Gedanken zur künftigen Mobilität (2):Leichte Kost

Die motorisierte Fortbewegung im Zeitalter der Energie- und Klimakrise: Autos müssen vielfältiger, schlanker und vor allem intelligenter werden. Wie sich ein Design-Kritiker zukunftsgerechte Fahrzeuge vorstellt.

Oliver Herwig

Die Welt steht Kopf: Auto und Ferienflieger, der Deutschen liebste Kinder, sind zu Prügelknaben der Kohlendioxid-Klimaschutzdebatte avanciert. Konservative und Ökos beschwören gleichermaßen den Verzicht, Automobilisten fühlen sich überfahren, das Versprechen unbeschränkter Mobilität scheint gar unter die Räder gekommen.

Loremo - Wie sich ein Design-Kritiker zukunftsgerechte Fahrzeuge vorstellt.

Reduktion ohne Verzicht: Die Leichtbau-Limousine Loremo hat ein Leergewicht von gerade mal 450 Kilogramm. Zum Fahren reicht ein Dieselmotor mit 20 PS. Verbrauch: 1,5 Liter.

(Foto: Foto: oh)

Auf der anderen Seite des Atlantiks stehen die ersten Opfer des Klimawandels. Pick-ups, Geländewagen und SUVs, Chrom und Stahl gewordene Sinnbilder des Spritverbrauchs, haben sich zumindest vorübergehend in schwer verkäufliche Vierräder verwandelt.

Müssen gar Kleinwagen getunte Kraftpakete sein?

Die Dinosaurier des Fossilenergiezeitalters stehen für eine ganze Generation automobiler Fehlentwicklung, die mit dem Versprechen von Sicherheit und Komfort antrat, aber Fahrvergnügen mit Masse verwechselte. Keine Fahrzeugklasse blieb verschont. Selbst Kleinwagen gleichen mittlerweile getunten Kraftpaketen.

Beim Golf, der einer ganzen Fahrzeugklasse den Namen gab, erinnert nichts mehr an den kantigen, geradezu asketischen Kompaktwagen von 1974. Zum Glück, sagen alle, die nicht mehr in einen Trabbi oder Fiat 500 klettern wollen. Wenn sie es noch könnten.

Im Jahr 2007 zeigt sich eine seltsame Parallele: Die Hälfte der Deutschen, heißt es, sei übergewichtig. Wie ihre Autos, die bei jedem Modellwechsel mit mehr Extras vollgestopft wurden. Die Mobilität der Zukunft wird vielfältiger, schlanker, vor allem aber intelligenter. Das beginnt beim Fahrzeugdesign.

Was brauchen wir, um von A nach B zu kommen?

Es kann sich nicht mehr allein auf markante Kanten, animalische Ausstrahlung oder windschlüpfrige Linien verlassen, die Höchstgeschwindigkeit schon vor dem Anlassen des Motors versprechen, es muss vor allem eine Frage beantworten: Was brauchen wir, um von A nach B zu kommen? Und was nicht? Benötigen wir elektrische Fensterheber, Sitzheizung, automatisch verstellbare Außenspiegel, all die wunderbaren Extras, die aus unserem Auto ein rollendes Heim machen, samt Massagesessel und Fangositz?

Wir zahlen einen hohen Preis für unsere Bequemlichkeit. Dutzende Stellmotoren bilden den Wohlstandsspeck, der mitbewegt werden muss. Zwei Tonnen Gesamtgewicht für 70 Kilo Fahrer/in sind keine Seltenheit bei aktuellen Fahrzeugen. Zwei Tonnen schlucken Benzin. Wen wundert es, dass sich Audi-Chef Rupert Stadler unlängst zu einer Nachhilfestunde für Ökos veranlasst sah: "Sie können die Physik nicht betrügen", rügte Stadler, er kenne außerdem keinen David Copperfield der Automobilindustrie. Auf den Gedanken, ihre Mammut-Fahrzeuge sinnvoll abzuspecken, kommen Ingenieure nicht.

Wo bleibt das Auto unplugged?

Wenn sie, wie Ferdinand Piëch am 16. April 2002 ein sagenhaftes Ein-Liter-Auto vorführen, hat das nur Symbolcharakter. Seht, was wir könnten, wenn wir nur wollten. Der futuristisch getunte Kabinenroller mit 120 km/h Spitze hätte angeblich mehr als 20.000 Euro gekostet. Ein solches Spar-Auto kann man sich sparen. Wie steht es aber mit dem Auto unplugged, einem Fahrzeug ohne Schnickschnack, aber mit direktem Straßengefühl? Sportwagenherstellern könnte sich da eine Nische auftun, wenn sie zurück zur Natur des Autos finden. Deutsche Hersteller proben aber lieber die Flucht nach vorne: Versprechen durch Technik. Unsere Ingenieure werden es schon richten.

Deutsche Fahrzeugbaukunst, in den letzten Jahren vor allem Ingenieurskunst, hat gelernt, mit jedem Problem fertig zu werden. Nur nicht mit dem Gewicht ihrer vielen Innovationen und Patente. Um so erstaunlicher, dass die radikalsten Lösungen nicht von etablierten Herstellern stammen, obwohl alle an Kleinstfahrzeugen arbeiten.

