General Motors, Ford, Chrysler:Verlorene Größe

Der Untergang der US-Autoindustrie ist hausgemacht: Es fehlen die richtigen Modelle, nachhaltige Strategien und Markenbewusstsein.

Georg Kacher

Showdown in Motown: das Geld reicht selbst mit Staatshilfe nur noch wenige Monate, aber darum geht es eigentlich gar nicht mehr. Denn die Zeit ist abgelaufen für die amerikanische Autoindustrie, zumindest in Bezug auf die veralteten Geschäftsmodelle und die unwirtschaftlichen Abläufe. Bei GM steht zwar der viel versprechende Chevrolet Volt kurz vor der Serienreife, doch an dem neuen Hybrid-Modell ist in der ersten Generation ohnehin nichts verdient. Chrysler hofft auf Kooperationen mit Chery (China) und Nissan/Renault oder auf ein Zusammengehen mit GM, aber Cerberus und Daimler würden die ungeliebte Tochter lieber heute als morgen los werden. Nur Ford sieht sich noch nicht als totaler Sanierungsfall - frommes Wunschdenken, das durch den Verkauf von Unternehmensteilen (Jaguar, Land Rover, Mazda, Volvo) teuer finanziert werden muss.

General Motors, Ford, Chrysler: Als Größe noch zählte: Cadillac Sedan DeVille von 1959

Als Größe noch zählte: Cadillac Sedan DeVille von 1959

(Foto: Foto: oh)

Keine Frage: unter dem Strich geht nicht mehr viel in Detroit. Das aktuelle Modellangebot ist am Kunden vorbei konzipiert, technisch zu kurz gesprungen, qualitativ nicht auf der Höhe, zu wenig umwelt-orientiert. Für neue, marktgerechte Projekte fehlt das Geld, die Zeit und das Vertrauen der stark gebeutelten Konsumenten.

Man kann den amerikanischen Auto-Entwicklern manches vorwerfen, aber sie sind von Haus aus nicht dümmer oder ignoranter als ihre Kollegen in Europa und Fernost. Denn an der Deichsel des Karrens, den Detroit in den Dreck gefahren hat, saßen keine Techniker, sondern Manager. Zwar gab es löbliche Ausnahmen wie Jac Nasser (Ford), Bob Lutz (erst Chrysler, dann GM) oder Francois Castaing (Chrysler). Doch die meisten Chefs waren orientierungslose Verwalter eines trügerischen status quo. Dabei hätte es durchaus Chancen gegeben, der Auto-Welt zu zeigen, was man in Dearborn, Warren und Auburn Hills wirklich kann.

Während die Negativbeispiele rasch aufgezählt sind - durstige SUVs und profane Personenwagen, sämtlich lieblos zusammengeschustert -, könnten die Positivbeispiele durchaus Bücher füllen, und zwar unter dem Sammeltitel "Das Kompendium der vergebenen Chancen". Vor allem zwischen 1985 und 1995 dachten die US-Ingenieure durchaus mutiger, kreativer und grüner als ihre Kollegen in anderen Teilen der Welt. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen, denn die Kluft zwischen Forschung und Entwicklung war in der Motorcity mindestens so groß wie der Graben zwischen dem Fußvolk und der Führung.

Verlorene Größe

An Beweisen für diese These mangelt es nicht. Schon Mitte der neunziger Jahre wetteiferten Chrysler, Ford und GM um das sauberste Auto und die sparsamste Technik. Die Projektgruppen hießen Liberty, Blue Car und Genesis, die Konzepte drehten sich um Hybrid und E-Antrieb, die Fahrzeug-Gewichte lagen teilweise unter 1000 Kilo, Verbrauch und Emission erfüllten Kleinstwagen-Standards. Drei Beispiele für viele: der Jeep JJ, ein 1994 gemeinsam mit Renault konzipierter Kunststoff-Soft- Roader; der Ford Prodigy, eine 1999 vorgestellte Alu-Limousine mit Hybridantrieb und dem Rekord cw-Wert von 0,19; der GM Utralite, das bereits 1991 angeschobene erste 2,5 Liter-Auto der Welt.

GM hat unter Entwicklungschef Larry Burns seit mehr als zwei Jahrzehnten Unsummen in die Brennstoffzelle investiert, bei Chrysler scheiterte der als Hybrid-Speerspitze vorgesehene Patriot Le Mans-Rennwagen nur an der Sturheit der Bürokraten, Bill Ford höchstpersönlich spielte während seiner Zeit als Firmenchef sehr überzeugend die Rolle des Öko-Obermeisters. Doch die als verlängerte Werkbank vorgesehene Firma Pivco Think! hat Ford schon nach fünf Jahren wieder verkauft.

