Germanwings-Katastrophe:Wie der Co-Pilot die Flugsicherung täuschen konnte

Von Thomas Harloff

Der Himmel ist unendlich und sollte mehr als genug Platz bieten, um den internationalen Luftverkehr zu beherbergen. Doch da oben ist inzwischen viel los. Jährlich fliegen bis zu fünf Milliarden Passagiere mit zivilen Flugzeugen, verteilt auf mehr als 30 Millionen Flüge. Statistisch finden täglich weltweit also mehr als 80 000 Flüge statt - und es werden immer mehr.

Damit die vielen Maschinen nicht ständig auf Kollisionskurs sind, bewegen sie sich im vertikalen Sinne auf Flugflächen und im horizontalen Sinne auf einem sich kreuzenden Netz aus Flugstrecken, die zum Teil aus Einbahnstraßen bestehen. Es ist ein kompliziertes, aber in sich schlüssiges und funktionierendes System. Nur neun Prozent aller Flugunfälle passieren während des Reisefluges, viel weniger als beim Starten oder Landen. Es kam nur selten zu Zusammenstößen von zivilen Flugzeugen, seit den Achtzigerjahren sind nur vier dokumentiert. Darunter die Kollision von Überlingen am 1. Juli 2002, bei der unter anderem eine verhängnisvolle Anweisung des Fluglotsen in die Katastrophe führte.

Flugflächen und Luftstraßen

Grundsätzlich ist der Himmel in Stockwerke (Flugflächen) eingeteilt. Die unterste Flugfläche liegt auf einer Höhe von 6000 Fuß, umgerechnet etwa 1800 Meter. In Abständen von 300 Metern staffeln sich die weiteren Flugflächen nach oben.

Allerdings orientiert sich die Flugfläche nicht strikt an der absoluten Höhe über dem Grund, sondern an einem standardisierten Luftdruck in der Atmosphäre. Der wird von den extrem genauen Messgeräten der Flugzeuge interpretiert. Die unterste Flugfläche befindet sich also nur dann auf 6000 Fuß, wenn am Boden der theoretische Normaldruck von 1013,25 Hektopascal herrscht. Fliegt das Flugzeug durch ein Hochdruckgebiet, liegt die gleiche Flugfläche weiter oben; bei einem Tiefdruckgebiet entsprechend weiter unten. Ist der Luftdruck extrem niedrig, fällt sogar die Flugfläche in 6000 Fuß weg und der Pilot steigt direkt auf 7000 Fuß.

Wellenbewegungen am Himmel

Weil sie ihre Flugflächen alle gleich berechnen und entgegenkommende Flugzeuge immer auf anderen Flugflächen unterwegs sind, kommen sich Flugzeuge nicht in die Quere. Stattdessen steigen und sinken sie gleichzeitig, wie in Wellenbewegungen.

Zusätzlich gibt es Flugstrecken, auf denen Mindestabstände herrschen. Fliegen zwei Maschinen hintereinander, beträgt dieser neun Kilometer. Wenn sich die Strecken zweier Flugzeuge kreuzen, wendet der Fluglotse die sogenannte Höhenstaffelung an. Er weist in diesem Fall den Piloten einer der beiden Maschinen an, 1000 Fuß (300 Meter) zu steigen oder zu sinken.

Möglichst in die gleiche Richtung

Je nach Kurs sind die Flugstrecken in gerade und ungerade unterteilt. Die Flugsicherung achtet darauf, dass die Maschinen auf gleicher Flughöhe möglichst in die gleiche Richtung steuern. Je nachdem, auf welcher Strecke ein Flugzeug unterwegs ist, kann es nur aus bestimmten Richtungen auf ein anderes treffen; ein entgegenkommendes Flugzeug ist ausgeschlossen. Das hilft den Fluglotsen, die Flugzeuge sicher durch den Luftraum zu führen.

Im Falle, dass ein Pilot oder ein Fluglotse einen Fehler machen, erkennt das automatische Warnsystem ("Traffic Alert and Collision Avoidance System" TCAS) die Situation mit einem gewissen Zeitvorlauf. TCAS warnt den Piloten rechtzeitig und gibt einen Steig- oder Sinkflug vor. Gleichzeitig erhält der Fluglotse eine Warnung auf seinem Radar. Der Pilot folgt der Anweisung seines Kollisionswarnsystems, egal, was der Lotse ihn in dem Moment anweist.

Vor dem Start arbeiten die Piloten in Absprache mit der Flugsicherung einen Flugplan aus, der ihre Route, Flugflächen und Überflugpunkte bei den zuständigen Flugsicherungsstellen während des Reisefluges festlegt. Welche Flugfläche zugewiesen wird, orientiert sich beispielsweise an den Leistungsdaten des Flugzeuges oder am Wetter. Auf Mittelstreckenflügen liegt sie meist im Bereich von 20 000 bis 33 000 Fuß, etwa 6000 bis 10 000 Metern. Auf Interkontinentalstrecken kann es bis auf eine Höhe von 42 000 Fuß (12 800 Meter) gehen, da wegen der geringeren Luftdichte der Treibstoffverbrauch sinkt.

Kursänderung nur in Absprache mit den Fluglotsen

Der Pilot braucht praktisch für jede Aktion, also jede Bewegung seines Flugzeuges, eine Freigabe oder Anweisung durch den Fluglotsen. Vom Anlassen der Triebwerke über das Rollen zur Startbahn, Start, Steigflug, Streckenflug, Sinkflug, Anflug, Landung bis zum Rollen zur Parkposition befindet sich das Flugzeug unter der Kontrolle vieler Fluglotsen. Die einzige Ausnahme sind Notsituationen, zum Beispiel, wenn Piloten einem Gewitter ausweichen müssen. Der Pilot teilt dem Lotsen in diesem Fall mit, wie er das Gewitter umfliegen will, woraufhin der Lotse den entsprechenden Luftraum für ihn freihält.

Verlässt ein Pilot seine Flugfläche unangemeldet, ist das in etwa so, als würde ein Autofahrer mit Absicht auf die Gegenfahrbahn lenken. Denn 300 Meter unter der zugewiesenen Flugfläche kann ein Flugzeug auf derselben Strecke genau entgegenkommen oder kreuzen. Damit wäre der Sicherheitsmindestabstand unterschritten und es könnte zu einer gefährlichen Annäherung kommen.

Dass es bei Andreas Lubitz' willkürlichen Einstellungen an dem Rad, das den Zielwert für den Autopiloten eingibt, nicht schon auf dem Hinflug gefährlich wurde, hat mehrere Gründe (hier ausführlich erklärt). Zum einen, weil sich das Flugzeug sowieso im Sinkflug befand, wie von der Luftsicherung Bordeaux angeordnet. Außerdem, weil Lubitz die falschen Zielwerte schon kurz darauf korrigierte. Das Flugzeug war deshalb noch immer auf der vorgesehenen Flugfläche unterwegs. Sonst wäre es schon auf diesem Flug gefährlich geworden.

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