Reduktion pur propagieren zwei Modelle, ohne mit nackter Armut oder Lowtech antreten: Clever, das wendige Stadtmobil, und Loremo, das Sparauto, das in München konzipiert wurde. Gerade 450 Kilogramm soll das Fahrzeug für vier wiegen, dessen aerodynamische Kunststoffkarosserie sich über einer stählernen Wanne aufspannt, in der Fahrer, Beifahrer und Passagiere Rücken an Rücken sitzen.

Loremo stellt Gewohntes auf den Kopf und verspricht sagenhaft windschlüpfig zu werden. Statt konventioneller Türen klappt das Dach auf, in das Auto steigt man wie in eine Badewanne. Zum Fahren reicht ein 20-PS-Dieselmotor, der anderthalb Liter verbrauchen soll. Mit dabei: On-Board-PC, Klimaanlage, MP3-Player und Navigationssystem. Die Designstudie soll 2009 auf den Markt kommen.

Lesen Sie im zweiten Teil warum es dem Auto wie einst dem Pferd ergehen könnte.

Leichte Kost

Clever, das Compact Low Emission Vehicle for Urban Transport, entstand an der TU Berlin mit technischer Unterstützung von BMW. Zwei Prototypen existieren bereits. Der Münchner Designer Peter F. Naumann entwarf eine schnittige Silhouette für das dreirädrige Schmalspurfahrzeug, das alles andere als eine Schmalspurlösung darstellt.

Es fährt sich wie ein Auto, legt sich aber in die Kurve wie ein Zweirad. Fahrgenuss dürfte sich da auch ohne Höchstgeschwindigkeit einstellen. Spargenuss auch bei rund 2,4 Liter Benzinäquivalent des Einzylinder-Erdgasmotors. Das Leergewicht von knapp 400 Kilogramm für zwei Personen zeigt, wie sportlich die Vorgaben sind.

Gibt es die goldene Schnittmenge

Automobile aber stecken in einem Labyrinth von Vorschriften. Nicht umsonst nimmt sich Clever die Freiheiten des Motorrads. Mobilitätskonzepte der Zukunft werden sich vom gängigen Bild des Fahrzeugs mit vier Rädern wegbewegen. "Zero-Emission-Vehicles müssen grundsätzlich anders sein als ein Auto", behauptet Naumann, der an der FH München gerade an neuen Wegen im Individualverkehr forscht. "Wir müssen uns vom Automobil lösen, damit die Leute uns neutral begegnen." Sonst sagen die Kunden womöglich: sieht aus wie ein schwachbrüstiges Auto.

Naumann arbeitet im magischen Dreieck zwischen Fahrrad, Motorrad und Automobil und forscht, ob es "eine Schnittmenge gibt, die man gestalten kann." Erstes Gebot: Alles ist erlaubt. Zweites Gebot: Gewicht reduzieren. Materialsparen ist ein Hightech-Projekt: Aluminium statt Blech, sogar Magnesium. Autos sind die Raumfahrzeuge von morgen. Jedes Gramm zählt. Individualverkehr wird es immer geben, aber wir werden es uns nicht mehr leisten können, die Ressourcen so zu verschwenden wie heute.

Die Öko-Hedonisten sind in Anfahrt

In Zukunft wird niemand mehr Auto sagen können, ohne auch CO2 zu denken. Fahrzeuge werden sich anpassen und abspecken. Wenn Gewicht und Motorleistung nicht mehr parallel steigen, öffnen sich neue Möglichkeiten: Zweiräder mit Elektromotoren als Fortbewegungsmittel in der Stadt, verstärkte Dreiräder für den Einkauf, für längere Strecken gibt es Bahn und Flugzeug.

Individuelle Mobilitätskonzepte sind im Kommen. Und Konsumenten, die sich von der alten Bruchlinie Ökoaktivisten und Automobilisten nicht mehr beeindrucken lassen. Auftritt der Öko-Hedonisten: Unter der Woche fahren sie mit der S-Bahn, dafür starten sie ins Wochenende mit dem geliehenen Hybrid-Cabrio. Viel spricht für eine Gemeinschaft aus Ökologie und Technik. Denn reine Fahrzeugkonzepte bleiben ohne den Willen zur Einschränkung nur dummes Zeug.

"Ich glaube an das Pferd", sagte Kaiser Wilhelm II. in grandioser Fehleinschätzung der künftigen Entwicklung. Das Automobil sei "nur eine vorübergehende Erscheinung". Das könnte sich wiederholen. Dem Wagen, wie wir ihn heute kennen, werde es gehen wie dem Pferd, prognostiziert Designprofessor Naumann. Er werde nicht aussterben, aber seine bisherige Bedeutung verlieren. Vielleicht, räsoniert er, gebe es irgendwann Liebhaber, die sich eine Ausfahrt gönnen. Dazu steigen sie in den Benzinkeller und holen zehn gute Flaschen Edelstoff, füllen den Tank und fahren los.

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