Das ist eben das Grundproblem der Entscheider vom Detroit River: keine Geduld, kein Plan, keine Botschaft, kein Vertrauen auf eigene Stärken, kein Gespür für nachhaltige Trends. Statt dessen gibt man sich mit kurzlebigen Effekten zufrieden - wie in der Nachkriegszeit, als vordergründig aufgehübschte neue Modelle im Zwölf-Monats-Zyklus von den Bändern rollten.

Dabei fing alles so viel versprechend an, damals im Jahr 1903 mit dem genügsamen Ford T-Modell für den Durchschnittsamerikaner, das schon bald nicht mehr genügte. Marken kamen und gingen, doch die großen Namen der Boom-Branche feierten ihren Aufstieg mit immer maßloseren Zwölf- und Sechzehnzylindern, die in immer ausladenderen Karossen unverhohlen der Dekadenz und Opulenz huldigten. Weil Sprit wenig kostete und in beliebiger Menge verfügbar war, wurde nicht in öffentliche Verkehrsmittel investiert, sondern in neue Straßen, auf denen Sechs- und Achtzylinder den Ton angaben. In den 60igern symbolisierten Muscle Cars den American Way of Driving, noble Coupés und Cabriolets verströmten das Flair der großen weiten Welt, fette Pick-ups und Geländewagen kündeten von Freiheit und Abenteuer.

Verlorene Größe

Und die Hersteller scheffelten das große Geld. Die Nachfrage nach Autos war so enorm, dass sogar neue Marken aus dem Boden gestampft wurden. Chrysler gründete Eagle, GM legte sich Saturn zu, Ford rief Merkur ins Leben. Damit nicht genug. Der nächste Schritt war eine weltweite Einkaufstour. Man lieferte sich Bietergefechte um die europäischen Marken Alfa, Saab und Jaguar; man schloss sich zusammen mit Fiat und Daewoo; man griff nach den Japanern Mazda, Isuzu, Suzuki und Mitsubishi.

Doch dann platzte sie, die große Konjunkturblase, und mit dem im Nachgang einsetzenden Wertewandel hatten Die großen Drei ihre liebe Not. Amerika konnte groß und schwer - klein und sparsam konnte man nicht. Statt sich bei Opel und bei Ford in Köln zu bedienen, kniffen die Platzhirsche vor den japanischen Eroberern. Statt zumindest bei Limousinen, Kombis, Coupés und Cabriolets den technischen Weltmarktstandard zu halten, setzte Detroit auf billig gemachte Allerwelt-Autos. Statt die mit den Pick-ups und SUVs verdienten Gewinne in zukunftsträchtige Technologien zu investieren, verhob sich die Branche an einer Eier legenden Wollmilchsau namens Crossover.

Eigene Ideen blieben Mangelware. Chrysler erfand zwar den Minivan, doch der verstarb am Ende markenübergreifend wie ein Fast Food-Junkie am eigenen Übergewicht. Ford gelang mit dem Retrolook-Mustang ein einsamer Zufallstreffer. GM hegte die Corvette, päppelte Cadillac hoch zu neuer Stärke, glänzte mit Solstice und Sky - in einer zu kleinen Nische.

Verlorene Größe

Aber den Profit mit der breiten Masse sackten andere ein. Von unten machten die Asiaten Boden gut, von oben drückten die Europäer. Dazwischen wurde für Detroit mit seinen verkrusteten Strukturen und gestrigen Hierarchien die Luft zum A++tmen immer dünner. Das große Markensterben, das 1997 mit Eagle Cars begann, ist noch längst nicht vorüber. Verblichen sind inzwischen auch Plymouth, Oldsmobile und die Premier Automotive Group von Ford. Saab, Volvo und Viper stehen ebenso zum Verkauf wie Hummer und möglicherweise Saturn, auch Mercury lebt von geborgter Zeit.

Wo die Reise hingeht? Vielleicht unter das neu geschaffene Dach von All American Motors, unter dem sich GM, Ford und Chrysler restrukturieren könnten. Ohne Staatshilfe, denn die wäre bei den Pensions- und Krankenkassen der betroffenen Unternehmen besser aufgehoben. Weil aus der Fusion von drei Todkranken kein Gesunder entsteht, müssten die Verantwortlichkeiten, die Prozesse, die Produktpalette und die Zukunft der überlebensfähigen Marken neu geordnet werden.

Die Strategie im Detail: Anpassung und Modernisierung des globalen Zulieferer- und Produktions-Netzwerks, fünf Kompetenzzentren auf fünf Kontinenten, zentral koordinierte Entwicklung neuer Modelle mit neuen Inhalten, Aufteilung der Zuständigkeiten für unterschiedliche Fahrzeugtypen und Klassen, integriertes Management mit erweiterten Aufgaben und Befugnissen. Nein, Detroit würde aus diesem Revironment nicht gestärkt, sondern (hoffentlich) gesund geschrumpft hervorgehen. Aber das ist immer noch besser als den größten Automarkt der Welt per Zeitraffer-Verzweiflungsakt den ausländischen Wettbewerbern zu überlassen.

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