Genf 2010: Autodesign:Design im Dilemma

Die meisten Autopremieren lassen den Mut zur wirklich neuen Form vermissen, nur zwei gelten als rundum gelungen: eine Bilanz des Genfer Salons.

Paolo Tumminelli

Ja, es ist schön. Und es macht Spaß. Das ist die Botschaft des Genfer Automobilsalons 2010, der gerade zu Ende ging. Souverän und gut gelaunt zeigte sich die Autoindustrie, frech wie ein Schüler, der seine Hausaufgabe - vernünftigere Autos zu bauen - erledigt hat und dann glaubt, alles sei in Butter.

Dabei ähnelte der Vorgarten der Show weniger einer Weltausstellung als einem überdimensionalen McDonalds: hier ein aufblasbares Riesenmodell des Dacia Duster, Renaults neuestes Aldi-SUV, dort der gelbblaue Tesla Roadster von RWE mit passender Stromsäulenattrappe. "AntiRetro" annonciert Citroën mit Bildtapeten des neuen DS3 in Knallgelb.

Drinnen war alles klein wie eh und je. Doch der Eindruck bleibt: Je weniger gezeigt wird, desto mehr will das Auto sein. Die Quintessenz des Phänomens stellte Audi dar. Der A1, Ingolstadts Kleinster, wurde als "ein ganz großes Automobil" mit "charaktervollem Design, kompromissloser Qualität und wegweisenden Effizienztechnologien" propagiert. Der A1 stellte sogar den neuesten A8 in den Schatten, auch das ist ein Paradigmenwechsel. Der stilsichere Luxusliner wurde fast versteckt präsentiert. Seine Formgebung neigt zum Unsichtbaren. Als ob man den Unterschied zum kaum kürzeren A4 nicht wirklich zeigen wolle.

Die Zeiten, in denen Statusymbolik von oben nach unten dekliniert wird, scheinen vorbei zu sein. Jetzt spielt die Musik im Erdgeschoss: Der A1 beginnt mit einem kühlen Machogesicht im pursten Audi-Stil, das sich der Seite entlang in Richtung Mamma, Bambini & Fiat 500 entwickelt, um dann in einem ganz speziellen Po, muskulös und mollig zugleich, zu enden.

Vernunft darf nicht nach Verzicht riechen

Das Auto ist neu geboren und will geliebt werden. Renault bringt einen Tamagotchi-Roadster auf Twingo-Basis vor, der Wind heißt. Das hellblaue Baby lächelt uns mit Riesenaugen an, kindische Proportionen folgen: schöner Kopf, unterentwickelten Körper. Stilistisch noch ein Paradigmenwechsel. Trotz der betonten Keillinie steht das Heck niedriger als die Front da. Fast möchte man an die Tulpen- und Tropfenformen der zwanziger Jahre zurückdenken. Nur die Proportionen sind unmöglich: massiv, unförmig.

Wir springen zum anderen Franzosen, Citroën DS3, dem "AntiRetro". Allein der Namen ist ein Widerspruch. Man rutscht 50 Jahre zurück zur Göttin des Philosophen Barthes und zur Staatslimousine De Gaulles. Doch das hier ist ein Kompaktwagen zwischen Polo und Golf. Ich habe irgendwo gelesen, dass die Citroën-Leute sehr stolz auf dieses Auto sind, denn dies sei das deutscheste Produkt, das je ihre Werke verlassen hat. Wenn das heißen soll, dass der DS3 im Konzept (bunt, sportlich, rebellisch) einen BMW Mini und in der Qualitätsanmutung (solide, schwer, sauber) einen Golf imitieren will, dann haben sie recht.

Doch die Linie, wenn es eine gibt, bleibt typisch französisch: nicht schön, sondern flamboyant, exzentrisch, kontrovers. Auch der Citroën will vor allem eines: verführen. Das über dem Glashaus schwebende Dach zwingt fast dazu, eine Zweifarblackierung zu wählen. Schöne Pastellfarben sind zu haben, wie in den fünfziger Jahren. Wenn das kein Retro ist! Die neuen Bonbonautos werden Anhänger finden. Sie sind auf ihre Art unlogisch, also liebenswürdig: vernünftig, weil klein, in ihrer Kleinheit wiederum völlig unvernünftig.

