Freizeit-Kollektiv:Ein Dorf und sein Schiff

Ein besonderes Freizeitvergnügen und Arbeit außerhalb der Arbeitszeit: Seit vier Jahren restaurieren fast alle Einwohner des kleinen Wischhafen zusammen einen alten Kümo.

Klaus Bartels

Stundenlang Rostklopfen, Schweißen, 45 Meter lange Bordwände neu streichen - das klingt selbst für schiffsbegeisterte Menschen nicht spontan nach gelungener Freizeit. Doch in Wischhafen ist das anders.

Wischhafen an der Elbe Kümo Iris-Jörg Küstenschiffahrtsmuseum

Für die Wischhafener ist der Kümo Iris-Jörg der MIttelpunkt ihrer Freizeit.

(Foto: Alle Fotos: M. Zapf)

Denn die Bewohner des 3000-Seelen-Dorfes an der Unterelbe zwischen Cuxhaven und Hamburg haben sich vorgenommen, einen 51 Jahre alten Frachter wieder in Fahrt zu bringen - seit vier Jahren wird das alte Küstenmotorschiff Iris-Jörg in mühseliger und ausnahmslos ehrenamtlicher Arbeit restauriert.

Und mit ihrem mittlerweile wieder frisch gestrichenen blauen Rumpf und dem perfekt lackierten hölzernen Steuerhaus sieht die Iris-Jörg, die im alten Hafen des Elbdorfes an der Kaimauer liegt, aus, als könne sie morgen wieder auf die Reise gehen.

Aber das wird wohl noch etwas dauern. "Frühestens in zwei Jahren", schätzt Heike Wagner - im Heer der Freiwilligen hinterm Deich für die Pressearbeit zuständig. Und auch Volker von Bargen übt sich in Realismus: "Die Maschine läuft, auch unter Deck sieht es schon ganz gut aus. Aber es gibt noch jede Menge technischer Probleme zu bewältigen."

Volker von Bargen ist der Vorsitzende des Fördervereins des örtlichen Schifffahrtsmuseums, dessen Flaggschiff die Iris-Jörg werden soll. Ein kleines, aber feines Museum, das die Geschichte des Kehdinger Landes bewahrt, dessen maritimer Mittelpunkt noch bis in die siebziger Jahre Wischhafen war.

Auch, wenn die glorreichen Zeit längst vergangen sind - im 19. Jahrhundert lagen in Wischhafen Hunderte Frachtsegler -, ist das Dorf heute noch immer Heimat von gut 120 Seefahrerfamilien. Kapitäne, Reeder und Fahrensleute wie Heike Wagner, die als Kreuzfahrtdirektorin auf der Sea Cloud die ganze Welt gesehen hat.

Ein Dorf und sein Schiff

Chef der Renovierungs-Gang an Bord der Iris-Jörg ist Ludwig Badenius, 67. Der pensionierte Kapitän war Jahrzehnte zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls das Patent hat, auf See und kennt jeden Trick.

Freizeit-Kollektiv: Enno Pliefke wird bald das Kommando haben.

Enno Pliefke wird bald das Kommando haben.

"Wenn wir gewusst hätten, in welch schlechtem Zustand das Schiff tatsächlich war, hätte der Kauf wohl nicht stattgefunden", gesteht Badenius, der beim Rostklopfen von seinen Kollegen schon mal als "Antreiber" beschimpft wurde.

Heute aber ist längst allen klar, dass ohne seine Erfahrung nichts gegangen wäre: "Auch wenn das Engagement jedes einzelnen für das Projekt wichtig ist - Ludwig ist in seiner Arbeit kompromisslos", beschreibt Volker von Bargen den manchmal rauen, aber herzlichen Ton im Hafen.

2002 hatten die Wischhafener den alten Kümo für 32500 Euro von dem Stader Kapitänsreeder Hubertus Klose gekauft. Ein Unikat, denn: Das Schiff ist das letzte erhaltene Exemplar der sogenannten Rhein-Seeschiffe aus den fünfziger Jahren.

1956 war die 45,35 Meter lange Iris-Jörg unter der Baunummer 594 auf der Nobiskrug-Werft in Rendsburg vom Stapel gelaufen; ein 435-BRT-Schiff mit Platz für eine vierköpfige Crew.

Unter Deck findet sich noch heute die Originalmaschine - ein 300PS starker Diesel, der das Schiff auf neun Knoten, rund 16 Kilometer pro Stunde, brachte. Dank des mit 2,75Meter geringen Tiefganges, der flachen Bauweise über der Wasserlinie und den klappbaren Masten konnten Frachter wie dieser bis weit ins Binnenland verkehren.

