Harley-Davidson Road King:Nichts für zierliche Mädchen

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Das neue Motorrad wartet mit einem sagenhaft sparsamen Einspritzmotor auf

(SZ vom 05.11.1997) Geräusche waren im Falle einer Harley-Davidson schon immer ziemlich wichtig. Seitdem der legendäre Auspuffsound wegen gesetzlicher Vorgaben serienmäßig leider fast zur Gänze entfernt worden ist (aber in vielen Fällen unter Einschaltung nachsichtiger oder schwerhöriger Prüfer nachträglich wieder installiert und damit legalisiert wird), müssen sich gesetzestreue Harley-Fans mit einem anderen Geräusch begnügen: Dem Knistern der Auspuffanlage nach dem Abstellen des 1340 Kubikzentimeter großen Zweizylindermotors. Es kündet davon, wie unvergleichlich es ist, eine Harley zu bewegen. Noch dazu eine Road King, die Touring-Harley schlechthin.

Massage für den Fahrer

Einen profanen Zündschlüssel braucht es zum Starten des Motors nicht; ein Zentralschalter auf der Tankkonsole gibt den Zündstrom frei. Der mit Hilfe von Porsche zu einer Einspritzanlage gekommene Zweizylindermotor mit dem unglaublichen Zylinderhub von 108 Millimetern springt chokefrei und prompt an und beginnt sofort mit der Massage des Piloten - entweder man mag es oder nicht. Daß eine Road King mit ihrem Leergewicht von etwa 335 Kilogramm kein Fahrzeug für zierliche Mädchen ist, liegt auf der Hand. Und trotz der inzwischen auf 72 Zentimeter gesenkten Sitzhöhe sollte man nicht unter 1,75 Meter messen, um den mächtigen Lenker halbwegs bequem greifen zu können. Auch zur Bedienung der Kupplung ist durchaus Kraft vonnöten. Aber schließlich heißt das gute Stück ja auch nicht Road Queen. Ein Stiefeltritt, und mit einem satten "klonk" rastet der erste Gang ein.

Bereits Sekunden nach dem Losfahren wird die Darbietung unspektakulärer: Wenn die Road King erst mal rollt, flutscht eigentlich alles - die Vibrationen mäßigen sich, Kurven lassen sich erstaunlich leicht einlenken und auf sauberem Strich passieren. Die luftunterstützte Federung bügelt Fahrbahnunebenheiten recht gut weg, lediglich harte Kanten werden nur mäßig gefiltert. Grundsätzlich kommt auf dem breiten Gestühl Freude auf, solange die Gangart gemäßigt bleibt. Denn höheres Tempo, speziell auf welligem Terrain, ist keine Domäne der Road King: Da rührt das Heck, und auch der Geradeauslauf ist eher von gestern. Nach einiger Gewöhnung ist dennoch flotte Fahrt möglich, denn entgegen aller Erwartung ist die Schräglagenfreiheit gar nicht so gering. Bei gelassenem Cruisen wird eine weitere Tugend offenbar: So geizig mit Sprit ist kaum ein Motorrad, und ein so schweres schon gar nicht. Sagenhafte 3,75 Liter auf 100 Kilometer markieren den geringsten Verbrauch über 4000 Testkilometer, viereinhalb sind üblich. Nur bei Autobahn-Heizerei braucht sie mehr als sechs Liter.

Auch wenn die Road King so revolutionäre Features wie Einspritzung, automatisch rückstellende Blinker oder einen fast wartungsfreien Zahnriemenantrieb besitzt: Es handelt sich noch immer um ein Traditionsstück mit - vergleichsweise - mäßig ziehenden und schwer zu betätigenden Bremsen, Fahrwerkspendeln und einem ziemlich hohen Wartungsaufwand. Das Liebhaberstück verlangt nach reichlich Zuwendung, sei es beim peniblen Einstellen der Luftfederung, der Öl- oder der Batteriekontrolle. Und der Motor mag nur spezielles Harley-Öl. So antiquiert also manches scheinen mag: Es gibt phantastisch funktionierende Details. Beispielsweise läßt sich die Windschutzscheibe - auf langer Reise im Grunde nützlich - vor Ort innerhalb von Sekunden demontieren.

32 030 Mark kostet eine Einspritzer-Road King EFI in zweifarbiger Metallic-Lackierung. Und obwohl Harley-Davidson (wie manch anderer Hersteller auch) in Deutschland im ersten Halbjahr '97 nach sieben Boomjahren erstmals rückläufige Zulassungszahlen registrieren mußte (minus elf Prozent), sind Rabatte kaum drin. Bislang sorgten die extrem hohen Gebrauchtpreise für moderaten Wertverfall. Ob das so bleibt, steht nach dem Eindringen von BMW in den Cruisermarkt in den Sternen. Sicher ist dagegen eines: Wo immer die Road King parkt, finden sich schnell Bewunderer. So viele glänzende Augen wie der Harley-Fahrer kann kein anderer Biker einheimsen. Nicht einmal das Erscheinen der Road King Classic im nächsten Frühjahr wird daran etwas ändern, beschränken sich doch die Modifikationen auf die Montage von Speichenrädern und Lederkoffern statt der lackierten Kunststoffbehälter. Harley bleibt seiner Modellpolitik der fast nicht bemerkbaren Schritte also auch im 95. Jahr treu.

Von Ulf Böhringer

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