. Oder doch? Einer der Muskelmänner löst die Spannung schließlich auf. "Keine Sorge", ruft er durch die Lobby, "wir machen nur ein paar Bewerbungsfotos. Die Location ist wirklich gut."

Die Männer sind Komparsen in der Serie "Alarm für Cobra 11 - Die Autobahnpolizei". Wen sie genau verkörpern, darf aus Rücksicht auf die Handlung nicht verraten werden. Wer die Actionserie kennt, weiß aber, dass hier von russischer Mafia bis NSA so ziemlich alles möglich ist. 20 Jahre läuft "Alarm für Cobra 11" nun schon zur Primetime auf RTL. Die Serie dreht sich um zwei Autobahnpolizisten, die gerne auch jenseits der Straße ermitteln. "Ihr Revier ist die Autobahn. Ihre Gegner: extrem schnell und gefährlich", heißt es im Vorspann. Die darauf folgenden 45 Minuten verlaufen immer nach demselben Muster: Schüsse, Explosionen, Massenkarambolagen. Und natürlich ein Happy End.

Das Leben am Set besteht zum großen Teil aus Warten, obwohl ständig etwas in die Luft fliegt

An diesem Morgen dreht das Team in einem Hotel auf dem Kölner Messegelände. Die dritte Etage ist gesperrt; ansonsten läuft der Hotelbetrieb ganz normal weiter. Von den Helden der Serie ist zunächst nichts zu sehen. Stattdessen wärmen sich ihre Doubles auf dem Dach auf: Armkreisen, Schattenboxen, auf der Stelle hüpfen. Bevor ihr Stunt losgeht, checken sie ihre Sicherheitswesten. An ihnen hängt buchstäblich ihr Leben: Später werden beide von Balkon zu Balkon springen, gesichert nur durch ein Seil, das hinterher digital wegretuschiert wird. Aufgeregt? Die Stuntmen schütteln den Kopf. "Wir sind bereit."

Das Kamerateam ist es noch nicht. Weil ein Hotelgast seinen Pinscher im Innenhof ausführt, müssen die Aufnahmen warten. Stunt-Koordinator Tobias Nied, 32, nimmt's gelassen. Er füllt seinen Pappbecher mit Kaffee und schaut durch die Kamera. "Wir machen das sowieso bis zum Umfallen", sagt Nied und schaut zum Balkon. Gemeint ist: Die Szene wird so oft wiederholt, bis jedes noch so kleine Detail sitzt. Früher hat Nied die meisten Stunts selbst gemacht. Er stand auf fahrenden Motorrädern, hing am Hubschrauber, wurde hinter einem Motorboot hergezogen. "Das ist nichts für Leute, die sich was beweisen wollen", sagt er. "Wenn so was Normalität wird, bist du hier falsch."

Hau drauf und Schluss: Fans der Serie mit Erdoğan Atalay (links) und Daniel Roesner können von der nicht gerade tiefgehenden Handlung offensichtlich nicht genug bekommen. (Foto: RTL)

In der dritten Etage sind die Kollegen schon weiter. Ein Ganove geht zu Boden, es folgt ein kurzes Handgemenge, und am Ende hält Kommissar Semir Gerkhan, gespielt von Erdoğan Atalay, einen Aktenkoffer in der Hand. "Da ist 'ne Bombe im Koffer!", brüllt der Serienheld, holt aus - und geht in Deckung. Und Cut! Im Fernsehen wird es später so aussehen, als werfe er den Koffer in die Luft. Am Set aber ist der Regisseur unzufrieden. Irgendetwas passt noch nicht. Das Licht? Der Blickwinkel? Die Wurfrichtung? Bis die Frage geklärt ist, setzt sich Atalay in einen Ledersessel und spielt mit dem Handy.

Überhaupt besteht das Leben am Set zum großen Teil aus Warten. Während in der Serie alle paar Minuten etwas in die Luft fliegt, üben sich die Darsteller beim Dreh in Geduld. Eine Faustregel besagt, dass fünf bis zehn Film-Minuten einem kompletten Drehtag entsprechen. Manche Komparsen haben nichts anderes zu tun, als stundenlang mit dem Auto hin- und herzufahren. In Nordrhein-Westfalen wurde dafür sogar eine drei Kilometer lange Film- und Testautobahn gebaut, an deren Ende sich ein Kreisverkehr befindet. Das scheint sich auszuzahlen: "Alarm für Cobra 11" hat bereits sieben Mal den "Taurus World Stunt Award" gewonnen, die Produktionsfirma "Action Concept" darüber hinaus neun Mal den "Action-Oscar".