Das Designdilemma lautet wie folgt: Die neuen Kleinen haben die schwierige Aufgabe, ein verwöhntes Big-is-Beautiful-Publikum zurück zum Existenzminimum zu ziehen - ohne dass es nach Verzicht riecht. Und ein richtig vernünftiges Auto, eines das alles kann und wenig braucht, stellt den Besitzer unter den Verdacht, vernünftig zu denken, also auch ökonomisch. Und das ist ja für den Massenmarkt - noch - zu uncool.

Der neue BMW 5er: ein wahrhaftig schöner Wagen

Man möchte bei Audi sehen: nicht einen Polo im Cinquecento-Pelz, sondern einen Kleinwagen mit dem Package des jetzigen A1, dem unerbittlichen Stil des kommenden A7, der technologischen Finesse eines R8, dem Gewicht des alten Audi 50. Der dann ruhig zu dem Preis eines neuen A4 angeboten werden dürfte. Und bei Citroën: nicht den deutschesten aller Franzosen, sondern einen Kleinwagen mit dem Package des jetzigen DS3, dem unerbittlichen Stil des alten SM, der technologischen Finesse einer Déesse, dem Gewicht einer Ente. Der dann ruhig zu dem Preis eines neuen C6 angeboten werden dürfte. Nicht nur, dass das europäische Auto so eine bessere Rendite erzielen könnte. Nein, damit würde sich das Automobil nach dem Motto Qualität statt Quantität neu definieren. Denn: Das Auto kann nur eines - neu werden.

Wie so etwas gehen könnte, zeigt Hondas CR-Z, der auf die große Tradition der klein-sportlichen Civic-Modelle zurückgreift. Sportlich sein hat nach wie vor Sinn, weil der Sportwagenbau von Grund auf hohe Effizienz verspricht. Hondas Interpretation mit stark betontem Fließheck und butterweicher Front gibt sich nirgendwo bullig, sondern bewusst biodynamisch. Sie entwickelt die von Toyotas Prius initiierte und von Hondas Insight übernommene Hybridlinie: eine möglichst aerodynamische Flow-Box, die nach Effizienz und Leistung riecht. Dass der CR-Z nur als Hybridfahrzeug zu haben ist, unterstreicht den Hightech-Charakter sowie die Differenz gegenüber anderen kleinen Sportwagen. Hondas Neuling ist eine Klasse für sich. Innen empfängt die Insassen ein unterhaltsames Ambiente zwischen Flugzeug und Spielzeug. Satelliten, Digitalanzeigen, Knöpfe, wohin das Auge reicht.

Ja, man mag diese schönen alten Formen, die alten Namen. Aber den mythischen Namen Giulietta, mit dem Alfa Romeo seine Sportlimousine bedenkt, für einen romantisch gestalteten, technisch unbedeutenden Golfwagen aus dem Fiat-Konzern wieder zu beleben, ist genau so falsch, wie die Form des neuen Fiat 500 für Rinspeeds UC - eigentlich ein New-Tech-Elektrofahrzeug für die Stadt - zu übernehmen. Dann lieber gleich ein altes Dino-Auto.

Die Königin des Salons ist eine gute, alte Limousine. Gut und alt im Sinne der Schönheit klassischer Proportionen, wie sie seit dem Jaguar MkII unverändert gelten. Der Fünfer übernimmt exakt diese Form und Proportionen. Die BMW-Linie wird leichter, straffer, präziser. Die Nieren kleiner, die Leuchten ruhiger, das Armaturenbrett eleganter. Doch, obwohl im Konzept obsolet, ist der neue Fünfer ein wahrhaftig wunderschöner Wagen.

Der Autor ist Direktor des Goodbrands Institute for Automotive Culture und Professor am Designinstitut der Fachhochschule Köln.

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