Bevor Kapitänsreeder Klose seine Iris-Jörg aus Altersgründen verkaufen musste, war das Schiff allerdings vorwiegend zwischen Hamburg und Skandinavien unterwegs und transportierte Gerste und Sojaschrot. Das stellten die Wischhafener nicht nur beim Studium der Schiffspapiere fest, sondern auch während der Restaurierung: Überall in den rostigen Ritzen fanden sich noch Reste der Ladungen.

Wie viele freiwillige Arbeitsstunden genau in dem alten Rumpf mittlerweile stecken, weiß niemand so richtig. Denn einen akkuraten Arbeitsplan hatte sich das Dorf hinterm Elbdeich nicht auferlegt.

"Wer gerade Zeit und Lust hat, holt sich den Schlüssel fürs Schiff und fängt an", beschreibt Enno Pliefke, 55, die anstrengend-gemütliche Routine. "Durchschnittlich sechs Stunden pro Tag wird gearbeitet. Rund 1500 Stunden brauchten wir allein für die Rostbeseitigung - eine Drecksarbeit."

Auch Pliefke kommt aus einer Kapitänsfamilie, ist selbst 30 Jahre zur See gefahren und heute noch aktiv als Schiffsführer auf der Elbfähre Wischhafen-Glückstadt: "So bin ich abends in meinem eigenen Bett." Worauf er sich besonders freut: Er ist auserkoren, eines schönen Tages das Kommando auf der Brücke der Iris-Jörg zu haben.

Ein Dorf und sein Schiff

Wischhafen an der Elbe Kümo Iris-Jörg Küstenschiffahrtsmuseum

Chef an Bord ist Ludwig Badenius.

Neben den technischen Schwierigkeiten an Bord müssen aber immer wieder Probleme an Land gelöst werden. Zum Beispiel die Verhandlungen mit den Behörden. Glücklicherweise gibt es einen guten Draht zum Bauamt in der benachbarten Kreisstadt Stade - hier wird der Kümo als Gebäude geführt, weil er Teil des Museums ist; obendrein ist die Iris-Jörg inzwischen offiziell ein Denkmal der Technikgeschichte geworden.

Sorge macht auch die Finanzierung. "Wir sind komplett auf Sponsoren angewiesen, wenn es um das Material geht", erklärt Heike Wagner. Aber auch in dieser Frage macht sich die tiefe Verbundenheit der Menschen im Land Kehdingen mit der Seefahrt bemerkbar.

Da spendet dann zum Beispiel ein kleiner Handwerksbetrieb die dringend notwendigen Eimer Farbe oder einer der Wischhafener Reeder greift voller Respekt vor der freiwilligen Arbeit der Nachbarn in seine Kiste. Und wenn es wirklich mal eng wird, trifft sich der interne Krisenstab in der mehr als 100 Jahre alten Seemannskneipe "Bei Lena" und sucht bei dem einen oder anderen Bier nach probaten Lösungen.

Natürlich werden dann auch Pläne geschmiedet für den Tag, an dem die Iris-Jörg endlich wieder ablegen wird. So wollen die Wischhafener mit ihrem Schiff mindestens zum traditionellen Hamburger Hafengeburtstag fahren und vielleicht sogar Kurs auf Flensburg nehmen, wenn dort die Rumregatta, ein Oldtimertreffen, stattfindet.

Geplant sind auch Gästefahrten, damit sich die derzeit bedrohlich leere Kasse des Museums wieder füllt. Vorher müssen aber noch die zulässigen zwölf Kojen eingebaut und zahlreiche moderne Sicherheitsbestimmungen erfüllt werden. Vor allem aber: Das Schiff muss den strengen Schiffs-TÜV bestehen, denn ohne dessen Stempel wäre alle Arbeit vergebens gewesen.

Am Ostersonntag nun öffnet das Kehdinger Küstenschiffahrts-Museum nach der Winterpause wieder seine Tore. Und dann können die Besucher natürlich auch die Iris-Jörg besichtigen - im ehemaligen 24 Meter langen und acht Meter breiten Laderaum ist längst gemütlich Platz für bis zu 150 Personen. Hier wird dann auch das zukünftige Lichtspieltheater sein - "Es war immer geplant, unser Schiff auch als Dorfkino zu nutzen", freut sich Heike Wagner.

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