Harley Davidson Sportster:Es bollert, wummert und vibriert

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Zugkräftig, aber nicht für den Sprint geeignet

(SZ vom 18.05.1996) Der Mythos Harley besteht unter anderem aus mächtigem Hubraum, verteilt auf zwei Zylinder in V-Form, einem schüttelnden Motorlauf, sonorem Sound, einer mehr oder minder langen Gabel, viel Chrom und nicht zuletzt dem hohen Preis: Denn Harleys sind in den letzten Jahren zu einem Imageträger geworden.

Da stellt sich die Frage, ob denn auch die kleinste aller Maschinen aus Milwaukee taugt, um das spezifische Harley- Feeling aufkommen zu lassen, oder ob eine Sportster - gar noch in stufenführerscheingenehmer 32-PS-Ausführung - nur eine untaugliche Gefühlskrücke ist. Die Antwort vorneweg: Es muß aus sachlichen Erwägungen keineswegs zwingend eine Softail oder Road King für das doppelte Geld sein . . .

Von massivem Eisen

Dazu muß man sich freilich erst einmal klarmachen, daß die 'Kleine' mit ihren nur 69 Zentimetern Sitzhöhe - in der gefahrenen Hugger-Version sind die Federelemente verkürzt - alles andere als ein kleines Motorrad ist: 883 Kubikzentimeter Hubraum sind bigbike-like und 230 Kilogramm Leergewicht sind ebenfalls nicht von Pappe, sondern ganz im Gegenteil von massivem Eisen. 'Eisenhaufen' titulieren Kritiker aus der High- Tech-Ecke die Harleys gerne verächtlich; sie zielen damit an der Wahrheit zwar nur knapp, aber dennoch vorbei.

Denn auch die 883er Harleys vermitteln perfekt das Chopper-Feeling: Der Motor bollert, wummert und vibriert meisterhaft, dazu gesellt sich das harte 'klonk' der präzisen Schaltung. Die 32 Pferdestärken (24 kW) - offen leistet der Motor 36 kW (49 PS) - gehören offensichtlich zur Gattung der Brauereigäule: zugkräftig, aber nicht zum Sprinten geeignet. Der Durchzug ist nämlich weit überdurchschnittlich, weshalb ein wesentliches Chopper-Kriterium erfüllt ist.

Der Rest an dieser Harley ist vergleichsweise nebensächlich: Weder die Bremsen noch die Federung und Dämpfung reißen zu Begeisterungsstürmen hin - es ist zwar alles vorhanden, aber es beeindruckt nicht. Auch die Bedienungshebel, das Licht und die Größe des Tanks verraten, daß bei der Entwicklung der Sportster nicht der Aspekt der Funktionalität den allerobersten Stellenwerteinnahm: deshalb ist an dieser Hugger aber nichts zu finden (und es fehlt auch nichts), was hart kritisiert werden müßte. Perfekt ist dagegen der wartungsfreie Zahnriemenantrieb, sensationell ist der Spritverbrauch: Bei choppergemäßer Fahrweise sinkt er auf bis zu 3,6 Liter pro 100 Kilometer, bei rasanterer Fahrweise sind vier Liter fällig. Und Kurvenfahren ist trotz anderslautender Gerüchte mit der Hugger ein ausgesprochenes Vergnügen. Denn dank des breiten, gut in den Händen liegenden Lenkers läßt sie sich leicht in die Kurven lenken, der insgesamt tiefe Schwerpunkt (auch der Fahrer sitzt ja tief unten) läßt Richtungswechsel leicht fallen.

15 320 Mark sind der Preis für den Harley-Einstieg mit der Hugger (das Standardmodell kostet 14 820 Mark). Der Kilopreis liegt mit rund 67 Mark um etwa ein Drittel günstiger als bei den großen Softails. Der Vergnügungsfaktor ist allerdings im Grunde auf identischem Niveau angesiedelt - wenn nur das verflixte Imageproblem nicht wäre . . .

Von Ulf Böhringer

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