Gefährliches Kältemittel:Mercedes streitet um R1234yf

Mercedes Kältemittel

Produktion im Mercedes-Werk Sindelfingen

(Foto: action press)

Mercedes darf einige seiner Modelle nicht nach Frankreich exportieren, da der Hersteller aufgrund akuter Brandgefahr auf das neue Standard-Kühlmittel der Automobilwelt mit der kryptischen Bezeichnung R1234yf verzichtet. Über den Zwist, der Leben und Tod zum Thema hat, ist ein Streit entfacht, in dem auch Greenpeace mitmischt - auf der Seite von Daimler.

Von Javier Cáceres, Brüssel, und Max Hägler, Stuttgart

Es war ein Unfall, der die Experten überraschte: Der Mercedes, eine B-Klasse, ging lichterloh in Flammen auf, dabei gab es eigentlich keinen großen Anlass: Das Versuchsfahrzeug war im Testareal in Sindelfingen per Vollgas-Fahrt auf Temperatur gebracht worden, so wie es auf der Autobahn oder bei Bergfahrten vorkommt. Der Turbolader war jetzt so heiß, dass er glühte, mehr als 650 Grad Celsius. Dann wurde ein kleiner Crash simuliert, der zu einem Leck in der Klimaanlage führt. Innerhalb von Sekunden entzündete sich das ausströmende Kältemittel an der Abgasanlage.

Es ist das Mittel, das eigentlich zum Standard werden soll in der Automobilwelt: R1234yf. Aber Daimler zieht nach den katastrophalen Erfahrungen nicht mehr mit, schließt den Einsatz kategorisch aus. Jetzt ist darüber sogar ein handfester politischer Streit entbrannt.

Es ist ein Zwist, der Leben und Tod zum Thema hat, bei dem es um viel Geld geht und der sich seit diesen Tagen auch auf Regierungsebene abspielt.

Eigentlich hatten viele in der Autoindustrie gedacht: So etwas kann nicht passieren. Doch im Real-Life-Prüfverfahren, wie so etwas in der Autoindustrie heißt, kam es plötzlich zur Brandkatastrophe. Und als ob das nicht reicht, bildete sich auch noch Flusssäure, eine der ätzendsten Substanzen überhaupt, ein hohes Risiko für die Rettungskräfte.

"Das funktioniert wie ein Lichtschalter"

Nicht nur einmal kam es zu der simulierten Katastrophe: 70 oder 80 Mal hat der Autokonzern in den vergangenen Monaten Testwagen so in Brand gesteckt. "Das funktioniert wie ein Lichtschalter", sagen sie bei Daimler mittlerweile zynisch - und liefern ihre Wagen weiter mit dem bisher üblichen Mittel aus, das einen ähnlich kryptischen Namen trägt: R134a. Es ist für Neuwagen eigentlich nicht mehr zugelassen, weil es extrem klimaschädlich ist.

Jetzt ist die Brandgefahr des Nachfolgers bekannt. Und doch passiert nun Eigentümliches: Während das deutsche Kraftfahrtbundesamt aufgrund der Erkenntnisse das alte, umweltschädliche aber auch schwer entzündliche Mittel weiter erlaubt, im Rahmen erweiterter Typ-Zulassungen, sträubt sich Frankreich dagegen: Mercedes-Wagen, die nach dem 12. Juni gebaut worden sind, sollen dort mit dem neuen Mittel befüllt werden. Die deutsche Zulassung wird nicht anerkannt.

Weil Daimler aber in dem Fall die Sicherheit und die möglichen Haftungsansprüche höher gewichtet als den reibungslosen Absatz, stehen mittlerweile Hunderte neue Mercedes-Autos der A-, B- und SL-Klasse in Frankreich ohne Fahrerlaubnis herum. Andere Hersteller und andere Fahrzeugklassen von Mercedes haben das Problem nicht, weil sie früher zugelassen worden waren oder nur als Modernisierung bestehender Modelle gemeldet wurden.

Unklar ist, wie es weitergeht, ob und wann die Mercedes-Autos fahren werden.

Retourkutsche der Franzosen?

Denn in dieser Woche stärkte EU-Industriekommissar Antonio Tajani den französischen Behörden den Rücken. Das relevante EU-Gesetz gebe Regierungen das Recht, unter bestimmten Bedingungen "vorübergehende Schutzmaßnahmen einzuleiten", erklärte Tajani. Die Brandgefahr sei nicht erwiesen - trotz der zahlreichen Tests, die Daimler auch in wissenschaftlichen Dokumentationen notiert hat.

Am Mittwoch beharrte ein Sprecher auf der Einschätzung - aber immerhin ist man noch nicht so weit, ein Verfahren gegen Deutschland wegen Nichteinhaltung von EU-Vorschriften einzuleiten. Bis Ende August hat Berlin Zeit, zu antworten. Gleichzeitig setzte man große Hoffnungen auf ein Treffen auf Expertenebene, an dem Vertreter der Kommission und der 28 Regierungen am Mittwoch in Brüssel teilnahmen: Das Krisenteam soll über die Gefahr befinden.

Die Interessenlage dürfte dabei verworren sein. Eigentlich war die Autoindustrie auf dem Weg, Kohlendioxid als umweltfreundliches Kältemittel einzusetzen, doch dann präsentierten US-Chemiehersteller eine eigene Alternative, eben R1234yf. Manchen Herstellern dürfte das Produkt, mit dem die Chemieindustrie viel verdienen kann, gelegen gekommen sein, weil sie sich die Entwicklung neuer CO2-Klimaanlagen sparen konnten. Daimler lenkte im Jahr 2009 auf diesen Weg ein. Bis zu den Katastrophen-Tests eben.

Und dann ist da auch noch die vermutete Retourkutsche der Franzosen: Viele deutsche Politiker werten die französische Haltung auch als Antwort auf die jüngste Blockade Deutschlands bei der Verschärfung der CO2-Emissionen von Neuwagen ab 2020. Vor allem die deutschen Premiumhersteller mit ihren großen Karossen profitieren von lascheren Emissionsregeln.

Wobei aber die Warnungen lauter werden, die Themen nicht zu vermengen: "Sicherheit geht vor", sagt etwa Matthias Groote (SPD), der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europaparlaments. Und auch von ganz ungewohnter Seite bekommt Daimler jetzt Rückendeckung: "Das neue Mittel ist völlig überflüssig, birgt nur neue Risiken, die schwer kalkulierbar sind, etwa das Abbauprodukt Trifluoressigsäure", sagt Wolfgang Lohbeck, Bereichsleiter Sonderprojekte bei Greenpeace. Lohbeck erklärt gar: "Mein ausdrücklicher Dank gebührt deshalb Daimler, dass sie sich als Einzelne gegen eine neue, gefährliche und überflüssige FKW-Stoffgruppe zu Wehr gesetzt haben."

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