Erdoğan Atalay ist seit 1996 dabei. Während seine Partner immer wieder ausgetauscht wurden, ist er der Rolle des türkischstämmigen Kommissars treu geblieben - obwohl er im echten Leben kein Wort Türkisch spricht. Auch sein filmisches Markenzeichen, die abgewetzte Lederjacke, ist nicht echt. In Wahrheit besteht sie aus einem widerstandsfähigen Kunststoffmaterial. "Superbequem", sagt Atalay, "und man kann auch gut Protektoren drunterziehen." Er zeigt auf einen Riss am Ärmel. "Daran sieht man, was sie schon alles mitgemacht hat."

Auch im Innenhof kann es nun losgehen. Tobias Nied, der Stunt-Koordinator, greift zum Funkgerät: "Semir wird an der Kante stehen, und Paul pfeift gleich durch", instruiert er die Kameraleute, die auf dem Dach stehen. Paul Renner (Daniel Roesner) ist der neueste TV-Kommissar. Auch er geht mit Autos und Schießeisen um, als gehörten sie zu seinem Körper. Beim Dreh übernehmen am Ende aber lieber die ausgebildeten Stuntmen das waghalsige Manöver.

Zack, zack, zack! Selbst ohne digitale Nachbearbeitung sehen die Sprünge schon erstaunlich echt aus. Wie bei Parkour-Läufern, die aus sportlichem Ehrgeiz von Fassade zu Fassade springen. Zu echt darf es aber auch wieder nicht aussehen, denn die Fans wollen, dass es ständig kracht: laut, spektakulär, vorhersehbar. Bloß nicht zu lange nachdenken. Der Stunt-Koordinator lässt die Szene deshalb wiederholen. "Beim nächsten Mal noch etwas schneller", ruft Nied in sein Funkgerät.

Das Rezept - bloß nicht zu anspruchsvoll, dafür viel Wumm - funktioniert auch nach 20 Jahren noch prächtig. Anfang April ist die 300. Folge ("Cobra, übernehmen Sie!") im Fernsehen gelaufen. Die Serie wurde nach Angaben der Produktionsfirma inzwischen in 120 Ländern ausgestrahlt, darunter Mexiko, Russland, China und Japan. Im Laufe der Jahre wurden mehr als 5000 Autos geschrottet und mehr als 1000 Verbrecher verhaftet. Gedreht wird dabei fast ausschließlich in Nordrhein-Westfalen, meist in Köln oder Düsseldorf. Das Gebäude der Autobahnpolizei, das man im Fernsehen sieht, ist in Wahrheit der Firmensitz von "Action Concept". Fans, die an einer Führung teilnehmen, werden aber schnell den wesentlichen Unterschied bemerken: In Wahrheit handelt es sich nicht um einen Flachbau; die oberen Etagen sind wegretuschiert.

Stolz zählt die Firma auf, was im Laufe der Jahre schon alles in Flammen aufgegangen ist oder kurz davor stand: eine Gas-Pipeline (Staffel 12), ein Eurofighter (Staffel 20), mehrere Helikopter, ein 15 Meter langer Tanklaster, eine Interkontinental-Rakete (aktuelle Staffel) und natürlich Autos, Autos, Autos. Am Ende - auch das ein Markenzeichen von "Cobra 11" - steigen die Protagonisten höchstens mit einem Kratzer aus dem Wrack, um sich kurz darauf der nächsten Verfolgungsjagd zu widmen.

Wohl gemerkt, nur im Fernsehen. Am Set tippt Erdoğan Atalay erst einmal in Ruhe eine SMS. Die Stuntmen fahren im Aufzug zurück aufs Dach. Die Kameraleute greifen zu Muffins und belegten Brötchen, die auf einem Tablett bereitliegen. Danach hallt zum x-ten Mal ein Satz durch die Hotelflure, der selbst uninformierte Gäste nicht mehr schockiert: "In diesem Koffer . . . da ist 'ne Bombe!" - Cut! Auch das geht noch besser.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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